Ich bekomme einen Auftrag für eine Beisetzung, es soll eine
kleine Feier in der Trauerhalle des Bestatters geben, anschließend eine
Erdbestattung auf dem nahegelegenen Friedhof.
Der Bruder des verstorbenen Mannes ist für die Beisetzung
verantwortlich, ich rufe ihn an um einen Hausbesuch zu vereinbaren.
Herr B. erklärt mir allerdings, dass er nicht mit dem Tod
seines Bruders gerechnet habe und er „weiter weg“ wohne, ein persönliches
Vorgespräch könne er mir deshalb auch nicht anbieten.
„ Ich kann Ihnen über meinen Bruder auch nicht viel sagen“,
erklärt er mir, „ er war ja körperbehindert und lebte schon früh in einem Heim
und war dann später dort in einer Behindertenwerkstatt beschäftigt“.
„Als man ihm nun noch das Bein amputiert hat, konnte sein
Körper wohl nicht mehr und er hat aufgegeben“. „Wie gesagt, mehr kann ich Ihnen
nicht sagen, wir haben unsere Kindheit ja nicht gemeinsam verbracht, ich war
zuhause, er im Heim“. „ Ich habe ihn auch in den letzten zwei Jahren nicht mehr
besucht, meine Zeit hat es nicht zugelassen“.
„ich möchte aber, dass er ein schönes Begräbnis bekommt, er
hat sich immer eine Erdbestattung gewünscht, die soll er nun bekommen, bitte
finden Sie ein paar nette Worte zu dieser Gelegenheit“.
Solche Aufträge sind sehr sensibel, schön soll es werden,
aber zu sagen gibt es nicht viel…
Aus den wenigen Informationen schreibe ich eine Rede, finde
ein schönes passendes Zitat und suche die Musik dazu aus.
Am Vormittag der Beisetzung treffe ich in R. ein, die
Bestatterin begrüßt mich und begleitet mich in die Trauerhalle, der Organist
ist auch schon da und der Sarg steht mitsamt Blumenschmuck halb schräg unter
dem bunten Fenster.
Der Organist ist ein freundlicher älterer Herr, er spielt
mir zuliebe „Von guten Mächten“ und freut sich darüber, dass ich dieses Stück so
gerne höre.
Die Bestatterin nimmt mich zur Seite und berichtet mir, dass
es nur einen einzigen Trauergast geben wird, den Bruder des Verstorbenen.
Dieser sitzt mittlerweile in der ersten Reihe und blickt
stumm auf den Sarg seines Bruders. Ich gehe zu ihm und begrüße ihn, er erhebt
sich und bittet mich anzufangen.
Ich trete also an das Rednerpult, der Organist spielt das
erste Stück, danach beginne ich zu sprechen, ich erwähne den Lebensmut des
mehrfach körperbehinderten Mannes, seine lebensbejahende Einstellung und seine
Freude an seiner Arbeit in der Werkstatt.
Während ich spreche, laufen dem Bruder einige Tränen über
die Wangen, in der Mitte der Rede spielt der Organist von „Von guten Mächten“ ,
danach schließe ich mit einem kurzen friedvollen Text.
Es erklingt noch ein Lied, danach öffnen sich die Türen der
Halle und die sechs Träger bieten das übliche Bild: Verbeugen, Sarg fassen,
anheben und Sarg aus der Halle tragen.
Vor der Halle steht bereits das Überführungsfahrzeug bereit,
der Sarg wird eingeladen, die Türen werden verschlossen, der Verstorbene tritt
seine letzte Fahrt an.
Der Bruder steigt in seinen Wagen, die Bestatterin und ich
fahren gemeinsam zum Friedhof, als wir dort ankommen, steht der Sarg bereits
auf dem Sargwagen, die Träger warten nur auf uns, sie gehen mit dem Sarg voran,
zu dritt folgen wir bis zum Grab.
Dort angekommen, sprechen wir noch auf Wunsch Bruders das „Vater
Unser“, dann senken die sechs Träger den Sarg ab, sie verbeugen sich und wenden
sich ab in Richtung Ausgang.
Der Bruder, die Bestatterin und ich, treten an das offene
Grab heran, nehmen noch eine Schaufel Erde und werfen sie auf den Sarg, es gibt
ein dumpfes Geräusch als die Erde auf den Sarg fällt, dann ist Ruhe.
Der viele Schnee dämpft die Geräusche der Natur, er knirscht
unter unseren dicken Winterschuhen, als wir wieder in Richtung Ausgang gehen.
Der Bruder reicht mir die Hand und sagt:“ Vielen Dank, Sie
haben das sehr schön gemacht, ich war wirklich sehr ergriffen, ich bin
erstaunt, wie schön ihre Ansprache war, obwohl ich Ihnen nur so wenig über
meinen Bruder sagen konnte“.
Ich bedanke mich und er fügt hinzu:“ Meine Frau ist heute
verhindert, aus dem Heim konnte niemand, da hätte ja nur jemand kommen können,
der heute frei hat und auch aus der Verwandtschaft konnte keiner kommen, es
müssen ja alle arbeiten, da hätten die sich ja einen Tag Urlaub nehmen müssen,
als weiterer Verwandter bekommt ja nicht ohne weitere frei, das kann man ja
keinem zumuten, für eine Trauerfeier einen Tag Urlaub zu nehmen“.
Ich verkneife mir, das zu sagen, was mir dazu auf der Zunge
liegt, nicke höflich und wir verabschieden uns und jeder geht zu seinem Auto.
Ich finde sehr wohl, dass es zumutbar ist, einen Tag Urlaub
zu nehmen, um einen Menschen auf seinem letzten Weg zu begleiten, aber das ist
nur meine persönliche Meinung…
Puh, ich muss ehrlich sagen, dass mir ein wenig die Worte fehlen. Es ist natürlich nur gemutmaßt, aber wenn ich die ganzen Umstände, die Behinderungen, die frühe Einweisung in ein Heim usw. zusammenfasse, dann bekommt dieses Fernbleiben von der Beerdigung absolut etwas davon, dass hier ein unbequemes Familienmitglied der Einfachheit halber abgeschoben worden ist. Und dann ist es irgendwie nur folgerichtig, dass ein Urlaubstag ein nicht zu vertretender Aufwand ist ... :-(
AntwortenLöschenHammer hart! Da kann ich mich Michael Behr nur anschließen.
AntwortenLöschenBoh!
AntwortenLöschenMehr als diese Reaktion fällt mir dazu nicht ein. Und Trauer für einen verlassenen Menschen. Sowas hat niemand verdient!