Donnerstag, 27. Juni 2013

Dennis



Mein „Lieblingsbestatter“ ruft früh am Morgen an, es geht um eine Trauerfeier für einen jungen Mann, im Alter von nur 32 Jahren hat er sich das Leben genommen.
Ich nehme den Auftrag an, der Bestatter gibt mir die Daten des Verstorbenen und die Rufnummer seiner Mutter.
Bereits wenige Minuten später klingelt mein Telefon erneut, es ist die Mutter des jungen Mannes, sie möchte einen Termin zum Hausbesuch mit mir vereinbaren. Ich biete ihr einen Termin an, sie stimmt zu und beginnt zu erzählen, sie weint über den Tod des Sohnes und im Verlauf des Gespräches stelle ich fest, dass ich den jungen Mann flüchtig kannte, er war Berater in einem Technikmarkt.
Die Mutter erzählt immer weiter, leider hat sie mich in einem ungünstigen Moment erwischt, ich war schon beim Anruf des Bestatters auf dem Weg ins Bad und nun wird es für mich immer dringender, meine Familie sitzt bereits am Tisch und wartet mit Kaffee, Tageszeitung und frischen Brötchen.
Es gelingt mir, das Gespräch zu beenden und ich düse ins Bad. Als ich später am Frühstückstisch die Zeitung aufschlage, lese ich dort bereits die große Traueranzeige des Arbeitgebers, Dennis war offenbar sehr beliebt in der kleinen Firma.
Der Termin zum Hausbesuch ist gekommen, ich fahre zur Wohnung von Dennis Schwester, dort sind auch schon seine Mutter und sein ehemaliger Lebensgefährte angekommen.
Ich erfahre, dass Dennis homosexuell war, er lebte alleine, war als Berater für sehr hochwertige Haushaltskleingeräte beschäftigt und war nebenberuflich als Model unterwegs.
Seine Mutter und sein früherer Lebensgefährte sind sehr ergriffen, seine Schwester ist eher zurückhaltend und neigt zur Unfreundlichkeit. Nur widerwillig beantwortet sie meine Fragen, sie macht sich eher Gedanken über die Auflösung der Wohnung ihres Bruders.
Über den Grund für seinen Selbstmord könne man nur spekulieren, man wisse nichts genaues und habe auch im Vorfeld nichts bemerkt.
Die Mutter wünscht sich ein Zitat aus dem kleinen Prinzen für die Rede, ich sage ihr das zu und schreibe noch einiges andere über Dennis mit. Schließlich verlasse ich die Wohnung der Schwester und bin verwundert über die komische Stimmung während des Gespräches.
Am nächsten Tag beginne ich mit der Arbeit an der Rede, als mich ein Anruf eines jungen Mannes erreicht, es ist der beste Freund von Dennis und er hat den Wunsch mit mir zu sprechen. Wir reden über eine Stunde miteinander, er berichtet mir sehr viel persönliches von Dennis, ich erfahre, dass seine Homosexualität ein Problem für seine Familie war, besonders der erzkonservative Großvater habe damit nicht umgehen können. Das ging sogar soweit, dass er seinen Enkel zu Weihnachten nicht an seinem Tisch haben wollte.
Leider sind Mutter und Schwester der Einladung des Großvaters gefolgt, sodass Dennis das Weihnachtsfest schließlich mit Freunden verbrachte. Das führte zum Bruch zwischen Mutter und Sohn und als Dennis sich das Leben nahm, hatte er seit fünf Monaten nicht mehr mit seiner Mutter gesprochen.
Ich bedanke mich bei Ray für das Gespräch und werfe im Anschluss daran das Konzept für meine Rede über den Haufen.
Was ich grade erfahren habe, hat nichts mehr mit dem zu tun, was Mutter und Schwester mir erzählt haben, ich bin froh über den Anruf von Ray, denn so kann ich nun eine Rede formulieren, welche Dennis entspricht.
Am nächsten Tag spreche ich noch mit seinen Arbeitskollegen, das rundet das Bild von Denis sehr ab. Auch sein Herrenausstatter ist bereit mit mir zu sprechen, ich erfahre immer mehr über Dennis und es gelingt mir, eine umfassende Rede zu schreiben.
Dennis wird vom „ersten Bestatter am Platze“ beerdigt, wer in H. etwas auf sich hält, lässt sich bei „Bestattungen Dünkel“ versorgen.
Ich treffe vor der Trauerfeier im Büro ein und erledige meine Rechnung, dann gehe ich rüber in die hauseigene Trauerhalle.
Der Sarg steht schön geschmückt und von Kerzen umringt im mittleren Bereich der Halle, ich bin alleine mit Dennis und trete an den Sarg heran. Ich lege meine Hand auf das Holz und blicke auf das Photo von Dennis, welches auf einer Staffelei steht.
Er hat einen Erdsarg bekommen, obwohl er verbrannt werden wird, später erfahre ich, dass man das Sparbuch von Dennis für die Beerdigung genommen hat.
Dennis hat sich von einem Hochhaus gestürzt, er war offenbar so verzweifelt, dass er keine andere Lösung mehr sah. Am Vortag hatte er sich bei seinem Hausarzt eine niederschmetternde Diagnose abholen müssen, offenbar wollte er mit dieser Erkrankung nicht leben, das hätte nicht in sein Weltbild gepasst…
Die ersten Gäste treffen ein, ich entferne mich vom Sarg, lege meine Mappe auf dem Rednerpult ab und stelle mich zu dem Mitarbeiter des Bestatters in die Vordiele der Halle um die Gäste zu begrüßen.
Der Großvater stellt sich mir vor und zwingt mir ein Gespräch auf.“ Das ist ja wohl der Hammer“ empört er sich, „ was fällt dem Jungen ein, sich sowas zu erlauben“?
Ich muss schwer an mich halten, am liebsten würde ich diesem arroganten Fatzke gründlich den Kopf waschen, selbstverständlich aber schwiege ich höflich.
Der Großvater quasselt immer weiter, will mich schon auf anderen Trauerfeiern gehört und gesehen haben und schwirrt durch den Vorraum der Halle wie Willi Wichtig.
Als nun alle Gäste vollzählig sind nehme ich meinen Platz neben der Organistin ein, der Mitarbeiter schließt lautlos die Türen der Halle und die Feier beginnt.
Nach dem ersten Musikstück gehe ich zum Rednerpult und beginne zu sprechen. An den Gesichtern seiner Freunde und Kollegen merke ich, dass ich mit meinen Worten den Nagel auf dem Kopf treffe, das Gesicht des Großvaters lässt ahnen, dass er mich am liebsten vierteilen würde.
Ich spreche ruhig weiter, erwähne seine unkonventionelle Art, seinen typischen Kleidungsstil und seine Vorliebe für einen schrillen schwulen Designer.
Am Ende der Rede bringe ich auf Wunsch der Mutter ein Zitat aus dem kleinen Prinzen, auch wenn es mir unpassend erscheint.
Die Orgel spielt das letzte Stück, es ist totenstill in der Halle, niemand erhebt sich. Auf mein Zeichen spielt die Organistin noch ein Stück, ich gehe hinüber in die erste Reihe und setzte mich neben die Mutter. Sie weint und ist völlig hilflos, sanft nehme ich sie an die Hand und führe sie zum Sarg, sie nimmt eine der dicken weißen Rosen aus dem Behälter und legt sie auf dem Sarg ab, dann wendet sie sich zur Tür und verlässt die Halle.
Alle anderen stehen nun nach und nach auf und treten an den Sarg heran, dieser ist bald vollständig mit weißen Rosen bedeckt.
Ich stehe wieder am Ausgang und verabschiede die Gäste, als ich aus den Augenwinkeln bemerke, wie ein junger Mann an den Sarg geht und einige heftige Stöße Parfüm darüber sprüht.
Der Mitarbeiter von „Bestattungen Dünkel“ ist fassungslos, schließlich stehen überall brennende Kerzen! Aber es passiert nichts, der Duft des Herrenparums breitet sich in der Halle aus, es war der Lieblingsduft von Dennis.
Der „Sprayer“ kommt zu mir und bedankt sich für die Rede, den Flakon hat er noch in der Hand, etwas weiter entfernt steht der Großvater mit bösem Blick. In diesem Moment strecke ich meine Hand vor und der „Sprayer“ sprüht mir den Duft auf. Der Großvater hat genug gesehen, er rauscht ab und langsam leert sich die Halle, einige tragen sich noch in das Kondolenzbuch ein, dann ist Ruhe.
Der Sarg von Dennis steht wieder alleine in der Halle, drei Mitarbeiter beginnen damit die Blumen zu entfernen, das teure Deckelgesteck verschwindet in einem blauen Müllsack, bis zur Beisetzung der Urne wäre es verwelkt, ca. 200 Euro verschwinden also im Müll.
Einige der dicken weißen Rosen kann ich retten, ich packe sie wieder in das Papier ein und sie stehen noch über eine Woche auf unserem Wohnzimmertisch.
Der Tod und die Trauerfeier sind mir näher gegangenals sonst, hier war ich sicherlich an einigen Stellen „unprofessionell“ , aber Redner sind auch Menschen und später habe ich von vielen gehört, dass diese Trauerfeier eine ganz besondere war, auch von der Mutter erhalte ich einen kleinen Brief mit Worten des Dankes.
Dennis wurde einige Wochen später neben seiner Großmutter beigesetzt, bei ihr hat er große Teile seiner Kindheit verbracht, seine hochwertige Wohnungseinrichtung hat die Familie unter sich aufgeteilt.


1 Kommentar:

  1. Schade, dass es so ablaufen muss. Aber es gibt immer noch genug, denen Schwulsein gegen den Strich geht. Armer Dennis.

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