Samstag, 28. Februar 2015

Eiskalte Rasierklingen



Ich erhalte einen Auftrag meines Lieblingsbestatters, eine ältere Dame ist verstorben, ich erhalte wie immer die Daten der Familie und melde mich dort telefonisch.
Wir vereinbaren einen Hausbesuch am Abend, als ich eintreffe ist es schon dunkel und das Haus ist weihnachtlich erleuchtet.
Todesfälle in der Adventszeit sind immer hochsensibel, denn grade in dieser kuscheligen Jahreszeit ist es noch schlimmer einen lieben Menschen zu verlieren.
Ich betätige die Klingel und die Tochter der verstorbenen Frau öffnet mir die Tür und begrüßt mich freundlich.
Sie bittet mich in ihre Wohnung, unten wohnt sie mit ihrer Familie, oben wohnen ihre Eltern, bzw. jetzt nur noch ihr Vater. Im Wohnzimmer sitzen bereits besagter Witwer, Herr R., der Schwiegersohn, eine weitere Tochter und ein Enkel mit seiner Ehefrau.
Der Raum ist sehr geschmackvoll eingerichtet und auch hier ist alles sehr liebevoll weihnachtlich dekoriert.
Ich nehme Platz und die Tochter bietet mir einen Tee mit Weihnachtsgewürzen an, es fällt mir schwer nun meine Mappe aufzuklappen und das Gespräch über die verstorbene Frau zu beginnen.
Es hilft aber nichts, also taste ich mich vorsichtig heran und frage, was denn gewünscht wird, wie die Trauerfeier gestaltet werden soll und ob es Musikwünsche gebe.
Der Witwer beginnt sofort zu weinen und kann sich nur schwer fassen, dann berichtet er aufgeregt, seine Frau sei einem ärztlichen Kunstfehler zum Opfer gefallen, alles sei verpfuscht worden, eine kleine Operation sollte es werden, aber nichts habe geklappt, man habe erneut operieren müssen und seiner Frau sei es immer schlechter gegangen, letztlich sei sie auf die Intensivstation gekommen und dort auch verstorben. Die Ärzte seien an allem schuld, alle hätte keine Ahnung gehabt und nun, drei Monate vor dem 60. Hochzeitstag sei ihm die Frau gestorben.
Alles sei schon geplant gewesen für die Feier zum Hochzeitstag, man habe einen Saal gemietet, Musik bestellt, Buffet in Auftrag gegeben und Einladungen verschickt und nun das.
Der Witwer weint laut vor sich hin und die Tochter reicht ihm eine Box mit Taschentüchern. Ich bin berührt von seiner Trauer und mir wird klar, dass ich hier besonders vorsichtig agieren muss.
Ich wende mich also den anderen Familienmitgliedern zu und lasse mir noch einiges erzählen, alle sind sehr traurig, denn die verstorbene Dame war offenbar der Mittelpunkt der Familie. Ihre Kochkünste werden hochgelobt, ihre Kuchen seien die allerbesten gewesen und Mutter sei immer sehr gastfreundlich gewesen. Man habe quasi ein offenes Haus geführt, Freunde der Kinder waren stets willkommen und wurden herzlich bewirtet, es sei immer eine Atmosphäre gewesen.
Auch in späteren Jahren habe Mutter immer für jeden ein Herz und ein offenes Ohr gehabt, sie habe immer an alle gedacht nur nie an sich selbst.
Auch die Enkelkinder waren ihre stete Freude, sodass ein Familienleben ohne Mutter nun undenkbar sei.
Ich mache mir einige Notizen und frage nochmal nach Musikwünschen, es soll ein Stück von Trude Herr gespielt werden, „Niemals geht man so ganz“ und ein weiteres Stück von Unheilig.
Ich seuftze innerlich, Unheilig wird mittlerweile auf jeder zweiten Feier gedudelt und geht mir schon auf die Nerven. Aber wenn die Angehörigen es hören wollen, dann bitte.
Ich habe genug Informationen zusammen und verabschiede mich, die Familie erhält von mir meine Rednerkarte und den Hinweis, dass ich bis zur Trauerfeier jederzeit zu sprechen bin, aber es meldet sich niemand und so bereite ich die Feier wie besprochen vor.
Am Tag der Beisetzung ist es bitterkalt, es ist kurz vor Weihnachten und der Wind pfeift schnittig über den Deich.
Auf dem kleinen Friedhof im Dorf haben sich bereits einige Trauergäste versammelt, ich grüße freundlich und betrete die kleine Kapelle, der Mitarbeiter ist schon dabei den Sarg zu schmücken und die Kerzen anzuzünden.
Ich wünsche einen guten Morgen und lege meine Mappe auf dem Rednerpult ab, dann helfe ich schnell noch einige Kerzen zu entzünden.
Der Mitarbeiter reicht mir einen Umschlag mit Bargeld, er bekommt von mir das Kuvert mit meiner Rechnung, er öffnet es, zieht die Rechnung hervor und ich quittiere ihm den Empfang des Geldes.
Dann testen wir den CD Spieler, alles ist bestens und ich gehe hinüber zu den sechs Trägern, welche nach der Trauerfeier den Sarg aus der Halle ziehen werde und ins Grab ablassen werden.
Wir verabreden, dass ich am Grab erst den kurzen Text lese und die Herren dann den Sarg absenken, alles ist besprochen und die sechs Herren gehen noch einmal vor die Tür um eine zu rauchen.
Ich begebe mich an mein Rednerpult und lese meine Text nocheinmal durch, es ist schrecklich kalt in der Halle und ich beschließe meinen Mantel anzubehalten, denn direkt nach der Rede reihe ich mich ja zum Auszug hinter den sechs Trägern ein.
Langsam füllt sich die Trauerhalle, die Familie kommt zuletzt und nimmt in den vorderen Reihen Platz, der Witwer sieht schlecht aus, er wirkt müde und trägt dicke Wanderschuhe mit Profilsohle, denn draußen liegt seit einigen Tagen Schnee.
Als alle Gäste anwesend sind, schließt der Mitarbeiter von „Bestattungen Dünkel“ die Tür der Kapelle und startet den CD Spieler, Graf Unheilig sing sein finsteres Liedgut, danach spreche ich. In der Mitte der Rede hören wir Trude Herr zu, dann spreche ich weiter, am Ende der Rede erkling ein weiteres Mal der unheilige Graf.
Dann ist alles wie immer: Die sechs Träger kommen nach vorne, verbeugen sich, heben den Sarg an und tragen ihn durch den Mittelgang bis zur Tür, dort wartet der kleine Leichenwagen. Der Sarg wird auf die Bahre geschoben, einer der Herren zieht vorne an der Lenkstange, die anderen schreiten würdig nebenher, ich folge.
Hinter mir geht zuerst die Familie, dann folgen die anderen Gäste.
Wir gehen gemessenen Schrittes zum Grab, es ist nebelig, kalt und windig, ein kalter grauer Vormittag an dem man lieber am bullernden Ofen bleibt, als über einen zugigen Friedhof zu gehen.
Mittlerweile sind wir am Grab angekommen, rechts und links der Gruft liegen Metallschienen auf denen es ob des Wetters leider sehr glatt ist. Die sechs Träger haben alle Mühe die Schienen zu betreten und den Sarg sicher zu halten. Sie stellen ihn schliesslich auf den beiden Holzbalken ab, welche über dem Erdloch liegen und warten darauf, dass ich meinen Text verlese.
Inhaltlich geht es dabei um Gedanken, welche sich ein sterbender Mensch macht und versucht seine Angehörigen zu trösten, grade als ich ankomme bei:“ ich werde sein wie eine Schneeflocke“ beginnt es heftig zu schneien.
Ich lese also weiter und am Ende des Textes nicke ich einem der Träger zu, er bückt sich, zieht die Holzbalken unter dem Sarg weg und an zwei Seilen lassen die Träger nun den Sarg herab, einer findet mit den Füßen keinen Halt auf der Metallschiene und macht einen kleinen Ausfallschritt, er fängt sich aber und der Sarg kommt sicher auf dem Boden des Grabes an.
Die sechs Träger verbeugen sich und werfen ihre weißen Handschuhe ins Grab, dann treten sei vorsichtig von den Schienen und begeben sich auf den Weg zur Kapelle. Ich verbeuge mich ebenfalls am Grab und folge den Trägern.
Ich erreiche meinen Wagen und stelle die Heizung auf volle Granate, mir ist elendig kalt und ich freue mich auf unsere warme Wohnung und einen heißen Tee.
Zwei Tage nach der Trauerfeier bin ich im Auftrag meiner Familie in unserer Drogerie und kaufe, was die Damen mir auf den Zettel geschrieben haben. An der Kasse steht der Witwer von Frau R. und hält eine Packung Rasierklingen in der Hand, ich begrüße ihn freundlich und er guckt mich an und sagt.“ Ihr Gesicht kenne ich, Sie habe ich schon mal irgendwo gesehen“
„Aber sicher“, sage ich freundlich, „ich habe vor zwei Tagen gemeinsam mit Ihnen Ihre verstorbene Frau beigesetzt“
„Ach ja“, grunzt er, „ja richtig“, er deutet auf seine Rasierklingen und sagt:“ Ist schon Mist wenn einem die Frau stirbt, nun muss ich sowas selber erledigen“
Ich schenke ihm ein höfliches Lächeln, bezahle meinen Einkauf und gehe.


Dienstag, 24. Februar 2015

Leiche im Bett



Ich erhalte eine Anfrage für eine Trauerfeier, ich habe Zeit und sage zu. Die verstorbene Frau war 58 Jahre alt, sie verstarb innerhalb von sechs Monaten an einer Krebsdiagnose und ich sitze nun mit dem Ehemann im Wohnzimmer um seine Wünsche für die Trauerfeier zu besprechen.
Ich stelle also die üblichen Fragen, erhalte aber nur wenig Auskunft, der Ehemann ist wortkarg und karg ist auch die Einrichtung der kleinen Wohnung. Es gibt im Wohnzimmer nur ein Sofa, eine weiße Schrankwand und einen Glastisch, an einer Wand hängen zwei Schwerter, darunter steht das leere Pflegebett. Keine Bilder, keine Bücher oder Zeitschriften, nichts was darauf hindeutet, dass der Raum bewohnt und belebt wird.
Der Ehemann erzählt schließlich von achtzehn Jahren Ehe, davon dass beide glücklich miteinander waren und keine Kinder haben. Man habe sehr zurückgezogen gelebt, beide waren nach der Arbeit froh ihre Ruhe zu haben. Einen Freundeskreis gäbe es nicht, man habe die Gesellschaft anderer Menschen nicht gesucht und sei viel lieber zu zweit alleine gewesen.
Ich frage nach Hobbys und Vorlieben der verstorbenen Frau, erfahre aber, dass sie nicht gelesen habe, es gab keine Sendungen im TV welche sie gerne geschaut habe und über den Musikgeschmack seiner Frau wisse er nichts.
Einzig der kleine Garten sei ihr lieb gewesen, aber dort sei man auch immer zu zweit gewesen, man habe keinen Gefallen daran gefunden mit anderen Menschen eine Wurst zu grillen oder sich zu unterhalten.
Ich bin innerlich erstaunt, ich hatte doch etwas mehr erwartet, aber leider zieht sich das Gespräch wie Gummi.
Ich frage noch vorsichtig nach dem Krankheitsverlauf und der Ehemann berichtet mir, dass alles sehr schnell gegangen sei, innerhalb von sechs Monaten sei seine Frau verstorben und zuletzt habe sie das Pflegebett hier im Wohnzimmer gehabt. Darin sei sie auch vorgestern verstorben. Er habe dann sofort Bestatter Knud Knudsen angerufen und der habe doch tatsächlich fast zwei Stunden gebraucht um die tote Frau abzuholen. Er habe also mit seiner toten Frau im Bett hier gesessen und nichts sei passiert, zwei Stunden habe er gewartet, er sagt, er findet das unerhört, es sei unzumutbar für ihn gewesen und er findet das unerhört.
Ich bin sehr erstaunt über diese heftige Reaktion und frage ihn, ob er diese zwei Stunden nicht als Abschied empfunden habe, er verneint das vehement und betont noch einmal wie unerhört er das findet, dass Bestatter Knudsen ihm zwei Stunden mit seiner toten Frau zugemutet habe.
Ich stelle dazu keine weiteren Fragen mehr, aber Herr B. poltert wieder los:“ Und dieses Bett, was soll ich damit, ich habe als der Knudsen mit meiner Frau raus war sofort das Sanitätshaus angerufen, aber dort sagte man mir, es kann eine Woche dauern bis jemand das Bett abholt.“
Wütend zündet er sich eine weitere Zigarette an und perzt mich voll. Ich frage nun noch einmal nach seinen Musikwünschen, er bleibt dabei das seine Frau keine bestimmte Musik gehört habe und ich schlage also vor die Orgel zu bestellen und etwas ruhiges spielen zu lassen. Herr B. stimmt zu und ich klappe meine Mappe zu, alles weitere hat hier keinen Sinn, ich muss also zusehen wie ich aus den wenigen Informationen eine Rede schreibe.
Ich stehe auf und verabschiede mich, durch den Laubengang verlasse ich das Haus und gehe zurück zu meinem Wagen.
Am Tag der Beisetzung steht die Urne schön dekoriert in der kleinen Trauerhalle des Friedhofes, ich bin pünktlich und spreche noch mit dem Organisten, er hat eine Mappe voller Noten dabei und wir besprechen die Musikauswahl. Er spielt „So nimm denn meine Hände“ und zwei weitere Stücke aus der typischen Beerdigungsmusik und mir ist es irgendwie auch egal, denn Herr B. konnte oder wollte dazu keine sachdienlichen Hinweise geben.
Herr B. erscheint nun im dunklen Anzug, außer ihm gibt es noch sechs weitere Trauergäste, die Eltern seiner Frau sind schon verstorben, aus der Firma seiner Frau ist niemand erschienen.
Der alte Knudsen schließt die Tür der Halle und der Organist beginnt zu spielen, dann spreche ich über achtzehn Jahre Ehe und gelebter Zweisamkeit welche offenbar keine Impulse von außen brauchte und darüber wie gerne die Verstorbene in ihrem Garten gesessen hat.
Herr B. sitzt regungslos auf seinem Stuhl, er wirkt, als ob ihn das alles nicht interessiert, die kurze Trauerfeier ist kühl und unpersönlich, meine Rede ist kurz und ich betone wie sehr Herr B. seine Frau in der Phase der Krankheit begleitet hat und wie fürsorglich er sich um sie bemüht hat.
Das alles mag auch der Wahrheit entsprechen, gesagt hat Herr B. das alles zwar nicht, aber ich unterstelle es ihm freundlicherweise.
Am Ende meiner Rede spielt die Orgel und der alte Knudsen öffnet die Tür der Halle. Zwei Träger kommen herein, verbeugen sich vor der Urne und nehmen das Gestell mitsamt der Urne und wenden sich dem Ausgang zu. Ich folge den beiden in gemessenem Schritt und wir erreichen bald das kleine Urnenfeld.
Als alle angekommen sind lese ich noch einen kurzen Text, dann versenkt Knudsen die Urne im Erdreich. Wir verbeugen uns noch einmal und gehen zum Ausgang des Friedhofes. Wenn die wenigen Trauergäste weg sind, wird der Mitarbeiter des Friedhofes das Urnengrab schließen und die wenigen Blumen schön darüberlegen.
Als ich an meinem Wagen ankomme, stelle ich fest, dass meine Fensterscheibe an der  Beifahrerseite eingeschlagen ist, das Handschuhfach steht offen und ist leer, leider hatte ich meine Brieftasche für die Dauer der Beisetzung darin deponiert.
Den Rest des Tages verbringe ich damit, den Vorfall der Polizei zu melden, meine Kreditkarte sperren zu lassen und mich um eine Notverglasung zu kümmern…

Montag, 23. Februar 2015

Mitten im Bahnhof



Ein Bestatter aus der Nachbargemeinde fragt an, ob ich Zeit habe, ich bestätige die Anfrage und erhalte die Daten.
Der Verstorbene war erst 53 Jahre alt, er hat seinem Leben sehr unschön ein Ende gesetzt, er hat sich vor einen Zug geworfen, leider nicht auf freier Strecke sondern mitten auf dem Bahnsteig, ein durchfahrender ICE hat ihn sogleich erfasst und seinen Körper in microkleine Einzelteile verwandelt.
Als ob das alleine nicht schlimm genug wäre, war der Bahnsteig auch noch besucht von einer Truppe reiselustiger Mitfünfzigerinnen, welche in ein feucht-fröhliches Wochenende aufbrechen wollten.
Ein pfiffiger Mitarbeiter der NOB hat die Damen schliesslich in eine Taxe verfrachtet, sodass sie zum einen weg vom Geschehen waren und zum anderen ihren Schreck verdauen konnten und so doch noch ihre Reise fortsetzen konnten.
Der Bahnhof blieb einige Stunden gesperrt, bis die Herren von der Kripo, der Feuerwehr und der Bestatter mit ihren Aufgaben durch waren.
Ich erhalte die Daten des Bruders des Verstorbenen und vereinbare einen Hausbesuch.
Am besagten Tag treffe ich pünktlich ein, ebenfalls anwesend sind die Frau des Bruders und seine geschiedene Ehefrau, die Mutter des neunjährigen gemeinsamen Sohnes.
Alle berichten mir übereinstimmend, dass Dieter ein schwieriger Mensch war, eigensinnig, starköpfig und oft wortkarg, ein typischer Friese eben.
Alle drei Brüder hätten einen technischen Beruf ergriffen, seien Ingenieure geworden, nur Dieter habe Flausen im Kopf gehabt, er habe farbenfrohe Bilder gemalt und Abendkleider entworfen. Er sei Schneider gewesen mit großen Ambitionen und habe einige Jahre in Holland sogar Erfolg gehabt mit seinen Entwürfen, dann sei das Geschäft schlechter geworden und die Umsätze seien sehr gesunken, sodass er auch den Unterhalt für den Sohn nicht  mehr bezahlen konnte.
Die frühere Frau erzählte, er habe immer mehr dem Alkohol zugesprochen und sie habe sich getrennt, da sie den ewig betrunkenen Mann nicht mehr ertragen habe.
Dieter sei immer tiefer abgesunken, habe seine Wohnung verloren und schließlich im Wohnwagen eines Freundes gehaust.
Ich notiere mir einiges und frage mich innerlich, warum man einen Redner bestellt hat, es wäre auch völlig in Ordnung gewesen eine kleine Trauerfeier im Stillen zu veranstalten, ohne viel Tamtam.
Die frühere Ehefrau erzählt schließlich, ihr Mann sei aber immer ein guter Vater gewesen, leider habe er aber zuletzt auch Alkohol getrunken wenn er seinen Sohn zu Fußballspielen begleitet habe, sodass sie ihm  am Ende verboten habe den Sohn zu sehen, wenn er getrunken hatte.

Insgesamt also eine schwierige Situation, denn innerhalb der Gemeinde bleibt ein Selbstmord auf dem Gleis nicht verborgen und für den neunjährigen Sohn ist es schwer genug damit fertig zu werden.
Als Musikwunsch soll „Fields of Gold“ gespielt werden, ich notiere auch das und verabschiede mich.
Am Tag der Beisetzung bin ich wie immer etwas früher auf dem Friedhof und treffe dort auf den Bestatter und einen Mitarbeiter des Friedhofes. Dieser trägt eine typische grüne Kluft mit Latzhose und dicker Jacke und schiebt eine Schubkarre vor sich her. Wir begrüßen und freundlich und der der Mitarbeiter beginnt zu schimpfen:“ So eine Schweinerei, da wirft der sich vor den Zug und wir können den dann von den Gleisen kratzen.“ Ich gucke verblüfft und der Bestatter erläutert mir, das Jan nicht nur Mitarbeiter des Friedhofsamtes sei sondern auch Mitglied der freiwilligen Feuerwehr, er habe an dem Tag an dem sich Dieter vor den Zug geworfen habe Dienst gehabt und gemeinsam habe man sozusagen Dieters Einzelteile von den Gleisen gekratzt.
„Eine Hand war noch ganz“ raunzt Jan, „der Rest war nur noch blutige Matsche, hinterher haben wir die Gleise mit dem Schlauch abgespritzt“
Ich winke dankend ab, eine so blumige Schilderung des Geschehens möchte ich am frühen Morgen nicht hören, aber Jan ist kaum zu bremsen. „ Wenn er sich umbringen will, dann soll er Schlaftabletten nehmen, aber sowas ist doch eine Ferkelei.“
„Ja sicher, bestätige ich eilig, aber daran hat er wohl nicht gedacht, er war ja wohl auch schwer betrunken als er sich vor die Bahn warf.“
„Egal“, brummt Jan und schiebt seine Schubkarre weiter, ich bleibe mit dem Bestatter noch einen Moment stehen und bespreche den Ablauf der Feier mit ihm. Dann mehren sich die Trauergäste und wir begeben uns in die Halle, dort sitzen ungefähr 50 Menschen, ganz vorne die Familie, auch die frühere Frau und der kleine Sohn sind da.
Der Bestatter startet die Musik, einige weinen, dann beginne ich zu sprechen, ich lobe die Vaterqualitäten des Verstorbenen und erwähne dem Sohn zuliebe das Alkoholproblem des Vaters nur sehr diskret.
Insgesamt stelle ich ihn als einen begabten Künstler dar, gerne etwas eigenwillig aber dennoch freundlich, ich möchte es dem kleinen Jungen nicht noch schwerer machen. Er sitzt neben seiner Mutter und versteht offenbar nicht, dass die Urne nun das Behältnis ist, in dem sein Vater sich befindet, bzw. das, was man von ihm noch einäschern konnte.
Am Ende der Rede erklingt wieder Musik, leider das falsche Stück, denn der Bestatter hat die CD verwechselt und „Fields of Gold“ zum Beginn gespielt…
Ich verbeuge mich vor der Urne und trete etwas zur Seite, nun ist es an der Zeit für die Familie hervorzutreten und sich an der Urne zu verabschieden, aber niemand erhebt sich. Ich warte einen Moment und gebe dem Bruder schließlich ein Handzeichen, endlich erhebt er sich und geht zur Urne, danach folgt er mir durch den Mittelgang, alle anderen reihen sich ein.
Der Bestatter nimmt nun die Urne und wir gehen zu dem anonymen Urnenfeld, dort findet Dieter seine letzte Ruhe, ich lese noch einen kurzen Text, dann trete ich wieder zur Seite und gehe mit dem Bestatter langsam zurück zum Ausgang.
Friedhofsmitarbeiter Jan wird später das kleine Urnengrab zuschaufeln, er hat Dieter von den Gleisen geholt und bettet ihn nun zur ewigen Ruhe.
Ich steige nachdenklich in meinen Minivan und fahre zurück in mein Dörfchen, mir ist nach einem Spaziergang am Deich, einer Tasse Tee und meiner Familie.


Orgel statt Schlager




Mein Lieblingsbestatter ruft an und fragt, ob ich Zeit habe. Der gewünschte Termin ist bei mir noch zu haben, also sage ich zu.
Ich erhalte die Daten der verstorbenen Dame sowie die Rufnummer der Tochter. Dort melde ich mich und erfahre, dass wir uns zum Gespräch in der Wohnung des Vaters bzw. des Ehemannes  treffen werden.
Ich bin am besagten Tag pünktlich zur Stelle, ich suche die Klingelschilder des Mietshauses ab und entdecke schliesslich den Namen Petersen und schelle an. Wenig später ertönt der Drücker und ich kann die Tür öffnen, Familie Petersen wohnt in der ersten Etage, in der Tür erwartet mich bereits der Witwer und bittet mich herein.
Die Wohnung ist freundlich eingerichtet, man sieht deutlich die Ordnung einer Frau, es steht viel Nippes herum, typisch friesische Dekoration und die übliche Schrankwand mit Vitrine, Barfach und Fernseher.
Herr Petersen bietet mir ein Glas Wasser an und gemeinsam warten wir nun auf die Tochter, welche sich um wenige Minuten verspätet hat. Schliesslich erscheint sie in Begleitung ihres erwachsenen Sohnes und nachdem wir alle wieder am Tisch sitzen, klappe ich meine Mappe auf, reiche meine Rednerkarte herüber und frage wie immer, was den gewünscht werde.
Die Tochter wirkt etwas unsicher und sagt schliesslich:“ Unsere Mutter war ja eine einfache Frau, sie hatte wenig Wünsche, sie hat aber immer was für andere getan.“
Schon während dieser wenigen Worte der Tochter fällt mir auf, dass sie eine knarzige Stimme hat, es klingt, als habe sie einen Frosch im Hals. Auch im weiteren Verlauf des Gespräches fällt mir diese Stimme auf, mittlerweile verspüre ich den starken Drang mich räuspern zu müssen, obwohl mit meiner Stimme alles in Ordnung ist.
Die Tochter wird nun etwas gesprächiger, sie klingt wie ein heiserer Papagei, ich habe echte Mühe ihr zuzuhören, diese Stimme ist mir unangenehm.
Sie erzählt, dass ihre Mutter immer stark engagiert war beim Roten Kreuz und der Tafel für Bedürftige. Unermüdlich habe sie auch für die Kleiderkammer ehrenamtlich gearbeitet, jedes Sommerfest habe sie mitgestaltet, habe Kuchen gebacken und Fischbrötchen verkauft.
Nun bringt sich auch der Ehemann in das Gespräch ein, er ist leicht dement, kann aber dem Gespräch noch halbwegs folgen. Er berichtet, dass er der zweite Ehemann seiner Frau war und seine Hilde damals mit ihren drei Mädchen geheiratet habe, nachdem der erste Ehemann über Bord eines Fischkutters gegangen sei und man ihn nie wieder gesehen habe.
Er selber habe keine Kinder und sei nun froh, drei Töchter und einige Enkel zu haben.
Ich stelle noch einige Fragen und erhalte bereitwillig Auskunft, auch der Enkel spricht nur nett über seine Oma.
Als ich genügend Informationen zusammen habe, frage ich nach Musikwünschen und der Enkel erklärt mir, dass Oma immer sehr gerne Roger Whittaker gehört habe und man habe drei Stücke von ihm ausgewählt, ganz besonders wichtig sei dabei der Song „Abschied ist ein scharfes Schwert“.
Ich notiere mir die gewünschten Stücke und vereinbare mit dem Enkel, dass er am Tag vor der Trauerfeier die CD zusammen mit dem Bild seiner Oma im Bestattungshaus Dünkel vorbeibringt.
Ich bin soweit zufrieden und verabschiede mich zügig, die Papageienstimme der Tochter ist mir auf die Nerven gegangen.
Am Tag der Beisetzung treffe ich im Büro des Bestatters Dünkel ein, wir tauschen wie immer meine Rechnung gegen Bargeld und tauschen ein wenig privates aus.
Als es für mich Zeit wird, in die Trauerhalle herüber zu gehen, bitte ich den Mitarbeiter um die CD, welche ja eigentlich vorliegen sollte.
„Nee“, sagt der Bestatter, „welche CD“? „Ja wie, welche CD“? frage ich. „Die hat doch der Enkel gestern mitgebracht“. „Ach so, meint Herr Dünkel, „dann ist die schon drüben in der Halle“. „Ja denn“, sage ich „denn ist ja gut“ und nehme meine Mappe vom Tisch und gehe den kurzen Weg herüber zur Halle. Dort wartet bereits ein weiterer Mitarbeiter auf mich, ich begrüße ihn und will mit ihm absprechen an welcher Stelle er die CD abspielen soll. Hinnerk Lüders guckt als ob ein Schaf übern Deich rollt und fragt entgeistert „Wieso CD“? „Die Organistin ist doch da“ Nun gucke ich belämmert und versichere ihm, dass die Angehörigen keine Orgel bestellt haben und der Enkel die CD mitgebracht habe.
Ich ahne böses, als wir gemeinsam den Stapel der vorhandenen Cd`s durchsehen, alles ist da, Herman Prey, Adoro, Andrea Berg, aber kein Roger Whittaker. Ich blicke auf die Uhr, es ist 10:40 Uhr und um 11:00 Uhr soll die Trauerfeier beginnen, das kann ja heiter werden, denn einige Gäste sind bereits eingetroffen und stehen in der großen Vordiele der Halle, während Hinnerk und mir der Schweiß ausbricht.
Just in diesem Moment betritt der Enkel die Halle und ich winke ihn unauffällig herbei. Auf Nachfrage erklärt er dann, er habe die CD im Schrank der Oma nicht gefunden und deshalb nicht mitgebracht, er habe aber „Abschied ist ein scharfes Schwert“ als Klingelton auf dem Handy, ob das auch ginge?
Innerlich koche ich vor Wut, es war schliesslich vereinbart, dass er die Musik mitbringt und nun das. Währenddessen nehmen die ersten Gäste Platz und betrachten den geschmückten Sarg, ich flitze zurück ins Büro und Herr Dünkel fragt, ob der weiße Hai persönlich hinter mir her sei. „Nein“ rufe ich atemlos, „nein, aber wir haben keine Musik, der Enkel hat die CD nicht mit, was nun?“
Dünkel holt tief Luft und grinst, er dreht sich um und fischt aus einem Stapel eine Doppel-CD, „Best of Roger Whittaker“. Ich hätte es ahnen müssen, Dünkel ist Schlagerfan durch und durch, Schade nur, dass ihm das jetzt erst einfällt.
Ich reiße ihm die CD aus der Hand, mittlerweile ist es 10:50 Uhr und ich will zurück in die Halle hasten, als der kleine Mitarbeiter leise fragt:“ Ist in der Hülle auch was drin“?
Ich bleibe auf der Stelle stehen und öffne die Hülle, tatsächlich, es fehlt eine CD, ausgerechnet die auf welche es ankommt.
„Sch…“ entfährt es mir, „was nun?“
Dünkel wird nervös, öffnet das Laufwerk am PC, leider ist es leer, nun gibt es viele Möglichkeiten, aber wir haben keine Zeit um in seiner Wohnung oder seinem Auto oder im Leichenwagen nach besagter CD zu suchen.
Also flitze ich mit leeren Händen zurück in die Halle, dort wartet bereits die Tochter mit dem Enkel auf mich. Ich erkläre den beiden, dass wir nun keine Musik haben, als sich ein Trauergast ins Gespräch einmischt:“ Kein Problem, ich fahre schnell zu Sky, die haben eine Musikabteilung, da kaufe ich die CD“
Ich traue meinen Ohren nicht und auch Hinnerk Lüders ist mittlerweile am Rande seiner Nerven, denn es ist 10:57 Uhr und wir müssen beginnen, denn um 12:00 Uhr steht die nächste Trauerfeier an und er muss noch umdekorieren wenn wir raus sind.
Die Tochter zückt ihr Handy, pfeift den mittlerweile verschwundenen Trauergast zurück und entscheidet:“ Dann eben ohne Musik“. Ich erkläre ihr, dass die Organistin noch da sei, da sie vorher schon eine Feier begleitet habe und wir sicherlich auf die Orgel hoffen dürfen, die Tochter nickt und meint:“ Ja denn, sagen sie ihr, sie soll was von Roger Whittaker spielen“ Dann dreht sie sich um und geht in die Halle und nimmt Platz. Der Trauergast und der Enkel folgen ihr.
Ich schnappe mir die Organistin, welche mir schmunzelnd erklärt, dass sie Schlager nicht im Programm habe, aber etwas passendes orgeln würde, ich zücke meinen Kugelschreiber und schreibe zwei Sätze um in denen ich Bezug genommen habe auf den Text von „Abschied ist ein scharfes Schwert“, mehr kann ich nicht mehr tun, wir müssen anfangen sonst kommt Hinnerk mit der nächsten Trauerfeier in Verzug.
Die Organistin spielt also das „Largo von Händel“, ich beginne mit der Rede, die Tochter sitzt regungslos in der ersten Reihe, der Witwer guckt traurig und der Enkel weint.
Die Orgel erklingt ein weiteres Mal, ich setzte meine Rede fort und schliesslich sind wir am Ende der Feier und die Organistin spielt ein drittes Stück, Hinnerk öffnet die Türen der Halle und die Gäste erheben sich, verabschieden sich am Sarg und gehen hinaus, wir sind gut in der Zeit geblieben und draußen stehen schon die ersten Trauergäste der nächsten Feier.
Ich verabschiede mich von Hinnerk und fahre zurück in unser kleines Dörfchen.