Montag, 25. November 2013

Lehrgeld





Mein Telefon bimmelt, ich hebe ab und am anderen Ende stellt sich eine junge Frau vor, sie habe mich im Internet gefunden und wolle fragen, ob ich bereit sei die Trauerfeier für ihren Vater zu übernehmen. Sie erkundigt sich nach meinem Aktionsradius, man lebe in W. das wäre für mich ca. 25km pro Strecke.
Ich versichere ihr, dass es daran nicht scheitern soll. Weiterhin fragt sie nun, ob ich schon mal jemanden beerdigt hätte, der an Krebs verstorben sei? Ich versichere ihr, dass das schon mehrfach der Fall war.
Dann kommt sie auf den Preis zu sprechen, sie erklärt mir, man sei „finanziell beengt“ und die Feier für ihren Vater müsse „preisbewusst“ gestaltet werden.
Ich fasse mir ein Herz und frage, ob es sich um eine Sozialbestattung handelt, dass verneint die Tochter, wiederholt aber, dass man „beengt“ sei.
Ich denke kurz nach und nenne meinen allerkleinsten Bauchschmerzpreis, dieser liegt knapp über dem einer Sozialbestattung, die Tochter notiert sich den Preis und sagt mir, sie wolle sich das überlegen und wieder anrufen.
Tatsächlich, zwei Tage später ruft sie wieder an und möchte nun den Auftrag an mich vergeben, wir verabreden einen Termin für das Trauergespräch und ich notiere den Termin für die Trauerfeier, welche erst in vier Wochen sein wird, da es eine Feuerbestattung werden wird.
Am besagten Tag fahre ich also zum Gespräch nach W. Ich bereite mich also innerlich auf eine Familie in bescheidenen Verhältnissen vor und nehme mir vor, gemeinsam mit den Angehörigen eine würdevolle Feier zu planen, schließlich ist das auch preiswert möglich.
Mein Weg führt mich in eine schnuckelige kleine Straße, schöne Altbauten in Form von Ein-und Zweifamilienhäusern säumen den Weg, als mein Navi mich darauf aufmerksam macht, dass ich mein Ziel erreicht habe.
Ich gucke auf die Hausnummer und tatsächlich, das gelbe Zweifamilienhaus ist meine Zieladresse.
Gegenüber ist eine Parklücke frei, ich setze meinen Minivan hinein und steige aus. Schnittig kommt ein dunkler BMW vorgefahren und biegt in die Einfahrt ein, in der schon ein VW Cabrio steht.
Der Herr welcher dem BMW entsteigt erweist sich als der Sohn des Verstorbenen, gemeinsam treten wir also ein.
Die Witwe öffnet im Erdgeschoß die Wohnungstür, wir begrüßen einander und ich werde durch eine geschmackvolle Wohnung in ein großes Wohnzimmer geführt.
Wir nehmen alle am Esstisch Platz, die Tochter, welche oben im Haus wohnt, kommt dazu.
Ich bin baff, das hätte ich nicht erwartet, unter „finanziell beengt“ hatte ich mir was anderes vorgestellt!
Auf dem Tisch liegen zahlreiche Briefe und Unterlagen, der Sohn greift danach und öffnet die Briefe und studiert diese, während ich mich mit der Tochter und der Witwe unterhalte. Er bringt sich kaum in das Gespräch ein, er sortiert die Unterlagen, unter einem Blatt blitzt eine goldene Karte eines Geldinstitutes vor…
Die Tochter erzählt viel über den Vater, die Witwe antwortet nur auf meine direkte Ansprache, der Sohn ist fertig mit sortieren und verabschiedet sich. Ich unterhalte mich noch eine Weile mit den beiden Frauen und erfahre, dass die Urnenbeisetzung im allerkleinsten Kreis stattfinden wird, die Feier sei gedacht für die Verwandtschaft, diese habe über 600km Anreise und komme extra für die Feier in der Schlosskapelle.
Schlosskapelle?? Die Tochter berichtet mir, man habe die Schlosskapelle angemietet, das Schloss sei ganz in der Nähe und nach der Feier wolle man mit ca. 30 Gästen im Schloss noch Kaffee und Kuchen einnehmen. Außerdem habe man eine Sängerin engagiert, welche zur Feier zwei Stücke vortragen werde.
Ich fühle einen leichten Groll in mir aufsteigen, sage aber nichts. Unter „finanziell beengt“ fällt alles das meiner Ansicht nach nicht mehr, ich fühle mich verschaukelt.
Also verabschiede ich mich höflich und fahre durch die Dunkelheit zurück nach Hause, ich bin um 17:30 Uhr in H. aufgebrochen und um 20:30 Uhr wieder daheim.
Ich bin so verärgert über diese Familie, dass ich bereits am nächsten Tag meine Rechnung in die Post gebe, normalerweise hätte ich damit gewartet, bis zum Tag nach der Feier aber in diesem Fall bin ich einfach nur sauer!
Natürlich gönne ich dem verstorbenen Mann eine würdige Feier, aber ich hätte auch mir mein angemessenes Honorar gegönnt.
Trotzdem bereite ich mich sorgfältig vor, schreibe die Rede und versuche meinen Ärger zu verdrängen.
Zwei Tage vor der Feier kontaktiert mich die Tochter abermals und teilt mir mit, dass der Weg zum Schloss durch eine Umleitung führe, wegen einer Baustelle. Ich plane das mit ein und fahre zeitig los, die Feier ist geplant für 14:00 Uhr, ich möchte natürlich pünktlich sein.
Die Autobahn ist schön frei am Samstagmittag, ich kann also zügig fahren und die Umleitung entpuppt sich als Umweg durch drei kleine Straßen und über einen kurvigen Feldweg, ich fahre durch Felder und Wiesen und stehe schließlich vor dem Parkplatz des Schlosses.
Hier gibt es einen Hofladen, eine Kunstausstellung und die kleine Kapelle, der Biergarten im Schlosshof ist ob der Kälte geschlossen.
Ich öffne die Tür der Kapelle, die Tochter und die Witwe sind schon da, ich nun auch, aber leider fast eine Stunde zu früh, denn ich hatte mich ja auf eine Baustelle eingestellt.
Auf dem Altar der Kapelle steht ein großes Photo des verstorbenen Mannes, direkt daneben eine prachtvolles und üppiges Gesteck aus weißen Lilien und anderen weißen Blumen. Ich würde den Preis für dieses Gesteck locker auf 150 Euro beziffern.
Mein verdrängter Ärger meldet sich wieder, ich bleibe aber höflich und unterhalt mich mit der Tochter, sie fragt mich, seit wann ich meinen Beruf ausübe und sagt“: Das ist doch bestimmt ein tolles Geschäft, was sie damit machen, es werden ja immer mehr Redner für Beerdigungen genommen“
Ich versichere ihr, dass es auch noch genügend Pfarrer gibt und genügend Familien, welche ihre Angehörigen durch die Kirche verabschieden lassen.
Innerlich könnte ich platzen, diese Familie ist an Dreistheit kaum zu überbieten, man leiert mir einen kleinen Preis aus dem Kreuz, fährt hier Furz und Feuerschein auf und ist noch der Ansicht, ich mache hier ein Bombengeschäft!!
Da öffnet sich die abermals die Tür der Kapelle und die Sängerin kommt herein, wir begrüßen einander, dann möchte sie die Akustik testen und sich einsingen.
In der Kapelle ist es bitterkalt, während sie ihre Töne schmettert, stößt sie dicke weiße Atemwolken hervor.
Mir ist anders zumute, ich würde am liebsten Feuer speien, so wütend bin ich!
Mittlerweile treffen die ersten Gäste ein und ich nehme in der ersten Reihe ganz außen Platz und lese mich noch mal durch mein Manuskript. Da es kein Rednerpult für mich gibt, habe ich meine Blätter in der Hand und knicke die linke untere Ecke nach oben, damit ich die Blätter beim umblättern besser fassen kann.
Nach und nach füllt sich Kapelle, alle nehmen Platz und frieren bitterlich, ich auch. Hinter mir höre ich wie eine Frauenstimme sagt:“ Naja, mit Trauer ist ja wohl nix mehr, es ist ja schon sieben Wochen her“
Ich bin erschüttert über diese Aussage und frage mich, warum diese Frau gekommen ist, wenn sie sowieso mit ihrer Trauer um Herrn B. fertig ist.
Während ich meinen Gedanken nachhänge, öffnet sie die Tür der Kapelle schwungvoll und ein junger Mann betritt voller Elan den Raum, er hat eine gelbe Plastikkiste in den Händen und ruft ein lautes und fröhliches „Hallo“ in die Runde. „ Hallooo“ tönt es mehrstimmig zurück…in der Kiste hat er klappernde Tassen und Kannen mit heißem Tee, er bietet fröhlich an, aber keiner möchte.
Endlich nimmt er Platz und gibt Ruhe, ich blicke zur Tochter hinüber, diese nickt und ich gehe nach vorne und beginne mit meiner Rede. An der verabredeten Stelle nicke ich der Sängerin zu, sie erhebt sich und schmettert los, danach fahre ich fort und bemühe mich gegen den Geräuschpegel in der Kapelle anzureden.
Alle vier Enkel des Herrn B. sind anwesend, alle im Alter zwischen drei und fünf Jahren und alle sind nicht willens still auf dem Schoß der Eltern zu sitzen, sie flitzen durch die Kapelle, knöttern und jammern, rutschen doch wieder auf den Schoß der Eltern, dann wieder zurück und ein Kind reißt krachend Muttis Tasche auf den Boden.
Ungerührt fahre ich fort, ich friere erbärmlich und offen gesagt, ist es mir egal, was diese Leute hier veranstalten, ich habe kein Verständnis dafür, dass man es offenbar versäumt hat eine Kinderfrau zu engagieren, welche mal für eine Stunde die Kinder im Nebenraum bespaßt hätte.
Ich komme zu Ende meiner Rede, die Sängerin ist noch mal dran und singt tapfer gegen die vier Kinder an, dann erklingt Musik von der CD, alle erheben sich und strömen dem Schloss zu, dort ist es warm und es warten Kaffee und Kuchen.
Die Witwe bedankt sich bei mir für meine Rede und bittet mich zum Kaffee, aber ich lehne freundlich ab, denn ich habe noch einen privaten Termin, es ist schließlich Samstag.
Ich steige in meinen Wagen und drehe die Heizung auf, dann fahre ich zurück nach H. Ich versuche meinen Ärger loszuwerden und beschließe zukünftig keine Sonderpreise mehr anzubieten.
Das mag zum Nachteil derer sein, welche tatsächlich beengt sind, aber so geht das nicht. Diese Familie hat meine Gutherzigkeit schamlos ausgenutzt, alles war vom allerfeinsten, nur an meinem Honorar hat man gespart.
OK, ich habe hier Lehrgeld bezahlt, sowas ist mir zum ersten Mal passiert und auch zum letzten Mal, zukünftig gilt entweder der Preis einer Sozialbestattung, sofern es eine ist, oder mein Honorar, welches sich nach den zu fahrenden Kilometern leicht verändert.
Sonderpreise räume ich nur noch ein, wenn ich z.B. vom Bestattungshaus ausdrücklich gebeten und sorgfältig informiert werde!