Montag, 29. Juli 2013

Kunstfehler



Am heutigen Vormittag steht eine Trauerfeier in B. an, ich klettere grade aus der Dusche als ich mein Handy bimmeln höre, an der Melodie erkenne ich meinen „Lieblingsbestatter“, ich werfe mir also ein Handtuch über und flitze zum Telefon.
Mit nassen Füßen und tropfenden Haaren stehe ich am Schreibtisch und notiere den neuen Auftrag, verstorben ist eine junge Frau, Jahrgang 68, das ist bitter.
Wir beenden das Gespräch und ich kümmere mich um einen Fön und steige in mein Redneroutfit, dann fahre ich nach B., wie immer mit Navi, denn diese Stadt ist größer als das Dörfchen in dem ich lebe.
Rechtzeitig komme ich am Friedhof in B. an, die Mitarbeiterin des Bestattungshauses Ferdinand erwartet mich bereits, sie hat die schöne weiße Urne mitgebracht und gemeinsam warten wir nun auf die bestellte Geigerin, diese soll am Grab zwei klassische Stücke spielen.
Wenige Minuten später trifft die junge Frau ein und wir gehen zu dritt zu der Urnengrabstelle, alles findet direkt am Grab statt, das Wetter ist warm und sonnig und die Grabstelle sehr schön gelegen.
Die Mitarbeiterin von „Bestattungen Ferdinand“ stellt die Urne in das Holzgestell welches bereits mit einem Kranz versehen ist, das kleine Grab ist ausgehoben und von innen mit einem Teppich aus Kunstrasen ausgekleidet.
Die Geigerin packt ihre Utensilien aus, klappt den Notenständer aus und streicht langsam mit dem Bogen über die Saiten, alles ist ok, wir können beginnen.
Die Mitarbeiterin holt die Trauergemeinde am Eingang des Friedhofes ab, als die ca. 20 Personen um die Ecke des Weges biegen beginnt die Geigerin zu spielen.
Die Trauergäste versammeln sich um die Grabstelle, ich stehe neben dem Grab, halte meine Ledermappe in beiden Händen und als das Musikstück verklungen ist beginne ich zu sprechen.
Ich bin ungefähr auf der Hälfte meines Textes, da passiert das unsägliche: Ich blicke während des Sprechens die Tochter der verstorbenen Frau an und schaue dann zurück in mein Manuskript und…meine Augen finden die passende Textzeile nicht wieder!!!
Weil ich wusste, dass es kein Rednerpult geben würde, habe ich die Schriftgröße des Manuskriptes kleiner gesetzt um zu verhindern, dass ich zu oft umblättern muss, ich blicke suchend über das Blatt, merke wie mir heiß und kalt wird, meine Augen fliegen über den Text und endlich bin ich in der richtigen Reihe, ich atme durch und spreche weiter.
Das ganze kann nur wenige Sekunden gedauert haben, für mich waren es gefühlte Stunden, auch den Trauergästen ist die kurze „Pause“ aufgefallen.
Ich spreche ruhig weiter und nachdem ich geendet habe spielt noch einmal die Geigerin.
Danach tritt der Sohn der verstorbenen Frau vor und senkt die Urne ins Grab. Nacheinander gehen nun alle an das Grab, verharren still und werfen einige Blütenblätter nach.
Die Tochter kommt nun zu mir und bedankt sich für die Rede, aber ich würde am liebsten im Boden versinken, ich entschuldige mich bei ihr für meinen Texthänger, der Sohn kommt ebenfalls hinzu und bedankt sich bei mir, ich entschuldige mich noch einmal.
Beide versichern mir, dass die Rede inhaltlich sehr passend war und dass ein Versprecher nur menschlich ist, trotzdem würde ich mich am liebsten sofort in Luft auflösen.
Wir verabschieden uns und ich gehe zurück zu meinem Wagen, ich bin verärgert über meinen Patzer und unzufrieden mit mir selber.
Ich starte den Wagen und fahre los, erst nach einigen Metern bemerke ich, dass ich falschherum durch eine Einbahnstraße fahre, entgegenkommende Autofahrer machen mich durch eindeutige Handzeichen darauf aufmerksam, ich wende also und höre der Stimme im Navi besser zu.
Ich bin so wütend über mich, dass ich platzen könnte, aber es hilft alles nichts, passiert ist passiert.
Ich bin bereits auf halber Strecke, stehe an einer roten Ampel, da höre ich hinter mir einen Krankenwagen und sehe das Blaulicht im Rückspiegel.
Der Wagen vor mir bewegt sich nicht, der neben mir auch nicht und ich fasse es nicht, niemand bildet eine Gasse!
Ich setze den Blinker nach rechts und drängle mich in die Rechtsabbiegerspur, man macht mir Platz und endlich bewegen sich auch andere Fahrzeuge, der Notarztwagen muss zwar merklich abbremsen, kommt aber nun über die Kreuzung.
Es wird grün, ich biege nun rechts ab und das Navi stellt fest, dass seine Route eine Änderung erfahren hat, es lotst mich nun auf die Autobahn und irgendwann komme ich in H. wieder an.
Zuhause schäle ich mich aus meinem Rednerdress und versuche meinen Ärger loszuwerden, es gelingt mir aber nicht so richtig.
Auf meinem Schreibtisch liegt der Auftrag von „Bestattungen Dünkel“, ich rufe die Mutter der verstorbenen jungen Frau an und vereinbare eine Termin für 16:00 Uhr, die Zeit drängt etwas, die Trauerfeier soll schon in zwei Tagen stattfinden.
Das Gespräch mit der Mutter ist schwierig, sie ist völlig aufgelöst und fassungslos, kann keinen klaren Gedanken fassen, der Lebensgefährte der Mutter spricht hauptsächlich mit mir, es ist tragisch und am Ende des Gespräches bin auch ich erschöpft.
Am Ende dieses Tages bin ich einfach nur froh, dass es etwas kühler geworden ist, ich gehe früh zu Bett und falle in einen traumlosen Schlaf.

Mittwoch, 24. Juli 2013

Saunagang



Mein Lieblingsbestatter hat einen Auftrag für mich, eine Trauerfeier an der Urne, die Beisetzung wird später anonym erfolgen.
Ich vereinbare einen Termin mit der Familie, das Gespräch wird im Hause der Schwester der verstorbenen Frau stattfinden, der Ehemann und der Sohn kommen hinzu.
Am besagten Abend fahre ich in die Kleine Anliegerstraße, alles ist zugeparkt, den letzten Parkplatz schnappt mir ein Mann weg, welcher aussteigt und in das Haus Nummer 10 geht, dorthin muss ich auch.
Ich drehe eine erneute Runde und finde ganz hinten im Wendehammer einen Parkplatz.
Es ist ein warmer Abend und ich mache mich auf den Weg zum Haus Nr.10, ich schelle und die Schwester der verstorbenen Frau öffnet mir.
Ich werde hereingebeten, der Schwager ist auch anwesend und der Herr welcher mir den letzten Parkplatz klaute, stellt sich als der Witwer heraus.
Wir setzen uns an den großen Esstisch und die Schwester verteilt Wassergläser, es ist reichlich warm aber es nützt nichts, wir müssen da nun durch.
Man berichtet mir von der verstorbenen Frau, 57 Jahre ist sie alt geworden, seit fast 20 Jahren hat sie gegen den Krebs gekämpft bis es nun nicht mehr ging.
Die Familie wünscht sich eine Trauerfeier welche der verstorbenen Karin entspricht, es soll Musik von Udo Jürgens und von Queen gespielt werden, der Neffe will selber singen und der Schwager ebenfalls eine kurze Rede halten.
Ich stehe diesen Ideen positiv gegenüber, schreibe vieles mit und verlasse nach drei Stunden das Haus, mir schwirrt der Kopf ob aller Informationen über Karin und ihre Familie.
Der Ehemann kam teilweise gegen seine Schwägerin kaum an, er wirkte auf mich eher zurückhaltend und war wohl auch ganz froh, dass seine Schwägerin alles regelte.
Ich beginne also mit der Arbeit an der Rede, als mich ein Anruf von „Bestattungen Dünkel“ erreicht, die Familie habe noch andere Musikwünsche und der Ablauf der Feier sei auch neu geplant worden.
Man wolle nun auch einen Song von Peter Maffay und der Schwager wisse nicht, ob er es schaffen würde vor den Gästen zu sprechen.
Ich biete an ihm beizustehen, er könne mir seine Worte per Mail zusenden und wenn er merkt, dass es nicht geht, dann springe ich ein.
Alle sind froh und einverstanden, mir fehlt aber immer noch der Song von Maffay, denn schließlich möchte ich wissen wo der Text inhaltlich anzusiedeln ist.
Bei „Bestattungen Dünkel“ treffen fast täglich neue Sonderwünsche der Familie ein, selbstverständlich wird alles möglich gemacht, nur der Ton der Schwester könnte freundlicher sein…
Mittlerweile weiß ich, um welchen Song es sich handelt, ich kann also meine Rede darauf abstimmen.
Am Tag der Trauerfeier treffe ich sehr zeitig ein, in der Halle des Bestatters herrscht bereits reges Treiben.
Die rote Urne ist in der vorderen Mitte der Halle aufgestellt worden, umringt von einem Kranz mit roten Rosen und weißen Tüchern, in hohen Gläsern stehen rote und weiße Kerzen.
Ein Keyboard ist schon aufgebaut und ein junger Mann versucht der hauseigenen Orgel das „Ave Maria“ zu entlocken.
Die Schwester der verstorbenen Karin springt in der Halle umher und gibt letzte Regieanweisungen.
Der Bestatter nimmt mich zur Seite und lässt mich wissen, dass man mich noch kurz sprechen möchte.
Die Schwester eilt bereits geschäftig herbei und teilt mir mit, dass wir den Ablauf nun nochmal umstellen, ich bitte erwähnen möchte in welchem Verhältnis der Mann am Keyboard zur verstorbenen Karin steht und dass der Song von Maffay auf Wunsch der Verwandtschaft in Australien gespielt wird, diese könne leider nicht dabei sein, aber man werde die Feier aufzeichnen und die CD nach Australien senden.
Ich zücke also Zettel und Stift und notiere die neuen Wünsche, der Mitarbeiter von Dünkel ebenfalls, schließlich legt er die CDs ein und muss wissen für welche Reihenfolge man sich nun entscheiden will.
Unterdessen treffen die ersten Gäste ein, viele erscheinen in normaler Kleidung, einige Damen in kurzen bunten Sommerkleidchen.
Eine Dame um die fünfzig trägt ein dunkelblaues Kleidchen welches mich spontan an ein Nachthemd erinnert, eine andere Dame um die sechzig trägt ein schwarzes Shirt ohne Ärmel und präsentiert uns allen ihr ärmeliges Winkfleisch.
Die ersten drei Reihen in der großen Halle sind für die Familie reserviert, die restlichen Plätze füllen sich sehr schnell, bereits eine Viertelstunde vor Beginn der Feier sind alle Plätze belegt, wer jetzt noch eintrifft muss hinten stehen.
Ich stehe an dem Pult auf dem das Kondolenzbuch liegt und stelle meine kleine Wasserflasche darauf ab, in diesem Moment kommt der Schwager auf mich zu um sich zu versichern, dass ich auf jeden Fall einspringe, falls ihm die Worte wegbleiben sollten, er gestikuliert aufgeregt herum und stößt meine Wasserflasche vom Pult. Sie knallt zu Boden, der Deckel springt ab und eine Fontäne ergießt sich in die Vordiele der Halle.
Eine Frau kommt mit Papiertüchern angelaufen und tritt die Pfütze im Teppich damit trocken, ich bin froh, dass der Mitarbeiter von „Dünkel“ das nicht sieht und verziehe mich in Richtung Eingangstür um weitere Gäste zu begrüßen.
Ein junger Mann betritt die Halle, er trägt auf dem Kopf einen Dutt, welcher jeder Oma gut stehen würde, dazu ein geblümte Bluse und eine kurze Latzhose im Stil einer Lederhose für kleine Jungs, an den Füßen trägt er schwarze offene Lackschläppchen. Er stolziert mit einer Grazie durch die Halle, welche Jorge Gonzales zu einer Planschkuh degradiert.
Es stellt sich heraus, dass der junge Mann der Neffe von Karin ist, er wird ein Stück von Barbra Streisand singen.
Mittlerweile treffen immer mehr Gäste ein, teilweise stehen diese in der Diele weil kein Platz mehr in der Halle ist, die Schiebetür muss offen bleiben, damit alle an der Feier teilnehmen können.
Es ist brüllend heiß draußen, die Luft in der Halle ist zum Schneiden dick, die Kerzen tun ihr übriges.
Es geht auf 13:00 Uhr zu und wir beginnen mit der Feier, der junge Mann am Keyboard spielt ein Stück, dann beginne ich zu sprechen, langsam rinnt mir der Schweiß den Rücken herunter, einige Damen haben Fächer dabei und sorgen so für Frischluft vor ihrer Nase.
Nach meiner Rede werden die gewünschten Musikstücke gespielt, der Neffe singt und der Schwager redet, er kommt gut zurecht und braucht meine Hilfe nicht.
Am Ende erklingt ein Song von Queen, dann steht die Schwester auf und klatscht, alle anderen erheben sich ebenfalls und tosender Applaus füllt die Halle.
Der Mitarbeiter von „Dünkel“ öffnet die Eingangstür und die ersten Gäste strömen nach draußen.
Einige tragen sich noch in das Kondolenzbuch ein, andere bedanken sich bei mir für die Rede.
Alle haben Schweißperlen im Gesicht, einige Männer haben klatschnasse Oberhemden an, auch mir ist deutlich warm.
Viele Gäste suchen noch das Gespräch mit der Schwester, der Witwer steht etwas verloren in der Halle, er ist bei dieser Veranstaltung eindeutig eine Randfigur.
Schließlich leert sich die Halle, die Gäste fahren nun zum Leichenschmaus, der Witwer bedankt sich noch bei mir und geht auch.
Zurück bleibt die rote Urne, Karin wird anonym beigesetzt, sie hat es sich so gewünscht und damit ihrer Familie keinen Ort zum Trauern gegeben, niemand soll dabei sein, wenn sie beigesetzt wird, das war ihr Wunsch.
Ich sehe die Trauer des Witwers und der Söhne und bin mir nicht sicher, ob Karin ihrer Familie mit ihrem Wunsch einen Gefallen getan hat.


Mittwoch, 17. Juli 2013

Mulikulti



Per Email erhalte ich eine Anfrage für eine Beisetzung, die Schwiegertochter der verstorbenen Frau hat mich im Internet gefunden und möchte nun wissen, ob ich Zeit habe.
Ich schreibe freundlich zurück und die Familie ruft mich schließlich an. Es stellt sich heraus, dass die verstorbene Frau aus Serbien stammte, ihre Religion aber nicht praktizierte, der Ehemann ebenfalls nicht und die Söhne hätten türkische bzw. deutsche Ehefrauen sodass man eine Trauerfeier ohne religiösen Bezug wolle.
Ich nehme den Auftrag an und wir verabreden einen Termin für einen Hausbesuch.
Am verabredeten Tag ruft die Schwiegertochter mich an und berichtet von einem Rohrbruch in der Wohnung, sie bestellt mich in einen Gasthof in der Innenstadt.
Ich treffe pünktlich um 16:00 Uhr dort ein, der Witwer, die Söhne und eine Schwiegertochter sind bereits da. Der Kellner fragt uns was wir trinken möchten, ich bestelle einen Kaffee, alle anderen ebenfalls, ein Sohn bestellt ein Bier.
Die Familie berichtet mir, dass die Mutter schwer an Krebs erkrankt war, aber man habe immer so getan, als ob das keine große Sache wäre. Man habe so mit ihr gesprochen als ob sie wieder gesund werden würde, Gespräche mit ihr über die Krankheit habe man abgeblockt.
Das sei das beste in so einer Situation, das helfe allen am besten erklärt mir der Sohn, man dürfe über so eine Krankheit nicht sprechen.
Die Mutter sei der Mittelpunkt der Familie gewesen, habe alle zusammengehalten, sie habe die Enkel gehütet und toll für alle gekocht.
Niemand habe mit Mutter darüber gesprochen, dass sie sehr krank sei und sterben werde, niemand habe hören wollen, wie sie selber mit der Krankheit fertig würde.
Es habe keine Gespräche über den Abschied gegeben, schließlich sei der Gedanke an Mutters Krankheit für alle eine Belastung gewesen, da hätte man nicht noch darüber sprechen wollen.
Der Sohn bittet mich auch in der Rede die Erkrankung nicht zu erwähnen, man wolle nur positives hören.
Alle preisen noch einmal die Vorzüge der verstorbenen Frau, dann merke ich deutlich, dass die Familie „fertig werden“ möchte.
Ich klappe meine Mappe zu und verabschiede mich.
Die verstorbene Frau tut mir leid, wie schlimm muss es für sie gewesen sein mit ihrer Erkrankung alleine fertig werden zu müssen, niemand hat ihr zugehört, niemand hat am Ende ihres Lebens mit ihr gesprochen über das was die sterbende Frau bewegt haben mag.
Ich formuliere wunschgemäß eine „positive“ Rede, ich erwähne die verstorbene Frau als gute Mutter, Ehefrau und Oma und erwähne auch, dass sie für alle ein Engel war, so wie man es im Gespräch wünschte.
Am Tag der Beisetzung treffe ich zeitig auf dem Parkplatz des Friedhofes ein und weil ich überpünktlich bin, erledige ich noch ein Telefongespräch.
Mitten in dieses Gespräch klopft ein Anrufer, es ist der Sohn der verstorbenen Frau, er fragt, wo ich bleibe, man wolle anfangen.
Mit einem Blick auf die Uhr stelle ich fest, dass ich immer noch 15 Minuten Zeit hätte, versichere dem Sohn aber, dass ich bereits vor Ort bin.
Ich schnappe mir meine Mappe und verlasse den Wagen und gehe über den Seiteneingang auf den Friedhof.
Kurz vor der Kapelle steht eine größere Trauergesellschaft und verhandelt lautstark mit einem weißgewandeten Priester, ich höre nur Wortfetzen wie:“ Da sind noch andere“ oder“ ist die Kapelle nun besetzt“?
Ich gehe vorbei und an der Tür der Kapelle steht „meine“ Familie, der Sohn begrüßt mich und die Mitarbeiter des Discount-Bestatters „Stiefelknecht“ haben bereits das Gestell mit der Urne in der Hand.
Die Familie hat die Kapelle nicht gebucht, ich soll direkt am Urnengrab sprechen.
Wir machen uns also auf den Weg, die Mitarbeiter von „Stiefelknecht“ gehen voran, ich folge ihnen, hinter mir geht die ca. 40 köpfige Trauergemeinde.
Nach wenigen Metern ist die Grabstelle erreicht, die Mitarbeiter treten an das Grab und lassen die Urne ab.
Ich bin verärgert, ich hätte es besser gefunden, die Urne nach der Rede beizusetzen aber nun ist es zu spät.
Es ist ein warmer Sommermorgen, die Sonne scheint und hinter einer Hecke dröhnt vernehmlich das Gartengerät eines Friedhofarbeiters.
Leider sieht sich der Mitarbeiter von „Stiefelknecht“ nicht in der Lage mal herüberzugehen und um Ruhe zu bitten, also beginne ich zu sprechen.
Der Ehemann, die Söhne und Schwiegertöchter stehen direkt bei mir und verstehen mich, bei dem Rest der Anwesenden mag das schon schwieriger sein.
Ich zitiere in der Rede ein serbisches Sprichwort und finde offenbar die richtigen Worte, die Söhne weinen und auch der Ehemann ist sichtlich gerührt.
Am Ende der Rede wende ich mich zum Grab und verbeuge mich, auf einer Staffelei steht ein Bild der verstorbenen Frau, sie war sehr hübsch, 58 Jahre alt, blond und zierlich.
Dann trete ich zur Seite und alle haben Gelegenheit zum Abschied, es werden Blumen ins Grab geworfen, viele weinen oder sprechen noch einmal am Grab Worte des Abschiedes.
Ich verabschiede mich von der Familie und gehe zurück zum Ausgang unterwegs treffe ich den Mitarbeiter von „Stiefelknecht“ und drücke ihm den Umschlag mit meiner Rechnung in die Hand, dieser Discounter gibt kein Bargeld sondern überweist das Rednerhonorar auf das Konto.
Als ich wieder an der Kapelle ankomme steht dort im Kreis versammelt die andere Trauergemeinde, mittendrin der Priester und der kleine Bestatter mit der üppigen Lebensgefährtin, er hat eine Urne auf dem Arm und guckt mich schief von der Seite an.
Er erkennt mich offenbar und guckt wieder weg, seit er mir mal eine Trauerfeier mit einer völlig bekloppten Familie vermittelt hat, welche sich bei der Feier völlig daneben benommen hat, bestellt er mich nicht mehr und mir ist es recht.
Ich gehe zurück zu meinem Wagen und bin froh gleich zuhause zu sein, denn es ist keine Freude bei diesem Sommerwetter im dunklen Anzug unterwegs zu sein.

Donnerstag, 4. Juli 2013

Frieden im Wald



Ein Bestattungshaus aus E. ruft an und fragt, ob ich bereit wäre für eine Urnenbeisetzung in den Friedwald zu kommen, ich schaue in meinen Kalender und sage zu, es sind noch fast 4 Wochen bis dahin.
Termine für Urnenbeisetzungen werden oftmals etwas früher festgelegt, mir ist es genehm, wir verabreden einen Betrag und ich erhalte die Rufnummer der Tochter der verstorbenen Dame.
Ich melde mich rechtzeitig bei der Tochter und auch hier wird wieder nur ein Gespräch am Telefon gewünscht. Ich mag das eigentlich nicht, aber auch auf Nachfragen bleibt es dabei, die Tochter will kein persönliches Treffen.
Am Telefon berichtet sie mir also, dass sie mit ihrer Mutter in den letzten zwölf Monaten keinen Kontakt mehr hatte, vorausgegangen wären 49 Jahre Streit, Ärger, gegenseitiges Missverstehen und Unverständnis.
Erst einen Tag vor dem Tod der Mutter habe sie überhaupt davon erfahren, dass diese krank sei und dass es ihr sehr schlecht gehe.
Sie habe ihre Mutter dann am Sterbebett noch besucht, aber man sei einander fremd gewesen, sie habe keine Trauer empfunden und sie habe nicht das Gefühl gehabt, dass letztlich noch Friede und Versöhnung stattfinden könnte.
Weiterhin erfahre ich, dass die Mutter bereits vor vier Monaten verstorben sei und die Urne der Mutter nun endlich bestattet werden könne, es habe größere Schwierigkeiten gegeben.
Die Schwester ihrer Mutter habe alles an sich gerissen, sei zu einem Bestatter ihrer Wahl gegangen und habe alles nach ihren Wünschen bestellt, ohne sich mit ihr (der Tochter) abzustimmen.
Immer wieder habe es Auseinandersetzungen gegeben über die Wahl des Friedhofes und die Wahl des Grabes. Schließlich so sagte mir die Tochter, habe sie kurzerhand den Bestatter gewechselt. Die Urne der Mutter sei also abgeholt worden und stehe nun bei dem Bestatter welchen sie für gut und richtig hielte.
Ihre Tante sei daraufhin ausgeflippt und habe den neuen Bestatter aufgesucht und bedroht. Das erste Bestattungshaus habe ihr gesagt, wo die Urne der Mutter nun zu finden wäre, und sie habe dort nun mit der Polizei, mit dem Anwalt und dem Ordnungsamt gedroht um zu erfahren, wo denn die Bestattung geplant sei.
Der neue Bestatter zeigte sich unbeeindruckt und der Tante die Tür.
So weit, so gut. Ich war also nun im Bilde über die Umstände des Todes der alten Dame, aber noch hatte ich keinerlei Information über die Persönlichkeit der Frau.
Auch Nachfrage erfahre ich, dass es eine katholische Trauerfeier zur Einäscherung gegeben habe, diese sei furchtbar gewesen, der Priester habe nur Unsinn erzählt, man habe ständig aufstehen und beten müssen, sie habe diese Feier in unguter Erinnerung.
Die Mutter solle nun einen Platz im Friedwald bekommen, weder die furchtbare Tante noch einige andere sollte von dem Termin erfahren, man wäre zur Beisetzung nur zu fünft.
Ich frage noch einmal näher nach und die Tochter berichtet mir, ihre Mutter sein intrigant gewesen, ungerecht, hartherzig und habe gerne Menschen gegeneinander ausgespielt.
Sie wolle nichts beschönigen, aber sie wolle nun Ruhe finden, die Mutter endlich beisetzen und auch nicht weiter mit ihrer Tante streiten, obwohl diese sich mit einem Trick einen großen Teil des Erbes an Land gezogen hätte. Sie wolle einfach Ruhe und mit all dem endlich abschließen.
Ich frage noch ob es andere Menschen gibt, die evtl. mit mir über die Verstorbene reden möchten, sie verneint und wir verabreden einen Termin für ein weiteres Telefongespräch.
Aber auch in diesem zweiten Gespräch ergibt sich nichts neues, niemand möchte mit mir über die Verstorbene sprechen, die Tochter berichtet mir noch einige unschöne Begebenheiten welche sie mit ihrer Mutter erlebt hat, dann verabschieden wir uns bis zum Tag der Beisetzung.
Meine Aufgabe ist es nun eine Rede zu formulieren, kurz soll diese sein, kein verlogener Nachruf, vielmehr ein Schlusspunkt für alle Beteiligten.
Ich habe den Eindruck, als ob die Tochter von mir eine Art „Freisprechung“ erwartet, quasi die Genehmigung für ein neues, freies Leben ohne ihre dominante Mutter.
Es gelingt mir eine Rede zu formulieren, tatsächlich geht es darin nicht um die negativen Eigenschaften der verstorbenen Dame sondern um die Gefühle der Tochter und des Enkels. Ich spreche von einem guten Abschluss dieser Familiengeschichte und über den Neubeginn für Tochter und Enkel.
Am Tag der Beisetzung fahre ich zeitig los, immerhin ist der Friedwald eine Autostunde entfernt.
Als ich auf den Parkplatz fahre begrüßt mich bereits der Bestatter, wir sprechen kurz über die sehr besondere Situation dieses Auftrages, tauschen meine Rechnung gegen Bargeld und warten auf die Tochter.
Diese kommt ebenfalls auf dem Parkplatz an, sie hat ihren Sohn dabei, die Freundin ihrer Mutter und eine weitere Dame, ebenso ihre zwei großen Hunde.
Der Mitarbeiter des Friedwaldes erwartet uns schon, eigentlich könnten wir beginnen, es fehlt aber noch eine Dame. Die Tochter erfährt per Handy dass diese sich verfahren habe und steigt wieder in ihren Wagen um die Bekannte mittels Navi abzuholen.
Ich bleibe mit dem Bestatter, dem Mitarbeiter des Friedwaldes und den anderen Gästen auf dem Parkplatz stehen, der Mitarbeiter erklärt die Geschichte des Friedwaldes und berichtet uns, dass diese Bestattungsform immer beliebter wird. Ganze Familien liegen bereits unter einzelnen größeren Bäumen, eine Grabpflege sei nicht nötig, die Natur regelt alles von alleine. Die Urne aus Maisstärke vergeht im Erdboden, die Asche des verstorbenen Menschen geht in den Kreislauf der Natur ein.
Wir hören Motorengeräusche, zwei Fahrzeuge kommen über den schlammigen Feldweg auf den Parkplatz, die Tochter hat die verschollene Dame gefunden, nun kann es losgehen.
Der Mitarbeiter geht voran, der Enkel trägt die Urne und ich folge den beiden. Hinter mir gehen die Tochter und die anderen Damen. Es fängt an zu nieseln, ich kann mir den Gedanken nicht verkneifen, dass die dunklen Wolken am Himmel und der einsetzende Regen durchaus zur Persönlichkeit der verstorbenen Frau passen…
Wir kommen zu dem Baum unter dem die Beisetzung stattfinden soll, ein kleines Loch ist bereits ausgehoben, daneben steht ein Holztrog mit Erde und Schaufel.
Der Mitarbeiter legt das kleine gelbe Rosengesteck ab, der Enkel tritt vor und versenkt zügig die Urne.
Ich halte die kurze Rede, danach ist Ruhe, man hört nur das Zwitschern der Vögel. Die Tochter tritt vor und bedankt sich bei mir, die Freundin der Mutter hat Tränen in den Augen und bedankt sich ebenfalls, schön sei es gewesen, nun könne endlich Frieden mit allem gemacht werden, die Zeit der Anspannung sei vorbei, endlich sei ein echter Abschied gefunden worden.
Es freut mich ehrlich, dass es der kleinen Trauergemeinde gefallen hat, es war eine nicht ganz alltägliche Situation auch für mich und ich bin froh, es hinter mir zu haben.