Von meinem Lieblingsbestatter bekomme ich einen Auftrag für
eine Trauerfeier zur Einäscherung, das heißt: Der Sarg wird zur Trauerfeier in der
hauseigenen Halle aufgebahrt, schön mit Blumen dekoriert und mit Kerzen und
Tüchern wird eine schöne Atmosphäre hergestellt.
Bei der verstorbenen Frau handelt es sich um eine 45-jährige
Frau, sie war seit vielen Jahren schwer depressiv und hat sich nun das Leben
genommen.
Ich atme durch und nehme den Auftrag an, rufe die Mutter der
Frau an und vereinbare einen Termin zum Hausbesuch, es ist bullenheiß draußen,
ich könnte mir schöneres vorstellen als diesen Besuch zu unternehmen aber es
hilft nichts, ich muss hinfahren.
Die Mutter und ihr Lebensgefährte erwarten mich in ihrer
kleinen Wohnung, die Handtasche der Tochter liegt auf dem Sofa, der Inhalt ist
über den Tisch verstreut.
Wir gehen nach nebenan in das Esszimmer, man bietet mir ein
Glas Wasser an, ich klappe meine Schreibmappe auf und beginne vorsichtig das
Gespräch.
Tinas Mutter weint und ihr Lebensgefährte beginnt zu
erzählen, ich erfahre, dass Tina seit vielen Jahren schwer depressiv war, dass
sie deshalb berentet war und starker Betreuung bedurfte. Jeden Tag habe man sie
mehrfach angerufen, habe sie in den Alltag eingebunden, sie abgeholt,
eingeladen, mitgenommen, alles haben man unternommen um ihr Lebensfreude zu
spenden.
Auch Tinas Lebenspartner habe sich alle Mühe gegeben, aber
nichts habe geholfen. Schließlich habe Tina sich am Vortag von ihrem Freund verabschiedet und ihm gesagt,
sie wolle mit dem Bus zu ihrer Mutter fahren. Dort kam sie nie an. Am frühen
Abend rief der Lebenspartner bei der Mutter an um nach Tina zu fragen, erst
jetzt bemerkte man, dass sie weder bei der Mutter war noch zuhause. Eine
Suchaktion startete und der Lebenspartner der Mutter fand Tina am Abend auf dem
Dachboden über ihrer Wohnung, sie hatte sich erhängt und bereits einige Stunden
bei brütender Hitze auf dem Dachboden gehangen…
Man zeigt mir Bilder von Tina, ich bin erschüttert, auf den
Bildern sieht man eine junge, sehr schöne Frau, lange blonde Haare, eine
Traumfigur und schöne Augen, es ist kaum zu glauben, dass diese Schönheit so
schwer depressiv war.
Ich erfahre, dass auch Tinas Vater unter Depressionen
gelitten hat und sich ebenfalls auf dem Dachboden erhängt hat, Tinas Mutter tut
mir leid, sie weint und ist fassungslos, kann kaum sprechen und wirkt krank und
müde.
Ich notiere mir einiges, frage nach Musikwünschen und
versichere, dass jeder Musikwunsch völlig in Ordnung ist, die Feier wird in der
Halle des Bestatters stattfinden, wir sind dort völlig frei in unserem Handeln
und können die Feier so gestalten, wie es für die Angehörigen gut und richtig ist.
Ich verabschiede mich schließlich und fahre nachdenklich
nach Hause, dieser Trauerfall ist auch für mich nicht einfach, Tina war so jung
und die Mutter muss nun den zweiten Selbstmord verkraften, sie hat erst den
Ehemann und nun auch ihr einziges Kind verloren.
Am Abend telefoniere ich mit Tinas Lebenspartner, auch er
möchte mich sprechen, wir verabreden und in einem Cafe für den nächsten
Vormittag.
Mit meiner Familie sitze ich noch am Frühstückstisch als
mich der Anruf des Mannes erreicht, das Cafe sei übervoll, er sitze bei MC
Donald und erwarte mich dort. Ich bestätige den Termin, trinke meinen Kaffee
aus und mache mich fertig, meine Familie wird derzeit den Einkauf erledigen.
Pünktlich fahre ich auf den Parkplatz des Klopsbraters,
nehme meine schwarze Ledermappe und betrete das Außengelände, als mir ein
einzelner Mann schon zuwinkt. Ich trete an den Tisch heran und wir stellen uns
einander vor, er möchte diesen Tisch behalten und ich setze mich.
Um uns herum toben Kinder über die Spielgeräte, aus den
Lautsprechern dringt sehr zeitgenössische Musik und am Nachbartisch unterhalten
sich lautstark Menschen in fremder Sprache.
Ich füge mich in mein Schicksal, klappe meine Mappe auf und
beginne das Gespräch. Zunächst erfahre ich wenig neues, er erzählt von Tinas
Depressionen und davon, dass er 9 Jahre versucht hat ihr zu helfen.
Er sei aber schon länger am Ende seiner Kraft und habe die
Trennung gewollt, Tina wusste das und sei darüber traurig gewesen.
Nun fühle er sich schuldig an ihrem Selbstmord, er mache
sich Vorwürfe und wolle unbedingt sofort wieder arbeiten gehen, sein Chef habe
ihm Urlaub angeboten, aber den habe er abgelehnt, er wolle keine Auszeit
sondern „normal“ weitermachen.
Ich höre zu und denke mir meinen Teil, die Klopsbratbude ist
der denkbar schlechteste Ort für ein tiefschürfendes Gespräch außerdem ist es
furchtbar heiß und die Sonne brennt mir auf den Rücken.
Auf meine Nachfragen wünscht er sich ein Musikstück aus dem
Musical „Der König der Löwen“, dort sei er mit Tina gewesen und beiden habe es
sehr gut gefallen, es sei ein glückliches Wochenende in Hamburg gewesen.
Wir verabschieden uns und ich bin froh, dieser Situation
entkommen zu können, mir ist warm und ich freue mich auf ein Glas Wasser und
darauf meine dunkle „Gesprächskleidung“ ausziehen zu können.
Am nächsten Tag teilt man mir weitere Musikwünsche mit und
ich beginne mit der Arbeit an meiner Rede, ich finde passend zu der Musik aus
dem Musical ein passendes afrikanisches Sprichwort und freue mich, dass mir
dennoch eine Rede gelungen ist, welche trotz aller Schwermut auch die Hoffnung
von Tinas Mutter auf ein „helles Licht“ für Tina ausdrückt.
Pünktlich treffe ich am Tag der Trauerfeier bei meinem
Lieblingsbestatter ein, wir erledigen im Büro meine Rechnung und ich gehe rüber
in die Halle. Der helle Verbrennersarg ist schön mit Blumen und Tüchern
dekoriert, Kerzen brennen und die bunten Glasfenster werfen ein schönes Licht
in die Halle.
Die ersten Gäste treffen ein und nehmen Platz, ich stehe im
Eingangsbereich und begrüße zusammen mit dem Mitarbeiter von „Bestattungen
Dünkel“ die Gäste.
Auch Tinas Mutter erscheint zusammen mit ihrem
Lebenspartner, sie betritt die Diele und geht langsam auf den Eingang der Halle
zu, dann erblickt sie den geschmückten Sarg, bleibt stehen und beginnt zu
weinen, sie dreht sich um und will zurück in Richtung Ausgang, der
Lebenspartner hält sie fest, redet leise auf sie ein und drängt sie sanft in
die Halle.
Ich reiche ihr meinen Arm und gemeinsam führen wir sie auf
ihren Sitzplatz in der ersten Reihe, sie nimmt Platz und starrt auf den Sarg
ihrer Tochter.
Tinas Lebenspartner trifft ebenfalls ein und nimmt am Ende
der ersten Reihe Platz, er ist in Begleitung einer jungen Frau gekommen.
Nach und nach treffen die Trauergäste ein und nehmen Platz,
viele weinen und wirken fassungslos, obwohl alle wussten, wie schwer depressiv
Tina war ist ihr Tod nun doch etwas unfassbares.
Das erste Musikstück ist verklungen und ich beginne zu
sprechen, einige nicken während ich rede, andere weinen vernehmlich.
In der Mitte der Rede spielen wir das Stück aus dem Musical,
Tinas Freund sitzt mit geschlossenen Augen wie erstarrt da.
Ich spreche weiter und am Ende meiner Rede hören wir eine
Popballade gesungen von fünf Tenören.
Ich verbeuge mich vor dem Sarg und verlasse das Rednerpult,
der Mitarbeiter legt eine CD mit ruhiger Musik ein, leise dudelt sie vor sich
hin.
Tinas Mutter erhebt sich langsam und geht zusammen mit ihrem
Partner und Tinas Freund zum Sarg. Zu dritt stehen sie da, weinen und
verharren. Schließlich legt Tinas Mutter ihre Hand auf den Sarg ihrer Tochter,
verabschiedet sich von ihrem Kind und lässt sich aus der Halle führen.
Nacheinander treten nun die anderen Gäste an den Sarg, legen
Blumen ab, sprechen einige Worte und gehen zum Ausgang.
Dort allerdings staut sich alles, denn Tinas Mutter steht
direkt am Ausgang und nimmt die Worte der Gäste entgegen, es dauert lange bis
alle bei ihr waren du ihr kondoliert haben.
Danach kommt sie noch einmal mit ihrem Partner in die Halle,
geht nochmal zu Sarg und spricht mit ihrem Kind. Dann wendet sie sich ab und
verlässt die Halle.
Auch Tinas Freund kommt noch einmal zurück, er setzt sich in
die erste Reihe und spricht halblaut vor sich hin, er gestikuliert, weint und
erzählt, den Blick fest auf Tinas Sarg gerichtet. Dann steht er auf, kommt zu
mir und bedankt sich für die Rede auch bei der Organistin bedankt er sich und
geht.
Die Halle ist nun leer, einsam steht der Sarg mit der toten
schönen Frau noch da, die Mitarbeiter von „Bestattungen Dünkel“ löschen die
Kerzen, die Organistin verabschiedet sich und geht.
Tinas Sarg wird noch am Nachmittag zum Krematorium gebracht
werden, sie wird verbrannt und anonym beigesetzt, so habe sie es sich immer
gewünscht.
Die Mutter hat diesen Wunsch umgesetzt.
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