Per Email erhalte ich eine Anfrage für eine Beisetzung, die
Schwiegertochter der verstorbenen Frau hat mich im Internet gefunden und möchte
nun wissen, ob ich Zeit habe.
Ich schreibe freundlich zurück und die Familie ruft mich
schließlich an. Es stellt sich heraus, dass die verstorbene Frau aus Serbien
stammte, ihre Religion aber nicht praktizierte, der Ehemann ebenfalls nicht und
die Söhne hätten türkische bzw. deutsche Ehefrauen sodass man eine Trauerfeier
ohne religiösen Bezug wolle.
Ich nehme den Auftrag an und wir verabreden einen Termin für
einen Hausbesuch.
Am verabredeten Tag ruft die Schwiegertochter mich an und
berichtet von einem Rohrbruch in der Wohnung, sie bestellt mich in einen
Gasthof in der Innenstadt.
Ich treffe pünktlich um 16:00 Uhr dort ein, der Witwer, die
Söhne und eine Schwiegertochter sind bereits da. Der Kellner fragt uns was wir
trinken möchten, ich bestelle einen Kaffee, alle anderen ebenfalls, ein Sohn
bestellt ein Bier.
Die Familie berichtet mir, dass die Mutter schwer an Krebs
erkrankt war, aber man habe immer so getan, als ob das keine große Sache wäre. Man
habe so mit ihr gesprochen als ob sie wieder gesund werden würde, Gespräche mit
ihr über die Krankheit habe man abgeblockt.
Das sei das beste in so einer Situation, das helfe allen am
besten erklärt mir der Sohn, man dürfe über so eine Krankheit nicht sprechen.
Die Mutter sei der Mittelpunkt der Familie gewesen, habe
alle zusammengehalten, sie habe die Enkel gehütet und toll für alle gekocht.
Niemand habe mit Mutter darüber gesprochen, dass sie sehr
krank sei und sterben werde, niemand habe hören wollen, wie sie selber mit der Krankheit
fertig würde.
Es habe keine Gespräche über den Abschied gegeben,
schließlich sei der Gedanke an Mutters Krankheit für alle eine Belastung
gewesen, da hätte man nicht noch darüber sprechen wollen.
Der Sohn bittet mich auch in der Rede die Erkrankung nicht
zu erwähnen, man wolle nur positives hören.
Alle preisen noch einmal die Vorzüge der verstorbenen Frau,
dann merke ich deutlich, dass die Familie „fertig werden“ möchte.
Ich klappe meine Mappe zu und verabschiede mich.
Die verstorbene Frau tut mir leid, wie schlimm muss es für
sie gewesen sein mit ihrer Erkrankung alleine fertig werden zu müssen, niemand
hat ihr zugehört, niemand hat am Ende ihres Lebens mit ihr gesprochen über das
was die sterbende Frau bewegt haben mag.
Ich formuliere wunschgemäß eine „positive“ Rede, ich erwähne
die verstorbene Frau als gute Mutter, Ehefrau und Oma und erwähne auch, dass
sie für alle ein Engel war, so wie man es im Gespräch wünschte.
Am Tag der Beisetzung treffe ich zeitig auf dem Parkplatz
des Friedhofes ein und weil ich überpünktlich bin, erledige ich noch ein
Telefongespräch.
Mitten in dieses Gespräch klopft ein Anrufer, es ist der Sohn
der verstorbenen Frau, er fragt, wo ich bleibe, man wolle anfangen.
Mit einem Blick auf die Uhr stelle ich fest, dass ich immer
noch 15 Minuten Zeit hätte, versichere dem Sohn aber, dass ich bereits vor Ort
bin.
Ich schnappe mir meine Mappe und verlasse den Wagen und gehe
über den Seiteneingang auf den Friedhof.
Kurz vor der Kapelle steht eine größere Trauergesellschaft
und verhandelt lautstark mit einem weißgewandeten Priester, ich höre nur
Wortfetzen wie:“ Da sind noch andere“ oder“ ist die Kapelle nun besetzt“?
Ich gehe vorbei und an der Tür der Kapelle steht „meine“
Familie, der Sohn begrüßt mich und die Mitarbeiter des Discount-Bestatters „Stiefelknecht“
haben bereits das Gestell mit der Urne in der Hand.
Die Familie hat die Kapelle nicht gebucht, ich soll direkt
am Urnengrab sprechen.
Wir machen uns also auf den Weg, die Mitarbeiter von „Stiefelknecht“
gehen voran, ich folge ihnen, hinter mir geht die ca. 40 köpfige
Trauergemeinde.
Nach wenigen Metern ist die Grabstelle erreicht, die
Mitarbeiter treten an das Grab und lassen die Urne ab.
Ich bin verärgert, ich hätte es besser gefunden, die Urne
nach der Rede beizusetzen aber nun ist es zu spät.
Es ist ein warmer Sommermorgen, die Sonne scheint und hinter
einer Hecke dröhnt vernehmlich das Gartengerät eines Friedhofarbeiters.
Leider sieht sich der Mitarbeiter von „Stiefelknecht“ nicht
in der Lage mal herüberzugehen und um Ruhe zu bitten, also beginne ich zu
sprechen.
Der Ehemann, die Söhne und Schwiegertöchter stehen direkt
bei mir und verstehen mich, bei dem Rest der Anwesenden mag das schon
schwieriger sein.
Ich zitiere in der Rede ein serbisches Sprichwort und finde
offenbar die richtigen Worte, die Söhne weinen und auch der Ehemann ist sichtlich
gerührt.
Am Ende der Rede wende ich mich zum Grab und verbeuge mich,
auf einer Staffelei steht ein Bild der verstorbenen Frau, sie war sehr hübsch,
58 Jahre alt, blond und zierlich.
Dann trete ich zur Seite und alle haben Gelegenheit zum
Abschied, es werden Blumen ins Grab geworfen, viele weinen oder sprechen noch
einmal am Grab Worte des Abschiedes.
Ich verabschiede mich von der Familie und gehe zurück zum
Ausgang unterwegs treffe ich den Mitarbeiter von „Stiefelknecht“ und drücke ihm
den Umschlag mit meiner Rechnung in die Hand, dieser Discounter gibt kein
Bargeld sondern überweist das Rednerhonorar auf das Konto.
Als ich wieder an der Kapelle ankomme steht dort im Kreis
versammelt die andere Trauergemeinde, mittendrin der Priester und der kleine
Bestatter mit der üppigen Lebensgefährtin, er hat eine Urne auf dem Arm und
guckt mich schief von der Seite an.
Er erkennt mich offenbar und guckt wieder weg, seit er mir
mal eine Trauerfeier mit einer völlig bekloppten Familie vermittelt hat, welche
sich bei der Feier völlig daneben benommen hat, bestellt er mich nicht mehr und
mir ist es recht.
Ich gehe zurück zu meinem Wagen und bin froh gleich zuhause
zu sein, denn es ist keine Freude bei diesem Sommerwetter im dunklen Anzug
unterwegs zu sein.
Sehr schön geschrieben.
AntwortenLöschenIch stelle mir das auch sehr schwierig vor, allein mit so einer Krankheit fertig werden zu müssen. Die Frau wird sicher gewusst haben, dass sie stirbt. Umso schwerer ist es, mit niemandem darüber reden zu können. Schließlich haben fast alle Angst, wenn der Tod sichtbar bevor steht.
Wahrscheinlich haben es sich die Angehörigen aber so auch selber schwerer gemacht, denn sie konnten ja gar nicht richtig Abschied nehmen, erst als es schon geschehen war.
Gibt es die Geschichte mit der sich daneben benehmenden Familie denn hier? Ich frage mich echt, wie man sich daneben benehmen muss, dass es solche Nachwehen hat.