Dienstag, 18. Juni 2013

Ich kann Ihnen über Mutter nur Schlechtes sagen!



Die Wohnung der Angehörigen befindet sich in einem Hochhaus, ich fahre mit dem Aufzug hoch und werde bereits erwartet.
Eine Dame um die 60 steht in der Tür und bittet mich herein, sie nimmt mir die Winterjacke ab, hängt sie auf den Bügel und bittet mich ins Wohnzimmer, dort sitzt bereits ihr Mann auf dem Sofa.
Die Wohnung ist blitzblank, kein Staubkorn weit und breit, jedes Ding hat seinen Platz und insgesamt fühle ich mich wie in einem OP, nichts lässt darauf schließen, dass hier Menschen leben, bestenfalls wohnen, aber leben??
Die Tochter der verstorbenen Frau bietet mir ein Glas Wasser an, ich öffne meine Schreibmappe und nehme den Kuli zur Hand.
Wie immer frage ich, was denn der Wunsch wäre zur Gestaltung der Trauerfeier.
„Ich kann Ihnen über meine Mutter nur Schlechtes sagen“, bricht es aus der Frau heraus, „ich habe schon den ganzen Tag überlegt, was ich Ihnen über meine Mutter sagen soll, aber mir ist nichts eingefallen.“
„Nun“, höre ich mich sagen, „ Ihre Mutter ist 88 Jahre alt geworden, da gibt es doch sicherlich einiges zu sagen“?
Frau D. schüttelt den Kopf. „Nein, über meine Mutter gibt’s nichts zu sagen, die hat ja nie gesprochen, schon früher nicht, aber sie hat immer unsere Socken gebügelt. Als Kinder waren wir immer adrett und sauber, sie hat immer auf unsere Wäsche geachtet, aber sie war immer sehr wortkarg“
Oje, denke ich im Stillen, wie soll das werden? Also schwenke ich zunächst um, auf die Musikwünsche, auch hier überrascht mich die Antwort nicht, ich erfahre, dass Mutter gerne Andre Rieu gehört hat und immer gerne den Musikantenstadl mochte.
Ich frage, ob es in Ordnung wäre, wenn ich die Musik mit dem Organisten abstimme und Frau D. nickt erleichtert.
Im weiteren Gesprächsverlauf beschreibt sie Ihre Mutter eher ungünstig, besonders betont sie, dass Mutter nach dem Tod des Vaters und des einzigen Sohnes besonders auf sie, die Tochter fixiert war. Sie habe sich zunehmend geweigert, die Wohnung zu verlassen, alles habe man ihr machen und bringen müssen und zum Arzt habe man sie fahren müssen.
Schließlich sei eine Demenz festgestellt worden und da habe man Mutter ins Heim gegeben, da habe es schöne Musikstunden gegeben und dort sei sie auch verstorben.
Man wolle nun eine kurze Feier, nichts Großes und keinen Pfarrer, nach der Beisetzung gehe man nur kurz noch einen Kaffee trinken.
Ich bedanke mich für das Gespräch und verlasse die auf Hochglanz polierte Wohnung mit wenigen echten Informationen über die verstorbene alte Dame.
Ich bin schon fast an der Tür, da fragt mich Frau D.:“ Wie ist das denn mit Ihrem Geld, ich hoffe nicht, dass wir auf dem Friedhof Geld rauskramen müssen“?
Ich schenke ihr ein freundliches Lächeln und beruhige sie. „Nein, Frau D. ich rechne mit dem Bestatter ab, machen Sie sich keine Sorgen“
Ich formuliere also wie gewünscht eine kurze Rede und lasse den Groll der Tochter über Mutters Anhänglichkeit etwas sanfter erscheinen, indem ich sage, dass sie verstärkt den Kontakt der Familie gesucht und auch gefunden hat.
Am Tage der Beisetzung bin ich pünktlich zur Stelle und möchte mit dem Organisten die Musik besprechen, dieser stellt sich als weiblich heraus, es ist Frau G.
Frau G. ist „in der Szene“ als der Schrecken aller Bestatter, Pfarrer und Redner verschrien, sie gleicht äußerlich einer Vogelscheuche und steht auf Kriegsfuß mit der Orgel, kein Mensch weiß, warum sie Organistin geworden ist.
Ich nenne ihr also die Titel, welche ich hören möchte und Frau G. stellt sofort klar, dass sie „Von guten Mächten“ nicht spielen kann. Ich blicke erstaunt und frage nach anderen Titeln, auch hier verneint sie. Ich frage sie, was sie denn wohl zu spielen in der Lage wäre und sie nennt drei Titel, zwei davon sind mir unbekannt, das andere wäre „So nimm denn meine Hände“. Die Zeit drängt und ich stimme entnervt zu. Ich bitte sie noch darum, bei dem Stück welches die Rede unterbricht nur zwei Strophen zu spielen, sie nickt und verschwindet in der kleinen Orgelbude seitlich der Kapelle.
Die Trauergäste treffen ein und nehmen Platz, als offenbar alle versammelt sind schließt der Bestatter die Tür und Frau G. beginnt zu orgeln. Durch die halboffene Tür kann ich sie gut sehen, ich sitze ganz rechts am Rand in der ersten Reihe, ich warte darauf, dass Frau G. mit dem orgeln fertig wird, sie spielt aber schon an der dritten Strophe. Plötzlich glaube ich meinen Ohren nicht zu trauen, Frau G. schreit quer durch die Kapelle zu mir herüber: „ Noch eine, soll ich noch eine spielen“?
Ich bewahre Haltung und schweige, in der Hoffnung, dass Frau G. irgendwann aufhört zu spielen, endlich herrscht Ruhe und ich gehe zum Pult und halte meine Rede.
Ohne weitere Zwischenfälle geht die kurze Feier zu Ende und wir geleiten die Urne der alten Dame zum Grab. Dort lese ich noch einen kurzen Text, dann lässt der Bestatter die Urne herab und die Familie tritt heran und wirft noch ein Blümchen nach.
Ich stehe an der Seite und Frau D. kommt zu mir, drückt mir die Hand und sagt:“ Das haben Sie sehr schön gemacht, wir sind sehr zufrieden“
Ich danke und gehe zurück zu meinem Auto, die ganze Feier hat keine dreißig Minuten gedauert, 88 Jahre abgehandelt, zack, fertig, die Familie geht Kaffee trinken.


1 Kommentar:

  1. "[Sie] steht auf Kriegsfuß mit der Orgel, kein Mensch weiß, warum sie Organistin geworden ist."
    Na, da waren sicher die Eltern nicht ganz unschuldig.

    Aber wenn ein Organist sich so daneben benimmt, hat man denn gar keine Handhabe? Ich meine, nicht nur, dass sie offensichtlich nicht gerade auf WÜnsche eingehen kann, sie ruft durch die Kirche? Das ist so eine Sache, die mich als Angehörigen sicher sehr stören würde. Und da man so eine Beerdigung für immer und immer im Kopf hat, würde mich das wohl für immer stören...
    Gibt es denn nicht jemanden, an den man sich da wenden kann?

    Liebe Grüße,
    nickel

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