Am heutigen Vormittag steht eine Trauerfeier in B. an, ich
klettere grade aus der Dusche als ich mein Handy bimmeln höre, an der Melodie
erkenne ich meinen „Lieblingsbestatter“, ich werfe mir also ein Handtuch über
und flitze zum Telefon.
Mit nassen Füßen und tropfenden Haaren stehe ich am
Schreibtisch und notiere den neuen Auftrag, verstorben ist eine junge Frau,
Jahrgang 68, das ist bitter.
Wir beenden das Gespräch und ich kümmere mich um einen Fön
und steige in mein Redneroutfit, dann fahre ich nach B., wie immer mit Navi,
denn diese Stadt ist größer als das Dörfchen in dem ich lebe.
Rechtzeitig komme ich am Friedhof in B. an, die
Mitarbeiterin des Bestattungshauses Ferdinand erwartet mich bereits, sie hat
die schöne weiße Urne mitgebracht und gemeinsam warten wir nun auf die
bestellte Geigerin, diese soll am Grab zwei klassische Stücke spielen.
Wenige Minuten später trifft die junge Frau ein und wir
gehen zu dritt zu der Urnengrabstelle, alles findet direkt am Grab statt, das
Wetter ist warm und sonnig und die Grabstelle sehr schön gelegen.
Die Mitarbeiterin von „Bestattungen Ferdinand“ stellt die
Urne in das Holzgestell welches bereits mit einem Kranz versehen ist, das
kleine Grab ist ausgehoben und von innen mit einem Teppich aus Kunstrasen
ausgekleidet.
Die Geigerin packt ihre Utensilien aus, klappt den
Notenständer aus und streicht langsam mit dem Bogen über die Saiten, alles ist
ok, wir können beginnen.
Die Mitarbeiterin holt die Trauergemeinde am Eingang des
Friedhofes ab, als die ca. 20 Personen um die Ecke des Weges biegen beginnt die
Geigerin zu spielen.
Die Trauergäste versammeln sich um die Grabstelle, ich stehe
neben dem Grab, halte meine Ledermappe in beiden Händen und als das Musikstück
verklungen ist beginne ich zu sprechen.
Ich bin ungefähr auf der Hälfte meines Textes, da passiert
das unsägliche: Ich blicke während des Sprechens die Tochter der verstorbenen
Frau an und schaue dann zurück in mein Manuskript und…meine Augen finden die
passende Textzeile nicht wieder!!!
Weil ich wusste, dass es kein Rednerpult geben würde, habe
ich die Schriftgröße des Manuskriptes kleiner gesetzt um zu verhindern, dass
ich zu oft umblättern muss, ich blicke suchend über das Blatt, merke wie mir
heiß und kalt wird, meine Augen fliegen über den Text und endlich bin ich in
der richtigen Reihe, ich atme durch und spreche weiter.
Das ganze kann nur wenige Sekunden gedauert haben, für mich
waren es gefühlte Stunden, auch den Trauergästen ist die kurze „Pause“
aufgefallen.
Ich spreche ruhig weiter und nachdem ich geendet habe spielt
noch einmal die Geigerin.
Danach tritt der Sohn der verstorbenen Frau vor und senkt
die Urne ins Grab. Nacheinander gehen nun alle an das Grab, verharren still und
werfen einige Blütenblätter nach.
Die Tochter kommt nun zu mir und bedankt sich für die Rede,
aber ich würde am liebsten im Boden versinken, ich entschuldige mich bei ihr
für meinen Texthänger, der Sohn kommt ebenfalls hinzu und bedankt sich bei mir,
ich entschuldige mich noch einmal.
Beide versichern mir, dass die Rede inhaltlich sehr passend
war und dass ein Versprecher nur menschlich ist, trotzdem würde ich mich am
liebsten sofort in Luft auflösen.
Wir verabschieden uns und ich gehe zurück zu meinem Wagen,
ich bin verärgert über meinen Patzer und unzufrieden mit mir selber.
Ich starte den Wagen und fahre los, erst nach einigen Metern
bemerke ich, dass ich falschherum durch eine Einbahnstraße fahre,
entgegenkommende Autofahrer machen mich durch eindeutige Handzeichen darauf
aufmerksam, ich wende also und höre der Stimme im Navi besser zu.
Ich bin so wütend über mich, dass ich platzen könnte, aber
es hilft alles nichts, passiert ist passiert.
Ich bin bereits auf halber Strecke, stehe an einer roten
Ampel, da höre ich hinter mir einen Krankenwagen und sehe das Blaulicht im
Rückspiegel.
Der Wagen vor mir bewegt sich nicht, der neben mir auch
nicht und ich fasse es nicht, niemand bildet eine Gasse!
Ich setze den Blinker nach rechts und drängle mich in die
Rechtsabbiegerspur, man macht mir Platz und endlich bewegen sich auch andere
Fahrzeuge, der Notarztwagen muss zwar merklich abbremsen, kommt aber nun über
die Kreuzung.
Es wird grün, ich biege nun rechts ab und das Navi stellt
fest, dass seine Route eine Änderung erfahren hat, es lotst mich nun auf die
Autobahn und irgendwann komme ich in H. wieder an.
Zuhause schäle ich mich aus meinem Rednerdress und versuche
meinen Ärger loszuwerden, es gelingt mir aber nicht so richtig.
Auf meinem Schreibtisch liegt der Auftrag von „Bestattungen
Dünkel“, ich rufe die Mutter der verstorbenen jungen Frau an und vereinbare
eine Termin für 16:00 Uhr, die Zeit drängt etwas, die Trauerfeier soll schon in
zwei Tagen stattfinden.
Das Gespräch mit der Mutter ist schwierig, sie ist völlig
aufgelöst und fassungslos, kann keinen klaren Gedanken fassen, der
Lebensgefährte der Mutter spricht hauptsächlich mit mir, es ist tragisch und am
Ende des Gespräches bin auch ich erschöpft.
Am Ende dieses Tages bin ich einfach nur froh, dass es etwas
kühler geworden ist, ich gehe früh zu Bett und falle in einen traumlosen
Schlaf.
Ohje ohje. Aber passieren kann das mal. Sicher kein Tag, den man wiederholen möchte. Aber du hast es überstanden.
AntwortenLöschenDanke fürs Teilen.
Gruß