Mittwoch, 26. Juni 2013

Drei Damen und viele Spiegelbrillen



Ich sitze der jungen Witwe gegenüber und frage sie, was sie sich wünscht für die Trauerfeier ihres Mannes.
Sie zögert mit der Antwort und auch die Tochter schaut hilflos drein. Schließlich kommt die Witwe mit der Wahrheit heraus.
„Also“, sagt sie, „es ist so, Peter und ich waren schon getrennt, er lebte bei seiner Freundin, dort ist er auch verstorben“
Ich nicke verständnisvoll und sie berichtet mir, dass Peter und sie vor vier Jahren geheiratet haben, nach langer vorhergehender Beziehung, aber vor zwei Jahren habe Peter sich in eine andere Frau verliebt und sei zu ihr gezogen, eine Scheidung wäre aber nie in Frage gekommen.
Weiterhin gäbe es auch noch seine geschiedene Ehefrau, welche auch die Mutter seiner Kinder sei.
Insgesamt wären also drei Frauen von Peters Tod betroffen und sie als offizielle Ehefrau habe nun die Aufgabe alles zu regeln.
Das Verhältnis der drei Frauen untereinander wäre aber eher kühl, man wolle sich aber während der Trauerfeier zusammenreißen.
Sie steht auf, geht zum Schrank und nimmt das Album mit den Hochzeitsbildern heraus und zeigt es mir. Beide sehen auf den Bildern sehr gut aus, Peter erinnert mich spontan an einen bekannten muskulösen Schauspieler, welcher mal Bademeister im Ruhrgebiet war.
„Bitte stellen Sie ihn in der Rede nicht wie einen Casanova dar“, „ich habe ihm verziehen, er war kein schlechter Mensch“ bittet mich die Witwe und ich verspreche ihr, möglichst dezent damit umzugehen.
Wir besprechen die Musikauswahl, Ehefrau und Stieftochter wünschen sich „Geboren um zu leben“ und „Haltet die Welt an“, zu Beginn der Feier soll ein ruhiges klassisches Stück erklingen.
Die Witwe berichtet mir noch einiges über Peter und erzählt mir auch, dass er Geschäftsmann war, sehr sportlich und sehr auf seine äußerliche Erscheinung bedacht.
Die Tochter berichtet mir, dass ihr Vater der beste Papa der Welt war und auch wie ein Freund für seine Kinder war.
Ich notiere mir einiges und verabschiede mich schließlich von den beiden.
Vom Bestatter erfahre ich, dass der Auftrag doch eher heikel ist, da sich die amtierende Ehefrau und die aktuelle Partnerin keineswegs einig sind und sich bereits um Peters Hinterlassenschaften zanken.
Der 46-jährige war offenbar beruflich sehr erfolgreich und hinterlässt das eine oder andere weltliche Gut.
Der Tag der Trauerfeier ist gekommen, Peter bekommt eine Erdbestattung auf einem ländlich gelegenen Friedhof, ich stelle meinen Wagen auf dem Parkplatz ab, einige Trauergäste sind bereits anwesend, vornehmlich Menschen zwischen 20 und 50 Jahren.
Ich gehe zur Trauerhalle und drücke dem Mitarbeiter des Bestattungshauses die CD mit der Musik in die Hand. Ich kann ihn nicht leiden und er mich auch nicht, trotzdem müssen wir diese Feier nun gemeinsam gestalten. Ich sage ihm, zu welchem Stichwort er die CD starten soll und welches Stück er in der Mitte der Rede abspielen soll, er tut wie immer betont desinteressiert und mokiert sich darüber, dass die Trauerfeier an einem Samstag stattfindet, er wolle auch mal Freizeit haben und das Fußballspiel sehen.
Ich reiche ihm den Umschlag mit meiner Rechnung, er nimmt ihn entgegen und reicht mir den Umschlag mit meinem Geld, dieser Bestatter rechnet mit den Rednern in bar ab, das ist durchaus üblich.
Immer mehr Gäste treffen ein, es ist ein sonniger Herbstmorgen und ich stehe mit dem Mitarbeiter und den Sargträgern vor der Kapelle.
Die Gäste bleiben vor der Kapelle stehen, begrüßen einander und rauchen noch eine Zigarette oder zwei.
Ich wusste nur, dass Peter „Geschäftsmann“ war, so langsam wird mir klar, in welchem Bereich er seine Geschäfte getätigt haben muss. Die anwesenden Herren erscheinen im schwarzen Anzug, fast alle tragen auffälligen Goldschmuck und verspiegelte Sonnenbrillen, weiterhin schmücken sich die Herren mit jungen, langhaarigen Damen, teilweise für eine Trauerfeier eher unpassend gekleidet.
Immer mehr Gäste treffen ein, die Kapelle füllt sich langsam, die einhundert Sitzplätze sind schnell vergeben. Es treffen weiterhin Gäste ein, schließlich steht man in Zweierreihen hinten.
Die Herren stehen breitbeinig, die Hände vor dem Unterleib verschränkt, die Spiegelbrillen bleiben auf der Nase. Auch auf den Stühlen sitzen Herren mit besagten Brillen.
Es ist im wahrsten Sinne des Wortes totenstill in der Kapelle, kein Zischen, kein Wispern, man hört nur das Weinen einiger Frauen.
In der ersten Reihe sitzt Ehefrau Nummer eins mit den beiden halbwüchsigen Kindern, die aktuelle Ehefrau und die letzte Lebenspartnerin.
Der Mitarbeiter startet die CD, ich gehe zum Rednerpult und schlage meine Mappe auf, neben mir steht der helle Sarg, darauf ein Photo von Peter.
Die Musik verklingt und ich beginne zu sprechen, ich erwähne seine Hobbys, seinen Lebensstil und schließlich auch, dass drei Frauen ihn in unterschiedlichen Lebensphasen begleitet haben. Ich spreche alle drei mit Namen an und bediene mich des Zitates eines Politikers, welcher seine homosexuelle Neigung öffentlich machte…
Ich flechte Textzeilen aus der gewählten Musik mit in die Rede ein, schließlich bin ich am Ende der Rede angelangt, es erklingt „Geboren um zu leben“.
Der gewohnte Ablauf beginnt, die Türen öffnen sich, die sechs Träger kommen herein, verbeugen sich vor dem Sarg, heben ihn an und tragen ihn heraus. Währenddessen erhebt sich die Trauergemeinde, die Gäste wenden sich dem Gang zu und blicken dem Sarg hinterher. Es hat den Anschein, als ob sich die Trauergäste von einem Patriarchen verabschieden.
Draußen stellen die Träger den Sarg auf den Wagen und schlagen den Weg zum Grab ein, ich gehe hinter dem Sarg, hinter mir reihen sich die Gäste ein, einige stützen sich gegenseitig, besonders die Witwe und die Lebensgefährtin sind kaum in der Lage alleine zu gehen.
Der Trauerzug ist sehr lang, als wir am Grab ankommen, sind noch lange nicht alle angekommen, ich warte noch einen Moment, dann lese ich den besprochenen Text am offenen Grab, dann senken die Träger den Sarg ab.
In diesem Moment bricht die Tochter am Grab weinend zusammen, sofort treten zwei Männer aus der Gruppe hervor, richten sie auf, stützen sie und führen das laut weinende Mädchen an die Gruft heran, damit sie ihrem Vater noch Blütenblätter nachwerfen kann, danach führen die Männer sie zur Seite.
Alle anderen gehen nun nach und nach vor und werfen Blütenblätter in die Gruft, niemand nimmt die bereitgestellte Schaufel und die Erde. Alle stehen an der falschen Seite, werfen Peter die Blüten quasi auf den Kopf.
Ich bemerke das, halte mich aber zurück, ich möchte das Geschehen am Grab nicht stören.
Die Witwe kommt auf mich zu, bedankt sich und wendet sich ab in Richtung Ausgang, es wird keinen Leichenschmaus geben, jede der drei Frauen wird den Rest des Tages im kleinen Kreis verbringen.
Ich gehe zurück zu meinem Auto und bin nachhaltig beeindruckt von dieser Trauergemeinde, hatte ich mich doch aufgrund der Kleidung und der Erscheinung einiger Herren gründlich verschätzt. Diese Menschen haben sich mit Abstand am besten benommen, sowohl in der Kapelle als auch während des Trauerzuges zum Grab. Selten habe ich eine Beisetzung erlebt, auf der es so still war und auf der so viele ehrliche Tränen geflossen sind.
Schade nur, dass die drei Damen nicht gemeinsam um Peter trauern können.
Haltet die Welt an“hhhh   h

2 Kommentare:

  1. Sehr sehr schön geschrieben. Danke.

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  2. Wow. Das ist äußerst beeindruckend. Danke, dass du diesen Einblick teilst.

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