Ich werde von einer jungen Frau angerufen, sie hat mich im Internet
gefunden und fragt, ob ich bereit sei ihren Ehemann zu beerdigen.
Ich erkläre mich dazu bereit und sie beginnt zu erzählen.
Die junge Frau hat einen starken sächsischen Akzent und redet ohne Punkt und
Komma, ich komme kaum dazwischen.
Endlich kann ich ihren Redefluss unterbrechen und wir
verabreden uns für den nächsten Tag in ihrer Wohnung in D.
Am nächsten Tag breche ich zeitig auf, denn ich habe ca. 40
km zu fahren und gelange pünktlich zum Ziel.
Auf mein Klingeln wird mir geöffnet und ich werde in die
kleine Wohnung gebeten, es riecht nach frischem Kaffee und der Tisch im
Wohnzimmer ist gedeckt.
Frau El Hassani bittet mich sogleich an den Tisch und legt
mir ein großes Stück Käsekuchen auf meinen Teller, dazu gibt es einen Kaffee.
Wie schon am Telefon redet sie viel und schnell und betont, dass der Kuchen
selbstgebacken sei.
Währenddessen schleichen zwei Katzen neugierig herein und
streichen um meine Hosenbeine.
Nachdem ich also den Kuchen gekostet habe, frage ich Frau El
Hassani welche Wünsche sie denn für die Trauerfeier habe.
Frau El Hassani erzählt mir also im schönsten sächsisch,
dass ihr Mann aus der Nähe von Kairo stamme, sie haben ihn damals im Urlaub
kennengelernt und sich stehenden Fußes in den dunkelhäutigen Mann verliebt. Es
sei auch bei ihm Liebe auf den ersten Blick gewesen und zwei Jahre lang sei es
eine Fernbeziehung gewesen, immer wieder sei sie für einige Tage nach Kairo
geflogen um ihn zu sehen.
Sie selber stamme aus Sachsen und sie habe dort keine
Perspektive mehr gesehen, sodass sie gemeinsam mit Habib beschlossen habe, es
in Schleswig-Holstein zu versuchen.
Man habe dann etwas später in Kairo geheiratet und sei dann
gemeinsam nach Schleswig-Holstein gezogen, dort habe Habib in einer Konditorei
gejobbt und sie sei als Sachbearbeiterin tätig gewesen.
Ich höre aufmerksam zu und mache mir Notizen und Frau El
Hassani berichtet wortreich weiter.
Vor drei Wochen sei man gemeinsam für 14 Tage nach Kairo
geflogen um die Verwandten ihres Mannes zu besuchen, während einer Mahlzeit im
Hause des Bruders von Herrn El Hassani sei es dann zu einem Streit gekommen,
sie selber habe kein Wort verstanden, es sei aber laut zugegangen und
schliesslich habe der Schwager mit einem Messer auf ihren Mann eingestochen,
dieser sei blutend zu Boden gegangen und niemand habe geholfen.
Erst eine Nachbarin sei bereit gewesen einen Arzt anzurufen,
aber auch der konnte nichts tun und so wurde ein Krankenwagen bestellt, welcher
Herrn El Hassani in ein verdrecktes Krankenhaus gefahren habe. Dort habe er
unter unhygienischen Verhältnissen operiert werden müssen und sei drei Tage
später am frühen Morgen an einer Sepsis verstorben.
Leider war Frau El Hassani in der Sterbestunde ihres Mannes
nicht vor Ort, sondern auf der Suche nach der deutschen Botschaft. Als sie am
Abend wieder ins Krankenhaus kam, hatten die Verwandten den Leichnam ihres
Mannes bereits abgeholt und beigesetzt, niemand habe gefragt, ob ihr das Recht
sei oder nicht, er sei beerdigt worden und fertig.
Frau El Hassani kramt in einer Kiste und holt ein Photo
hervor, es zeigt eine schmucklose Grabstätte, das ist alles, was ihr geblieben
ist.
Ich bin nun doch etwas erstaunt und frage sie warum sie mich
nun angerufen habe und sie erklärt:“ Ich habe auf dem Friedhof in D. ein
Urnengrab gekauft, darin soll eine leere Urne beigesetzt werden, bzw. sollen
die Trauergäste kleine Zettel mit guten Wünschen für Habib in die Urne legen,
dazu kommen noch Photos, dann soll die Urne ins Grab.“
„Ich möchte hier in D. einen Grabstelle für meinen Mann
haben, auch wenn ich weiß, dass er in Kairo begraben ist“, erzählt sie weiter.
Die Idee als solche finde ich gut und gemeinsam planen wir
nun den Verlauf der Trauerfeier.
Nach fast drei Stunden verabschiede ich mich und mir dröhnt
der Kopf von dem sächsischen Akzent der redefreudigen Dame.
Auch trage ich das Rezept des Käsekuchens in der Tasche,
damit wir es zuhause nachbacken können…
Am Tage der Trauerfeier bin ich pünktlich vor Ort und eine
Mitarbeiterin des Friedhofes begrüßt mich, sie trägt einen grünen Arbeitsanzug
und ein Käppi, sie hat bereits den Gebetsteppich, die Wasserpfeife, Bilder von
den Katzen auf einem Tisch platziert, nun stellt sie noch ein Photo des
verstorbenen Habib dazu, es zeigt einen jungen schlanken Mann mit dunklen
Augen.
Auf einem Stehtisch drapiert sie nun eine Bahn Stoff und
stellt ein Körbchen mit Stiften und kleinen Zetteln darauf, daneben die offene
leere Urne.
Hier sollen die Trauergäste einen Gedanken formulieren und
den Zettel in die Urne werfen, den Stift darf jeder behalten.
Ein erster Trauergast trifft ein und baut einen Labtop und
einen kleinen Lautsprecher auf, er wird gleich die gewünschte Volksmusik aus
Ägypten abspielen.
Nach und nach treffen die Trauergäste ein, es werden
insgesamt 15 Menschen, welche der Witwe heute beistehen wollen.
Frau El Hassani trifft mit ihren Eltern ein, welche extra
aus Sachsen angereist sind und somit sind wir komplett.
Es sind drei Paare anwesend, die Frauen sind blond und
norddeutsch, die Ehemänner gebürtig aus Ägypten.
Zwei Männer mit dunkler Haut sitzen in der Reihe dahinter,
ein Gebetbuch in der Hand und den Blick starr auf mich gerichtet.
Ich betrete also die Kanzel in der kleinen Kapelle und
beginne zu sprechen, nach ca. drei Minuten öffnet sich die Seitentür und eine
sehr dicke blonde Frau kommt herein und setzt sich zu einem der beiden Männer,
sie gehören offenbar zusammen.
Ich spreche ruhig weiter und in der Mitte der Rede erklingt
ein Volkslied, welches Habib sehr gerne gehört hat, dann spreche ich weiter und
schliesslich bitte ich die Gäste nach vorne zu kommen und eines der kleinen
Kärtchen auszufüllen und in die Urne zu werfen.
Als alle Anwesenden das getan haben, erklingt nocheinmal
Volksmusik, dann erscheint eine Dame im schwarzen Hosenanzug und nimmt die Urne
vorsichtig vom Tisch und wendet sich dem Ausgang zu. Jetzt erst bemerke ich,
dass es dieselbe Dame ist, welche mich vor der Feier im Arbeitsanzug begrüßt
hat.
Gemeinsam gehen wir beide nun vor der Trauergemeinde zum
Urnengrab, der Weg ist sehr weit, das Urnenfeld liegt am Ende des Friedhofes.
Wir gehen gemessenen Schrittes und schweigen, plötzlich
sehen wir hinter einem großen Baum am rechten Wegesrand etwas Orangefarbenes
blitzen.
Als wir uns nähern können wir unseren Augen kaum trauen,
hinter dem großen Baum steht in Seelenruhe ein Mitarbeiter der Gartenbaufirma
und pinkelt völlig entspannt an den Stamm.
Plötzlich bemerkt er den Trauerzug und wird hektisch,
schnell packt er seinen Lümmel zurück in seine Hose und wendet sich fluchtartig
in die andere Richtung ab.
Ich bin fassungslos, sowas darf nicht passieren! Ein
Friedhof hat es nun mal an sich, dass Trauerzüge über die Wege kommen, da darf
und kann es nicht sein, dass die Mitarbeiter der Gärtnerei hinter dem Baum
stehen und sich erleichtern.
Die Mitarbeiterin des Friedhofes ist auch sichtlich empört
und raunt mir zu:“ Was fällt dem denn ein, an der Kapelle gibt es ein WC, da
hätte er hingehen können“
Ich sage nichts dazu und nach wenigen Metern erreichen wir
die Grabstelle, wir warten, bis alle sich versammelt haben, dann lese ich noch
einen kurzen Text, danach tritt einer der Trauergäste vor und sagt ein paar
Worte in seiner Sprache.
Dann lässt die Mitarbeiterin die Urne ab und wir beide
treten zurück, die Witwe und alle anderen werfen nun noch ein paar Blumen in
das kleine Grab, dann gehen wir alle zurück zur Kapelle.
Dort verabschieden wir uns und ich fahre zurück und denke
noch eine Weile darüber nach, dass Habib durch die Hand seines Bruders
gestorben ist und es keinerlei Untersuchung zu diesem Mord geben wird, da es
der Witwe von Deutschland aus nicht gelungen ist, den Mord in Ägypten vor ein
Gericht zu bringen.
Aber wenigstens hat sie nun einen Ort an dem sie trauern
kann.