Montag, 21. Oktober 2013

Lug und Trug!




Ich bin auf dem Weg zu einem Trauergespräch und kreise durch D. als mein Handy bimmelt, an der Melodie erkenne ich, dass es ein Bestattungshaus sein muss und richtig, es ruft der „Bestattungsdiscounter Stiefelknecht“ an, für den ich sowieso grade im Einsatz bin.
Ich melde mich und die Mitarbeiterin fragt in höchster Not ob ich übermorgen eine Trauerfeier zur Einäscherung halten könnte, sie würde den Termin auf 10:00 Uhr legen, weil ich ja um 13:00 Uhr den Termin in D. habe.
Ich stimme zu und werfe sie aus der Leitung, denn dank irgendeines mysteriosen Umstandes nimmt mein tolles Autoradio die Gespräche nicht mehr an und ich muss während der Fahrt das Handy ans Ohr halten…
So kommt es also, dass ich um 18:00 Uhr bei Familie S. im Wohnzimmer sitze und erfahre, dass Tim sich umgebracht hat.
24 Jahre war er alt und keiner könne sich erklären, was ihn dazu getrieben habe.
Mit mir am Tisch sitzen sein Vater mit seiner Ehefrau, seine Mutter mit Ehemann und der Sohn von Vaters Ehefrau aus erster Ehe.
Alle sind fix und fertig und noch dazu hat Tims Selbstmord seinen Vater und dessen Ehefrau aus den Flitterwochen geholt, die beiden haben vor 14 Tagen geheiratet!
An der Wand lehnt ein großes Bild von Tim, es zeigt ihn in voller Größe, er trägt einen schönen Anzug, welchen er sich zur Hochzeit seines Vaters extra gekauft hatte.
Ich schaue mir das Bild an und sehe einen offensichtlich homosexuellen, jungen hübschen Mann.
Im weiteren Verlauf des Gespräches frage ich nach den Umständen des Selbstmordes und erfahre dass Tim Krankenpfleger war und sich mit Hilfe starker Medikamente das Leben genommen hat.
Die Mutter betont immer wieder, dass man wohl glaube, er habe sich umgebracht, weil er mit seiner Leserechtschreibschwäche nicht zurecht gekommen sei, außerdem habe er  an einem „späten ADHS“ gelitten und sich oftmals unruhig gefühlt.
Ich bin überrascht und stelle weitere Fragen, aber die Mutter ist eher abweisend und schroff, trotzdem sehr eloquent.
Sie beschreibt ihren Sohn als immer sehr gepflegt, gefühlvoll und sehr beliebt, seine Kleidung sei immer etwas „ausgefallen“ gewesen.Tim sei sehr speziell und außergewöhnlich.
Er habe die Kirche abgelehnt, sei aber spirituell gewesen, ich frage daher, ob er einen Art „Bohème“ gewesen wäre, worauf die Mutter empört abwehrt und mir erklärt, diesen Begriff kenne sie nicht und habe ihn noch niemals gehört!!
Nach dieser Klatsche frage ich vorsichtiger weiter und erfahre, dass auf der Trauerfeier auch drei seiner Freunde sprechen wollen, ich begrüße das außerordentlich, grundsätzlich immer und in diesem Fall ganz besonders.
Die Familie ist eher verschlossen und offensichtlich um jeden Preis dazu bereit, mich für doof zu verkaufen.
Ich frage weiter und wir einigen uns auf einen Ablauf für die Feier, allerdings wisse man noch nicht, welche Musik man wolle, aber auf keinen Fall die Orgel, es solle von der CD gespielt werden.
Wir vereinbaren, dass man mir am nächsten Tag die Musikwünsche zukommen lässt, immerhin steht schon fest, dass es Stücke von „Unheilig“ werden sollen.
Ich verabschiede mich und wundere mich insgeheim über diese Familie, die auch so gar nicht in den Kundenkreis des Discounters Stiefelknecht passt.
Wahrscheinlich hatte Stiefelknecht Dienst als man Tim in seiner Wohnung fand und die Kripo hat der Familie nicht erzählt, dass sie trotzdem einen anderen Bestatter beauftragen dürfen…
Am nächsten Tag habe ich keine Mail mit den Musikwünschen vorliegen, ich rufe also an und frage nach. Die Ehefrau des Vaters nennt mir die Stücke von Unheilig und sagt:“ Wir wollen am Ende der Feier ein Stück von Queen, „Bohemian Rhapsody“.
Fast wäre mir das Headset vom Ohr gefallen, ausgerechnet diesen Song, wo doch die Mutter mit dem Begriff „Behème“ angeblich so gar nichts anfangen kann? Man meint offenbar ich setze mir den Hut mit dem Hammer auf und komme aus Dummsdorf!
Da ich nun die Musikwünsche habe, koche ich mir eine Kanne Tee und verziehe mich an meinen Schreibtisch, die Feier findet am nächsten Morgen statt. Die Familie hat Eile, denn Tim war einige Tage bei der Kripo und nun möchte man endlich Abschied nehmen.
Am nächsten Morgen treffe ich pünktlich an der Kapelle ein, die Mitarbeiter von Stiefelknecht sind bereits vor Ort und Tims Sarg steht bereits vorne. Man hat den Sarg einfach mit den hinteren Füßen auf zwei Stufen gestellt, das Deckelgesteck draufgelegt und fertig.
Es gibt keine Tücher, keine Kerzen, keine Deko, der Sarg ist ein billiger Verbrenner, selbst eine Wäschetruhe von Ikea hätte hier besser ausgesehen.
Auf dem Stuhl in der ersten Reihe steht ein Bild von Tim, leider ist es zu groß für die Staffelei von Stiefelknecht, welche vor Hässlichkeit besticht.
Also stelle ich das Bild vor den Sarg und drapiere eine Rose aus dem Gesteck über dem Rand, das sieht eigentlich sehr nett aus, leider sagt es der Mutter nicht zu, diese ist grade eingetroffen und verlangt nun zu wissen, warum das Bild auf dem Boden stehe.
Man erklärt ihr, dass es zu groß für die Staffelei wäre und es so doch auch schön wäre.
Ich finde die Situation total bekloppt, warum kann Stiefelknecht sowas nicht vorher testen? Warum merkt man jetzt erst, dass es nicht passt, warum müssen die Angehörigen dabei sein, wenn noch Vorbereitungen laufen?
Die Mutter besteht schließlich darauf, dass links neben dem Sarg ein Stuhl aufgestellt wird auf dem das Bild nun abgestellt wird, das ist zwar nicht schöner, aber die Mutter gibt Ruhe.
Danach kommt sie zu mir und blökt mich an, sie wolle mit Tims Vater etwas unter vier Augen besprechen, wir sollten alle rausgehen.
Höflich weise ich sie daraufhin, dass es ein kleines Zimmerchen an der Seite der Kapelle gibt, dorthin könne sie sich zum Gespräch zurückziehen.
Mittlerweile treffen die ersten Gäste ein, die kleine Kapelle füllt sich und der Mitarbeiter von Stiefelknecht zündet die letzten Kerzen auf den Fensterbänken an, auch das hätte schon vorher erledigt werden können…
Pünktlich um 10:00 Uhr beginnen wir mit der Feier, Musik von „Unheilig“ erklingt, ich begrüße die Trauergemeinde und beginne mit der Rede.
Danach hören wir noch einmal „Unheilig“ und wie verabredet trete ich an die Seite und erwarte die erste Rednerin aus dem Freundeskreis. Diese hat sich leider in der Mitte einer Reihe platziert und muss erst umständlich aufstehen und nach vorne kommen, auch hier wäre etwas mehr Organisation ratsam gewesen.
Nacheinander sprechen nun die drei jungen Menschen, dann hören wir „Die besten sterben jung“ von den Onkelz.
Nachdem Tims Stiefbruder gesprochen hat, geht er zum Sarg und geht in die Hocke, er schaut auf den Sarg und leider auch auf das Pappschild des Discounters Stiefelknecht, welches am Sarg befestigt ist, auch hier wundere ich mich über diese Geschmacklosigkeit, man hätte das doofe Ding auch abnehmen können für die Dauer der Feier.
Der junge Mann verharrt vor dem Sarg, schließlich steht seine Mutter aus der ersten Reihe auf und nimmt ihren Sohn am Arm und führt ihn weg, sicherlich hat sie es gut gemeint, aber warum stört sie diesen Moment und lässt ihren Sohn nicht selber entscheiden, wie lange er verharren möchte?
Ich trete noch einmal ans Pult, sage noch ein paar Worte, weise auf das Kondolenzbuch am Ausgang der Kapelle hin und dann erklingt die „Bohemian Rhapsody“
Danach verlasse ich das Rednerpult und verbeuge mich vor dem Sarg, dann gehe ich zur Seite.
Als nächstes geht Tims Vater mit seiner Frau nach vorne, der Vater fällt auf den Stufen auf die Knie, lehnt sich über den Sarg und weint, auch er wird von seiner Frau am Arm weggezogen, offenbar ist die Frau der Meinung, man müsse Trauernden diesen kostbaren Moment streitig machen.
Dann tritt Tims Mutter mit ihrem Mann an den Sarg, auch sie geht in die Knie, liegt mit dem Oberkörper auf dem Sarg und weint, ihr Mann lässt sie in Ruhe, sie steht von selber wieder auf und geht nach vorne.
Die Familie hat ausdrücklich darum gebeten, nicht mit ansehen zu müssen, wie Tims Sarg von den Mitarbeitern weggetragen wird, also sammelt sich die Trauergemeinde im Eingangsbereich, viele wollen sich in das Kondolenzbuch eintragen, also müssen die Mitarbeiter von Stiefelknecht den Sarg durch die schmale Hintertreppe heraustragen, sie haben Zeitdruck und müssen los.

Tim wird verbrannt werden und seine Asche soll in Holland verstreut werden, man brauche kein Grab und keinen Ort zum trauern.
Ob das eine kluge Entscheidung ist, wage ich zu bezweifeln, aber ich bin froh, diese Familie los zu sein, die garstige Art der Mutter war mir zuviel.