Mittwoch, 24. Juli 2013

Saunagang



Mein Lieblingsbestatter hat einen Auftrag für mich, eine Trauerfeier an der Urne, die Beisetzung wird später anonym erfolgen.
Ich vereinbare einen Termin mit der Familie, das Gespräch wird im Hause der Schwester der verstorbenen Frau stattfinden, der Ehemann und der Sohn kommen hinzu.
Am besagten Abend fahre ich in die Kleine Anliegerstraße, alles ist zugeparkt, den letzten Parkplatz schnappt mir ein Mann weg, welcher aussteigt und in das Haus Nummer 10 geht, dorthin muss ich auch.
Ich drehe eine erneute Runde und finde ganz hinten im Wendehammer einen Parkplatz.
Es ist ein warmer Abend und ich mache mich auf den Weg zum Haus Nr.10, ich schelle und die Schwester der verstorbenen Frau öffnet mir.
Ich werde hereingebeten, der Schwager ist auch anwesend und der Herr welcher mir den letzten Parkplatz klaute, stellt sich als der Witwer heraus.
Wir setzen uns an den großen Esstisch und die Schwester verteilt Wassergläser, es ist reichlich warm aber es nützt nichts, wir müssen da nun durch.
Man berichtet mir von der verstorbenen Frau, 57 Jahre ist sie alt geworden, seit fast 20 Jahren hat sie gegen den Krebs gekämpft bis es nun nicht mehr ging.
Die Familie wünscht sich eine Trauerfeier welche der verstorbenen Karin entspricht, es soll Musik von Udo Jürgens und von Queen gespielt werden, der Neffe will selber singen und der Schwager ebenfalls eine kurze Rede halten.
Ich stehe diesen Ideen positiv gegenüber, schreibe vieles mit und verlasse nach drei Stunden das Haus, mir schwirrt der Kopf ob aller Informationen über Karin und ihre Familie.
Der Ehemann kam teilweise gegen seine Schwägerin kaum an, er wirkte auf mich eher zurückhaltend und war wohl auch ganz froh, dass seine Schwägerin alles regelte.
Ich beginne also mit der Arbeit an der Rede, als mich ein Anruf von „Bestattungen Dünkel“ erreicht, die Familie habe noch andere Musikwünsche und der Ablauf der Feier sei auch neu geplant worden.
Man wolle nun auch einen Song von Peter Maffay und der Schwager wisse nicht, ob er es schaffen würde vor den Gästen zu sprechen.
Ich biete an ihm beizustehen, er könne mir seine Worte per Mail zusenden und wenn er merkt, dass es nicht geht, dann springe ich ein.
Alle sind froh und einverstanden, mir fehlt aber immer noch der Song von Maffay, denn schließlich möchte ich wissen wo der Text inhaltlich anzusiedeln ist.
Bei „Bestattungen Dünkel“ treffen fast täglich neue Sonderwünsche der Familie ein, selbstverständlich wird alles möglich gemacht, nur der Ton der Schwester könnte freundlicher sein…
Mittlerweile weiß ich, um welchen Song es sich handelt, ich kann also meine Rede darauf abstimmen.
Am Tag der Trauerfeier treffe ich sehr zeitig ein, in der Halle des Bestatters herrscht bereits reges Treiben.
Die rote Urne ist in der vorderen Mitte der Halle aufgestellt worden, umringt von einem Kranz mit roten Rosen und weißen Tüchern, in hohen Gläsern stehen rote und weiße Kerzen.
Ein Keyboard ist schon aufgebaut und ein junger Mann versucht der hauseigenen Orgel das „Ave Maria“ zu entlocken.
Die Schwester der verstorbenen Karin springt in der Halle umher und gibt letzte Regieanweisungen.
Der Bestatter nimmt mich zur Seite und lässt mich wissen, dass man mich noch kurz sprechen möchte.
Die Schwester eilt bereits geschäftig herbei und teilt mir mit, dass wir den Ablauf nun nochmal umstellen, ich bitte erwähnen möchte in welchem Verhältnis der Mann am Keyboard zur verstorbenen Karin steht und dass der Song von Maffay auf Wunsch der Verwandtschaft in Australien gespielt wird, diese könne leider nicht dabei sein, aber man werde die Feier aufzeichnen und die CD nach Australien senden.
Ich zücke also Zettel und Stift und notiere die neuen Wünsche, der Mitarbeiter von Dünkel ebenfalls, schließlich legt er die CDs ein und muss wissen für welche Reihenfolge man sich nun entscheiden will.
Unterdessen treffen die ersten Gäste ein, viele erscheinen in normaler Kleidung, einige Damen in kurzen bunten Sommerkleidchen.
Eine Dame um die fünfzig trägt ein dunkelblaues Kleidchen welches mich spontan an ein Nachthemd erinnert, eine andere Dame um die sechzig trägt ein schwarzes Shirt ohne Ärmel und präsentiert uns allen ihr ärmeliges Winkfleisch.
Die ersten drei Reihen in der großen Halle sind für die Familie reserviert, die restlichen Plätze füllen sich sehr schnell, bereits eine Viertelstunde vor Beginn der Feier sind alle Plätze belegt, wer jetzt noch eintrifft muss hinten stehen.
Ich stehe an dem Pult auf dem das Kondolenzbuch liegt und stelle meine kleine Wasserflasche darauf ab, in diesem Moment kommt der Schwager auf mich zu um sich zu versichern, dass ich auf jeden Fall einspringe, falls ihm die Worte wegbleiben sollten, er gestikuliert aufgeregt herum und stößt meine Wasserflasche vom Pult. Sie knallt zu Boden, der Deckel springt ab und eine Fontäne ergießt sich in die Vordiele der Halle.
Eine Frau kommt mit Papiertüchern angelaufen und tritt die Pfütze im Teppich damit trocken, ich bin froh, dass der Mitarbeiter von „Dünkel“ das nicht sieht und verziehe mich in Richtung Eingangstür um weitere Gäste zu begrüßen.
Ein junger Mann betritt die Halle, er trägt auf dem Kopf einen Dutt, welcher jeder Oma gut stehen würde, dazu ein geblümte Bluse und eine kurze Latzhose im Stil einer Lederhose für kleine Jungs, an den Füßen trägt er schwarze offene Lackschläppchen. Er stolziert mit einer Grazie durch die Halle, welche Jorge Gonzales zu einer Planschkuh degradiert.
Es stellt sich heraus, dass der junge Mann der Neffe von Karin ist, er wird ein Stück von Barbra Streisand singen.
Mittlerweile treffen immer mehr Gäste ein, teilweise stehen diese in der Diele weil kein Platz mehr in der Halle ist, die Schiebetür muss offen bleiben, damit alle an der Feier teilnehmen können.
Es ist brüllend heiß draußen, die Luft in der Halle ist zum Schneiden dick, die Kerzen tun ihr übriges.
Es geht auf 13:00 Uhr zu und wir beginnen mit der Feier, der junge Mann am Keyboard spielt ein Stück, dann beginne ich zu sprechen, langsam rinnt mir der Schweiß den Rücken herunter, einige Damen haben Fächer dabei und sorgen so für Frischluft vor ihrer Nase.
Nach meiner Rede werden die gewünschten Musikstücke gespielt, der Neffe singt und der Schwager redet, er kommt gut zurecht und braucht meine Hilfe nicht.
Am Ende erklingt ein Song von Queen, dann steht die Schwester auf und klatscht, alle anderen erheben sich ebenfalls und tosender Applaus füllt die Halle.
Der Mitarbeiter von „Dünkel“ öffnet die Eingangstür und die ersten Gäste strömen nach draußen.
Einige tragen sich noch in das Kondolenzbuch ein, andere bedanken sich bei mir für die Rede.
Alle haben Schweißperlen im Gesicht, einige Männer haben klatschnasse Oberhemden an, auch mir ist deutlich warm.
Viele Gäste suchen noch das Gespräch mit der Schwester, der Witwer steht etwas verloren in der Halle, er ist bei dieser Veranstaltung eindeutig eine Randfigur.
Schließlich leert sich die Halle, die Gäste fahren nun zum Leichenschmaus, der Witwer bedankt sich noch bei mir und geht auch.
Zurück bleibt die rote Urne, Karin wird anonym beigesetzt, sie hat es sich so gewünscht und damit ihrer Familie keinen Ort zum Trauern gegeben, niemand soll dabei sein, wenn sie beigesetzt wird, das war ihr Wunsch.
Ich sehe die Trauer des Witwers und der Söhne und bin mir nicht sicher, ob Karin ihrer Familie mit ihrem Wunsch einen Gefallen getan hat.


1 Kommentar:

  1. Wenn ich das so lese, dann kommt mir der (leicht zynische) Gedanke, dass Karin sicherstellen wollte, dass ihre Schwester die Grabstätte nicht vollkommen unter ihre Kontrolle bringt und ganz eigene Regeln für die Trauerarbeit aufstellt.

    Trotzdem ist eine anonyme Bestattung für Angehörige sicherlich immer schwierig, wenn es sich nicht um eine von allen Beteiligten bevorzugte und akzeptierte Bestattungsvariante handelt.

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