Sonntag, 30. Juni 2013

Einzelvorstellung



Ich bekomme einen Auftrag für eine Beisetzung, es soll eine kleine Feier in der Trauerhalle des Bestatters geben, anschließend eine Erdbestattung auf dem nahegelegenen Friedhof.
Der Bruder des verstorbenen Mannes ist für die Beisetzung verantwortlich, ich rufe ihn an um einen Hausbesuch zu vereinbaren.
Herr B. erklärt mir allerdings, dass er nicht mit dem Tod seines Bruders gerechnet habe und er „weiter weg“ wohne, ein persönliches Vorgespräch könne er mir deshalb auch nicht anbieten.
„ Ich kann Ihnen über meinen Bruder auch nicht viel sagen“, erklärt er mir, „ er war ja körperbehindert und lebte schon früh in einem Heim und war dann später dort in einer Behindertenwerkstatt beschäftigt“.
„Als man ihm nun noch das Bein amputiert hat, konnte sein Körper wohl nicht mehr und er hat aufgegeben“. „Wie gesagt, mehr kann ich Ihnen nicht sagen, wir haben unsere Kindheit ja nicht gemeinsam verbracht, ich war zuhause, er im Heim“. „ Ich habe ihn auch in den letzten zwei Jahren nicht mehr besucht, meine Zeit hat es nicht zugelassen“.
„ich möchte aber, dass er ein schönes Begräbnis bekommt, er hat sich immer eine Erdbestattung gewünscht, die soll er nun bekommen, bitte finden Sie ein paar nette Worte zu dieser Gelegenheit“.
Solche Aufträge sind sehr sensibel, schön soll es werden, aber zu sagen gibt es nicht viel…
Aus den wenigen Informationen schreibe ich eine Rede, finde ein schönes passendes Zitat und suche die Musik dazu aus.
Am Vormittag der Beisetzung treffe ich in R. ein, die Bestatterin begrüßt mich und begleitet mich in die Trauerhalle, der Organist ist auch schon da und der Sarg steht mitsamt Blumenschmuck halb schräg unter dem bunten Fenster.
Der Organist ist ein freundlicher älterer Herr, er spielt mir zuliebe „Von guten Mächten“ und freut sich darüber, dass ich dieses Stück so gerne höre.
Die Bestatterin nimmt mich zur Seite und berichtet mir, dass es nur einen einzigen Trauergast geben wird, den Bruder des Verstorbenen.
Dieser sitzt mittlerweile in der ersten Reihe und blickt stumm auf den Sarg seines Bruders. Ich gehe zu ihm und begrüße ihn, er erhebt sich und bittet mich anzufangen.
Ich trete also an das Rednerpult, der Organist spielt das erste Stück, danach beginne ich zu sprechen, ich erwähne den Lebensmut des mehrfach körperbehinderten Mannes, seine lebensbejahende Einstellung und seine Freude an seiner Arbeit in der Werkstatt.
Während ich spreche, laufen dem Bruder einige Tränen über die Wangen, in der Mitte der Rede spielt der Organist von „Von guten Mächten“ , danach schließe ich mit einem kurzen friedvollen Text.
Es erklingt noch ein Lied, danach öffnen sich die Türen der Halle und die sechs Träger bieten das übliche Bild: Verbeugen, Sarg fassen, anheben und Sarg aus der Halle tragen.
Vor der Halle steht bereits das Überführungsfahrzeug bereit, der Sarg wird eingeladen, die Türen werden verschlossen, der Verstorbene tritt seine letzte Fahrt an.
Der Bruder steigt in seinen Wagen, die Bestatterin und ich fahren gemeinsam zum Friedhof, als wir dort ankommen, steht der Sarg bereits auf dem Sargwagen, die Träger warten nur auf uns, sie gehen mit dem Sarg voran, zu dritt folgen wir bis zum Grab.
Dort angekommen, sprechen wir noch auf Wunsch Bruders das „Vater Unser“, dann senken die sechs Träger den Sarg ab, sie verbeugen sich und wenden sich ab in Richtung Ausgang.
Der Bruder, die Bestatterin und ich, treten an das offene Grab heran, nehmen noch eine Schaufel Erde und werfen sie auf den Sarg, es gibt ein dumpfes Geräusch als die Erde auf den Sarg fällt, dann ist Ruhe.
Der viele Schnee dämpft die Geräusche der Natur, er knirscht unter unseren dicken Winterschuhen, als wir wieder in Richtung Ausgang gehen.
Der Bruder reicht mir die Hand und sagt:“ Vielen Dank, Sie haben das sehr schön gemacht, ich war wirklich sehr ergriffen, ich bin erstaunt, wie schön ihre Ansprache war, obwohl ich Ihnen nur so wenig über meinen Bruder sagen konnte“.
Ich bedanke mich und er fügt hinzu:“ Meine Frau ist heute verhindert, aus dem Heim konnte niemand, da hätte ja nur jemand kommen können, der heute frei hat und auch aus der Verwandtschaft konnte keiner kommen, es müssen ja alle arbeiten, da hätten die sich ja einen Tag Urlaub nehmen müssen, als weiterer Verwandter bekommt ja nicht ohne weitere frei, das kann man ja keinem zumuten, für eine Trauerfeier einen Tag Urlaub zu nehmen“.
Ich verkneife mir, das zu sagen, was mir dazu auf der Zunge liegt, nicke höflich und wir verabschieden uns und jeder geht zu seinem Auto.
Ich finde sehr wohl, dass es zumutbar ist, einen Tag Urlaub zu nehmen, um einen Menschen auf seinem letzten Weg zu begleiten, aber das ist nur meine persönliche Meinung…

Donnerstag, 27. Juni 2013

Dennis



Mein „Lieblingsbestatter“ ruft früh am Morgen an, es geht um eine Trauerfeier für einen jungen Mann, im Alter von nur 32 Jahren hat er sich das Leben genommen.
Ich nehme den Auftrag an, der Bestatter gibt mir die Daten des Verstorbenen und die Rufnummer seiner Mutter.
Bereits wenige Minuten später klingelt mein Telefon erneut, es ist die Mutter des jungen Mannes, sie möchte einen Termin zum Hausbesuch mit mir vereinbaren. Ich biete ihr einen Termin an, sie stimmt zu und beginnt zu erzählen, sie weint über den Tod des Sohnes und im Verlauf des Gespräches stelle ich fest, dass ich den jungen Mann flüchtig kannte, er war Berater in einem Technikmarkt.
Die Mutter erzählt immer weiter, leider hat sie mich in einem ungünstigen Moment erwischt, ich war schon beim Anruf des Bestatters auf dem Weg ins Bad und nun wird es für mich immer dringender, meine Familie sitzt bereits am Tisch und wartet mit Kaffee, Tageszeitung und frischen Brötchen.
Es gelingt mir, das Gespräch zu beenden und ich düse ins Bad. Als ich später am Frühstückstisch die Zeitung aufschlage, lese ich dort bereits die große Traueranzeige des Arbeitgebers, Dennis war offenbar sehr beliebt in der kleinen Firma.
Der Termin zum Hausbesuch ist gekommen, ich fahre zur Wohnung von Dennis Schwester, dort sind auch schon seine Mutter und sein ehemaliger Lebensgefährte angekommen.
Ich erfahre, dass Dennis homosexuell war, er lebte alleine, war als Berater für sehr hochwertige Haushaltskleingeräte beschäftigt und war nebenberuflich als Model unterwegs.
Seine Mutter und sein früherer Lebensgefährte sind sehr ergriffen, seine Schwester ist eher zurückhaltend und neigt zur Unfreundlichkeit. Nur widerwillig beantwortet sie meine Fragen, sie macht sich eher Gedanken über die Auflösung der Wohnung ihres Bruders.
Über den Grund für seinen Selbstmord könne man nur spekulieren, man wisse nichts genaues und habe auch im Vorfeld nichts bemerkt.
Die Mutter wünscht sich ein Zitat aus dem kleinen Prinzen für die Rede, ich sage ihr das zu und schreibe noch einiges andere über Dennis mit. Schließlich verlasse ich die Wohnung der Schwester und bin verwundert über die komische Stimmung während des Gespräches.
Am nächsten Tag beginne ich mit der Arbeit an der Rede, als mich ein Anruf eines jungen Mannes erreicht, es ist der beste Freund von Dennis und er hat den Wunsch mit mir zu sprechen. Wir reden über eine Stunde miteinander, er berichtet mir sehr viel persönliches von Dennis, ich erfahre, dass seine Homosexualität ein Problem für seine Familie war, besonders der erzkonservative Großvater habe damit nicht umgehen können. Das ging sogar soweit, dass er seinen Enkel zu Weihnachten nicht an seinem Tisch haben wollte.
Leider sind Mutter und Schwester der Einladung des Großvaters gefolgt, sodass Dennis das Weihnachtsfest schließlich mit Freunden verbrachte. Das führte zum Bruch zwischen Mutter und Sohn und als Dennis sich das Leben nahm, hatte er seit fünf Monaten nicht mehr mit seiner Mutter gesprochen.
Ich bedanke mich bei Ray für das Gespräch und werfe im Anschluss daran das Konzept für meine Rede über den Haufen.
Was ich grade erfahren habe, hat nichts mehr mit dem zu tun, was Mutter und Schwester mir erzählt haben, ich bin froh über den Anruf von Ray, denn so kann ich nun eine Rede formulieren, welche Dennis entspricht.
Am nächsten Tag spreche ich noch mit seinen Arbeitskollegen, das rundet das Bild von Denis sehr ab. Auch sein Herrenausstatter ist bereit mit mir zu sprechen, ich erfahre immer mehr über Dennis und es gelingt mir, eine umfassende Rede zu schreiben.
Dennis wird vom „ersten Bestatter am Platze“ beerdigt, wer in H. etwas auf sich hält, lässt sich bei „Bestattungen Dünkel“ versorgen.
Ich treffe vor der Trauerfeier im Büro ein und erledige meine Rechnung, dann gehe ich rüber in die hauseigene Trauerhalle.
Der Sarg steht schön geschmückt und von Kerzen umringt im mittleren Bereich der Halle, ich bin alleine mit Dennis und trete an den Sarg heran. Ich lege meine Hand auf das Holz und blicke auf das Photo von Dennis, welches auf einer Staffelei steht.
Er hat einen Erdsarg bekommen, obwohl er verbrannt werden wird, später erfahre ich, dass man das Sparbuch von Dennis für die Beerdigung genommen hat.
Dennis hat sich von einem Hochhaus gestürzt, er war offenbar so verzweifelt, dass er keine andere Lösung mehr sah. Am Vortag hatte er sich bei seinem Hausarzt eine niederschmetternde Diagnose abholen müssen, offenbar wollte er mit dieser Erkrankung nicht leben, das hätte nicht in sein Weltbild gepasst…
Die ersten Gäste treffen ein, ich entferne mich vom Sarg, lege meine Mappe auf dem Rednerpult ab und stelle mich zu dem Mitarbeiter des Bestatters in die Vordiele der Halle um die Gäste zu begrüßen.
Der Großvater stellt sich mir vor und zwingt mir ein Gespräch auf.“ Das ist ja wohl der Hammer“ empört er sich, „ was fällt dem Jungen ein, sich sowas zu erlauben“?
Ich muss schwer an mich halten, am liebsten würde ich diesem arroganten Fatzke gründlich den Kopf waschen, selbstverständlich aber schwiege ich höflich.
Der Großvater quasselt immer weiter, will mich schon auf anderen Trauerfeiern gehört und gesehen haben und schwirrt durch den Vorraum der Halle wie Willi Wichtig.
Als nun alle Gäste vollzählig sind nehme ich meinen Platz neben der Organistin ein, der Mitarbeiter schließt lautlos die Türen der Halle und die Feier beginnt.
Nach dem ersten Musikstück gehe ich zum Rednerpult und beginne zu sprechen. An den Gesichtern seiner Freunde und Kollegen merke ich, dass ich mit meinen Worten den Nagel auf dem Kopf treffe, das Gesicht des Großvaters lässt ahnen, dass er mich am liebsten vierteilen würde.
Ich spreche ruhig weiter, erwähne seine unkonventionelle Art, seinen typischen Kleidungsstil und seine Vorliebe für einen schrillen schwulen Designer.
Am Ende der Rede bringe ich auf Wunsch der Mutter ein Zitat aus dem kleinen Prinzen, auch wenn es mir unpassend erscheint.
Die Orgel spielt das letzte Stück, es ist totenstill in der Halle, niemand erhebt sich. Auf mein Zeichen spielt die Organistin noch ein Stück, ich gehe hinüber in die erste Reihe und setzte mich neben die Mutter. Sie weint und ist völlig hilflos, sanft nehme ich sie an die Hand und führe sie zum Sarg, sie nimmt eine der dicken weißen Rosen aus dem Behälter und legt sie auf dem Sarg ab, dann wendet sie sich zur Tür und verlässt die Halle.
Alle anderen stehen nun nach und nach auf und treten an den Sarg heran, dieser ist bald vollständig mit weißen Rosen bedeckt.
Ich stehe wieder am Ausgang und verabschiede die Gäste, als ich aus den Augenwinkeln bemerke, wie ein junger Mann an den Sarg geht und einige heftige Stöße Parfüm darüber sprüht.
Der Mitarbeiter von „Bestattungen Dünkel“ ist fassungslos, schließlich stehen überall brennende Kerzen! Aber es passiert nichts, der Duft des Herrenparums breitet sich in der Halle aus, es war der Lieblingsduft von Dennis.
Der „Sprayer“ kommt zu mir und bedankt sich für die Rede, den Flakon hat er noch in der Hand, etwas weiter entfernt steht der Großvater mit bösem Blick. In diesem Moment strecke ich meine Hand vor und der „Sprayer“ sprüht mir den Duft auf. Der Großvater hat genug gesehen, er rauscht ab und langsam leert sich die Halle, einige tragen sich noch in das Kondolenzbuch ein, dann ist Ruhe.
Der Sarg von Dennis steht wieder alleine in der Halle, drei Mitarbeiter beginnen damit die Blumen zu entfernen, das teure Deckelgesteck verschwindet in einem blauen Müllsack, bis zur Beisetzung der Urne wäre es verwelkt, ca. 200 Euro verschwinden also im Müll.
Einige der dicken weißen Rosen kann ich retten, ich packe sie wieder in das Papier ein und sie stehen noch über eine Woche auf unserem Wohnzimmertisch.
Der Tod und die Trauerfeier sind mir näher gegangenals sonst, hier war ich sicherlich an einigen Stellen „unprofessionell“ , aber Redner sind auch Menschen und später habe ich von vielen gehört, dass diese Trauerfeier eine ganz besondere war, auch von der Mutter erhalte ich einen kleinen Brief mit Worten des Dankes.
Dennis wurde einige Wochen später neben seiner Großmutter beigesetzt, bei ihr hat er große Teile seiner Kindheit verbracht, seine hochwertige Wohnungseinrichtung hat die Familie unter sich aufgeteilt.


Mittwoch, 26. Juni 2013

Drei Damen und viele Spiegelbrillen



Ich sitze der jungen Witwe gegenüber und frage sie, was sie sich wünscht für die Trauerfeier ihres Mannes.
Sie zögert mit der Antwort und auch die Tochter schaut hilflos drein. Schließlich kommt die Witwe mit der Wahrheit heraus.
„Also“, sagt sie, „es ist so, Peter und ich waren schon getrennt, er lebte bei seiner Freundin, dort ist er auch verstorben“
Ich nicke verständnisvoll und sie berichtet mir, dass Peter und sie vor vier Jahren geheiratet haben, nach langer vorhergehender Beziehung, aber vor zwei Jahren habe Peter sich in eine andere Frau verliebt und sei zu ihr gezogen, eine Scheidung wäre aber nie in Frage gekommen.
Weiterhin gäbe es auch noch seine geschiedene Ehefrau, welche auch die Mutter seiner Kinder sei.
Insgesamt wären also drei Frauen von Peters Tod betroffen und sie als offizielle Ehefrau habe nun die Aufgabe alles zu regeln.
Das Verhältnis der drei Frauen untereinander wäre aber eher kühl, man wolle sich aber während der Trauerfeier zusammenreißen.
Sie steht auf, geht zum Schrank und nimmt das Album mit den Hochzeitsbildern heraus und zeigt es mir. Beide sehen auf den Bildern sehr gut aus, Peter erinnert mich spontan an einen bekannten muskulösen Schauspieler, welcher mal Bademeister im Ruhrgebiet war.
„Bitte stellen Sie ihn in der Rede nicht wie einen Casanova dar“, „ich habe ihm verziehen, er war kein schlechter Mensch“ bittet mich die Witwe und ich verspreche ihr, möglichst dezent damit umzugehen.
Wir besprechen die Musikauswahl, Ehefrau und Stieftochter wünschen sich „Geboren um zu leben“ und „Haltet die Welt an“, zu Beginn der Feier soll ein ruhiges klassisches Stück erklingen.
Die Witwe berichtet mir noch einiges über Peter und erzählt mir auch, dass er Geschäftsmann war, sehr sportlich und sehr auf seine äußerliche Erscheinung bedacht.
Die Tochter berichtet mir, dass ihr Vater der beste Papa der Welt war und auch wie ein Freund für seine Kinder war.
Ich notiere mir einiges und verabschiede mich schließlich von den beiden.
Vom Bestatter erfahre ich, dass der Auftrag doch eher heikel ist, da sich die amtierende Ehefrau und die aktuelle Partnerin keineswegs einig sind und sich bereits um Peters Hinterlassenschaften zanken.
Der 46-jährige war offenbar beruflich sehr erfolgreich und hinterlässt das eine oder andere weltliche Gut.
Der Tag der Trauerfeier ist gekommen, Peter bekommt eine Erdbestattung auf einem ländlich gelegenen Friedhof, ich stelle meinen Wagen auf dem Parkplatz ab, einige Trauergäste sind bereits anwesend, vornehmlich Menschen zwischen 20 und 50 Jahren.
Ich gehe zur Trauerhalle und drücke dem Mitarbeiter des Bestattungshauses die CD mit der Musik in die Hand. Ich kann ihn nicht leiden und er mich auch nicht, trotzdem müssen wir diese Feier nun gemeinsam gestalten. Ich sage ihm, zu welchem Stichwort er die CD starten soll und welches Stück er in der Mitte der Rede abspielen soll, er tut wie immer betont desinteressiert und mokiert sich darüber, dass die Trauerfeier an einem Samstag stattfindet, er wolle auch mal Freizeit haben und das Fußballspiel sehen.
Ich reiche ihm den Umschlag mit meiner Rechnung, er nimmt ihn entgegen und reicht mir den Umschlag mit meinem Geld, dieser Bestatter rechnet mit den Rednern in bar ab, das ist durchaus üblich.
Immer mehr Gäste treffen ein, es ist ein sonniger Herbstmorgen und ich stehe mit dem Mitarbeiter und den Sargträgern vor der Kapelle.
Die Gäste bleiben vor der Kapelle stehen, begrüßen einander und rauchen noch eine Zigarette oder zwei.
Ich wusste nur, dass Peter „Geschäftsmann“ war, so langsam wird mir klar, in welchem Bereich er seine Geschäfte getätigt haben muss. Die anwesenden Herren erscheinen im schwarzen Anzug, fast alle tragen auffälligen Goldschmuck und verspiegelte Sonnenbrillen, weiterhin schmücken sich die Herren mit jungen, langhaarigen Damen, teilweise für eine Trauerfeier eher unpassend gekleidet.
Immer mehr Gäste treffen ein, die Kapelle füllt sich langsam, die einhundert Sitzplätze sind schnell vergeben. Es treffen weiterhin Gäste ein, schließlich steht man in Zweierreihen hinten.
Die Herren stehen breitbeinig, die Hände vor dem Unterleib verschränkt, die Spiegelbrillen bleiben auf der Nase. Auch auf den Stühlen sitzen Herren mit besagten Brillen.
Es ist im wahrsten Sinne des Wortes totenstill in der Kapelle, kein Zischen, kein Wispern, man hört nur das Weinen einiger Frauen.
In der ersten Reihe sitzt Ehefrau Nummer eins mit den beiden halbwüchsigen Kindern, die aktuelle Ehefrau und die letzte Lebenspartnerin.
Der Mitarbeiter startet die CD, ich gehe zum Rednerpult und schlage meine Mappe auf, neben mir steht der helle Sarg, darauf ein Photo von Peter.
Die Musik verklingt und ich beginne zu sprechen, ich erwähne seine Hobbys, seinen Lebensstil und schließlich auch, dass drei Frauen ihn in unterschiedlichen Lebensphasen begleitet haben. Ich spreche alle drei mit Namen an und bediene mich des Zitates eines Politikers, welcher seine homosexuelle Neigung öffentlich machte…
Ich flechte Textzeilen aus der gewählten Musik mit in die Rede ein, schließlich bin ich am Ende der Rede angelangt, es erklingt „Geboren um zu leben“.
Der gewohnte Ablauf beginnt, die Türen öffnen sich, die sechs Träger kommen herein, verbeugen sich vor dem Sarg, heben ihn an und tragen ihn heraus. Währenddessen erhebt sich die Trauergemeinde, die Gäste wenden sich dem Gang zu und blicken dem Sarg hinterher. Es hat den Anschein, als ob sich die Trauergäste von einem Patriarchen verabschieden.
Draußen stellen die Träger den Sarg auf den Wagen und schlagen den Weg zum Grab ein, ich gehe hinter dem Sarg, hinter mir reihen sich die Gäste ein, einige stützen sich gegenseitig, besonders die Witwe und die Lebensgefährtin sind kaum in der Lage alleine zu gehen.
Der Trauerzug ist sehr lang, als wir am Grab ankommen, sind noch lange nicht alle angekommen, ich warte noch einen Moment, dann lese ich den besprochenen Text am offenen Grab, dann senken die Träger den Sarg ab.
In diesem Moment bricht die Tochter am Grab weinend zusammen, sofort treten zwei Männer aus der Gruppe hervor, richten sie auf, stützen sie und führen das laut weinende Mädchen an die Gruft heran, damit sie ihrem Vater noch Blütenblätter nachwerfen kann, danach führen die Männer sie zur Seite.
Alle anderen gehen nun nach und nach vor und werfen Blütenblätter in die Gruft, niemand nimmt die bereitgestellte Schaufel und die Erde. Alle stehen an der falschen Seite, werfen Peter die Blüten quasi auf den Kopf.
Ich bemerke das, halte mich aber zurück, ich möchte das Geschehen am Grab nicht stören.
Die Witwe kommt auf mich zu, bedankt sich und wendet sich ab in Richtung Ausgang, es wird keinen Leichenschmaus geben, jede der drei Frauen wird den Rest des Tages im kleinen Kreis verbringen.
Ich gehe zurück zu meinem Auto und bin nachhaltig beeindruckt von dieser Trauergemeinde, hatte ich mich doch aufgrund der Kleidung und der Erscheinung einiger Herren gründlich verschätzt. Diese Menschen haben sich mit Abstand am besten benommen, sowohl in der Kapelle als auch während des Trauerzuges zum Grab. Selten habe ich eine Beisetzung erlebt, auf der es so still war und auf der so viele ehrliche Tränen geflossen sind.
Schade nur, dass die drei Damen nicht gemeinsam um Peter trauern können.
Haltet die Welt an“hhhh   h

Montag, 24. Juni 2013

Sehr kurzfristig!



„Können Sie morgen früh“? Ich blicke verdutzt in den Hörer und frage:“ Was kann ich morgen früh“?
Die Mitarbeiterin eines großen Bestatters hat offenbar Not und fragt nochmal:“ Können Sie morgen früh, der Pfarrer ist krank und die Witwe ist fix und fertig“
Auf näheres Nachfragen erfahre ich, dass der Pfarrer die Trauerfeier schlichtweg vergessen hat und nun nicht zur Verfügung steht. Da die Trauerfeier aber morgen früh ansteht, ist nun Handlungsbedarf gegeben.
Ich habe zufällig am nächsten Vormittag Zeit und sage zu. Also lasse ich mir die Adresse der Witwe geben und erfahre, dass sie zurzeit in einem Hotel lebt, weil ihr Mann an seinem Geburtstag in der gemeinsamen Wohnung verstarb.
Ich fahre also am Abend nach D. und stelle fest, dass es sich bei dem Hotel um einen Gasthof mit Zimmervermietung handelt. Im Schankraum erwartet mich die Witwe und fragt sogleich was ich trinken möchte, ich nehme einen Pfefferminztee und frage, wo wir uns unterhalten können. „Ja hier“ sagt die rüstige Dame und deutet auf den freien Stuhl an ihrem Tisch.
Ich nehme Platz und füge mich meinem Schicksal, im Schankraum riecht es nach Bier und verbrannten Schnitzeln, am Tresen stehen Männer und unterhalten sich lautstark, es dröhnt Schlagermusik aus den Boxen, aber bitte, wenn sie mir hier über ihren Mann erzählen will, dann soll es so sein.
Sie berichtet mir also aus dem Leben ihres Mannes, aus ihrer Ehe und verschiedenen Streitigkeiten innerhalb der Familie. Zwischendurch fragt sie, ob ich etwas essen möchte, ich bleibe aber beim Tee und schreibe die wichtigsten Infos mit.
Schließlich verabschieden wir uns und ich fahre durch die bitterkalte Nacht zurück nach H. Zuhause angekommen setze ich mir eine Kanne Tee auf und formuliere die Rede.
Einen derartigen Zeitdruck hatte ich noch nie, normalerweise liegen einige Tage zwischen Trauergespräch und Trauerfeier, aber trotzdem gelingt es mir, eine schöne Rede zu formulieren, ich drucke sie dann aus, hefte sie in meine Mappe und gehe zu Bett.
Am nächsten Morgen fahre ich wieder nach D. Es ist immer noch bitterkalt, ich friere trotz des dicken Mantels und begebe mich schnell in die Trauerhalle. Dort empfängt mich bereits ein Mitarbeiter des Bestattungshauses.
Die Trauerhalle schockiert mich, sie ist ungepflegt und hat den Charme einer Bahnhofshalle, kalt und uralt.
Der Fußboden ist gammelig, die Stühle schäbig und insgesamt möchte man nicht vermuten, dass es hier gleich eine Trauerfeier geben wird.
Der Mitarbeiter deutet auf einen Vorhang, zieht diesen vor und ich kann kaum glauben, was ich sehe: Eine steinalte Orgel inmitten von Regalen, welche vollgestopft sind allerlei Kram.
Klopapier, Putzmittel, Besen und Überurnen stehen in den Regalen und das offenbar nicht erst seit gestern.
Ich stehe also in diesem Verschlag und warte auf den Organisten, dieser erscheint schließlich und wir stimmen die Musik ab, die Witwe hatte sich das „Ave Maria“ gewünscht, der Organist hat die Noten dabei, zu Beginn und Ende spielt er nach seiner Wahl.
Die Orgel hat offenbar auch unter der Kälte gelitten, sie ist hörbar verstimmt, aber der Organist trägt es mit Fassung und spielt eine flotte Note.
Die ersten Trauergäste treffen ein und auch die Witwe nimmt Platz, die Urne steht auf einem klapperigen Holztisch, welcher mit einer schmuddeligen Decke abgedeckt wurde.
Der Kranz mit den roten Rosen wirkt irgendwie grotesk.
Der Organist spielt, ich rede und die Witwe weint, schließlich sind wir am Ende der Feier und geleiten nun die Urne zum Grab.
Der Mitarbeiter geht mit der Urne in der Hand vor und ich gehe hinterher, die Gäste folgen uns. Am Grab lese ich noch einen kurzen Text und dann versinkt die Urne durch die Hand des Mitarbeiters ins Erdreich.
Ich trete zurück und die Witwe nimmt Abschied, ebenso die Trauergäste.
Frierend gehe ich zurück zu meinem Auto, selten war ich so erschüttert über eine Trauerfeier, der schlechte Zustand der Trauerhalle, die verstimmte Orgel und der ungepflegte Mitarbeiter des Discount-Bestatters haben ein schlechtes Bild in mir hinterlassen.
Kein Mensch hat es verdient in so einer Umgebung beigesetzt zu werden!

Mittwoch, 19. Juni 2013

Immer erreichbar?!



Ich erhalte einen Auftrag aus B., eine alte Dame ist verstorben, sie hat keine Angehörigen, der Ehemann ist bereits vor einigen Jahren verstorben, Kinder gibt es nicht.
Ich spreche mit der Nachbarin, welche die alte Dame lange gekannt hat und welche auch als gesetzliche Betreuerin eingesetzt ist.
Es soll nur eine kurze Feier werden, erfahre ich, ein Urnenbegräbnis, man erwarte weniger als 10 Gäste, schlicht soll es werden, aber dennoch sollen einige Worte des Abschieds gefunden werden.
Das Trauergespräch findet am Telefon statt, ich empfinde das als Unsitte und mache das nur im Notfall.
Die Nachbarin berichtet mir aus dem Leben der Verstorbenen, Künstlerin sei sie gewesen, genau wie ihr Mann.
Die beiden haben gemeinsam gemalt und hatten einen Freundeskreis aus Künstlern und Musikern um sich.
Nach dem Tod des Ehemannes sei die alte Dame etwas hinfällig geworden und bedurfte der täglichen Begleitung und Betreuung.
Die Nachbarin schildert mir ihr Verhältnis zu der Verstorbenen als warm und herzlich und sie sei für ihre Kinder wie eine Ersatzoma gewesen, ob ich das besonders erwähnen könne?
Mit der Kirche habe es die Künstlerin nie so gehabt, sie sei zwar katholisch, aber eine Trauerfeier mit einem Geistlichen käme nicht in Frage.
Ich schreibe fleißig mit und wir beenden das Telefongespräch.
Wenige Tage später treffe ich pünktlich zur Trauerfeier auf dem großen Friedhof in B. ein, in der Trauerhalle ist der Bestatter bereits dabei mit seinen Helfern die Urne zu platzieren und die Kränze zu richten. Ich wundere mich über die vielen Blumen, es waren ja nur wenige Gäste angekündigt, aber naja…
Ich bespreche mit dem Organisten die Musik, wieder einmal ist die Auswahl mir überlassen worden und der nette Organist ist gerne bereit „Von guten Mächten“ zu spielen, ich mag dieses Stück besonders gerne und wenn es sich ergibt, bitte ich den jeweiligen Organisten darum es zu spielen.
Mittlerweile treffen die ersten Trauergäste ein, es sind deutlich mehr als 10 Personen, man verteilt sich auf die Plätze und tuschelt vor sich hin.
Pünktlich um 11:00 Uhr schließt der Bestatter die Türen der Kapelle und der Organist beginnt zu spielen. Ich gehe derweil an das Rednerpult und als die Orgel verstummt, beginne ich zu sprechen.
Nach wenigen Sätzen öffnet sich die Eingangstür der Kapelle und einige Trauergäste rücken nach, sie begrüßen andere, bereits sitzende Gäste vernehmlich und nehmen hörbar Platz.
Ich spreche weiter und in der Mitte der Rede spielt der Organist auf mein Zeichen „Von guten Mächten“. „Oh, Bonhoeffer“ bemerkt eine Dame in der ersten Reihe und macht ein zufriedenes Gesicht.
Der Organist ist durch mit dem Stück, ich spreche weiter, komme nun also zu der Stelle, an der ich besonders das Verhältnis der Nachbarin zu der verstorbenen Künstlerin erwähne, da bimmelt ein Handy.
Genauer gesagt, das Handy der Nachbarin! Es bimmelt laut und mit einer nervigen Melodie, die Frau wühlt in ihrer Handtasche und das Ding bimmelt und bimmelt, ich spreche weiter und endlich hat sie es gefunden. Es bimmelt immer noch und die Frau hebt ab und erklärt dem Anrufer, dass sie sich grade auf der Trauerfeier für Frau A. befinde und sich später melden würde. Offenbar hat der Anrufer wenig Verständnis und sie wiederholt, dass sie grade nicht sprechen könne, danach ist endlich Ruhe.
Ich habe ruhig weitergesprochen, leider ist der Nachbarin der so dringend gewünschte Teil der Rede damit nun entgangen, ich nähere mich dem Ende der Rede und gebe dem Organisten ein Zeichen, er weiß Bescheid und spielt das „Largo“
Die Türen der Kapelle öffnen sich, die Mitarbeiter des Bestatters treten ein, verbeugen sich vor der Urne und tragen diese durch den Mittelgang, ich folge ihnen, hinter mir reihen sich die Trauergäste ein.
Der Bestatter tritt draußen an mich heran und fragt, ob ich den Gottesdienst zu Ehren der Verstorbenen abgekündigt hätte, ich gucke ihn an wie ein Fragezeichen und verneine. Auf diesem Wege erfahre ich, dass die Hinterbliebenen zweiten Grades empört darüber sind, dass kein Priester bestellt wurde und nun gibt es eine Andacht am Nachmittag in der Kirche.
Wir sind auf dem Weg zum Grab, hinter mir unterhält sich die Trauergemeinde angeregt über Ackerbau und Viehzucht, endlich kommen wir an dem Urnengrab an und ich lese noch einen kurzen Text, welchen ich selber auswählen sollte…
Die Urne wird ins Grab gelassen und der Bestatter tritt vor und verkündet, wann und wo die Andacht stattfinden soll.
Wir treten zurück und überlassen der Gästen das Feld, jeder mag nun am Grab verweilen oder was auch immer, unsere Aufgabe ist erfüllt, wir gehen langsam in Richtung Ausgang.
Der Bestatter berichtet noch, dass es größere Auseinandersetzungen gegeben hat um die Gestaltung der Feier, letztlich habe aber die Nachbarin als Betreuerin der alten Dame alles nach ihrem Wunsch entschieden und bestellt.
Insgesamt sind wir uns einig, dass das Benehmen dieser Trauergesellschaft eher grenzwertig war, aber wir müssen es nehmen, wie es kommt.