Montag, 29. Juli 2013

Kunstfehler



Am heutigen Vormittag steht eine Trauerfeier in B. an, ich klettere grade aus der Dusche als ich mein Handy bimmeln höre, an der Melodie erkenne ich meinen „Lieblingsbestatter“, ich werfe mir also ein Handtuch über und flitze zum Telefon.
Mit nassen Füßen und tropfenden Haaren stehe ich am Schreibtisch und notiere den neuen Auftrag, verstorben ist eine junge Frau, Jahrgang 68, das ist bitter.
Wir beenden das Gespräch und ich kümmere mich um einen Fön und steige in mein Redneroutfit, dann fahre ich nach B., wie immer mit Navi, denn diese Stadt ist größer als das Dörfchen in dem ich lebe.
Rechtzeitig komme ich am Friedhof in B. an, die Mitarbeiterin des Bestattungshauses Ferdinand erwartet mich bereits, sie hat die schöne weiße Urne mitgebracht und gemeinsam warten wir nun auf die bestellte Geigerin, diese soll am Grab zwei klassische Stücke spielen.
Wenige Minuten später trifft die junge Frau ein und wir gehen zu dritt zu der Urnengrabstelle, alles findet direkt am Grab statt, das Wetter ist warm und sonnig und die Grabstelle sehr schön gelegen.
Die Mitarbeiterin von „Bestattungen Ferdinand“ stellt die Urne in das Holzgestell welches bereits mit einem Kranz versehen ist, das kleine Grab ist ausgehoben und von innen mit einem Teppich aus Kunstrasen ausgekleidet.
Die Geigerin packt ihre Utensilien aus, klappt den Notenständer aus und streicht langsam mit dem Bogen über die Saiten, alles ist ok, wir können beginnen.
Die Mitarbeiterin holt die Trauergemeinde am Eingang des Friedhofes ab, als die ca. 20 Personen um die Ecke des Weges biegen beginnt die Geigerin zu spielen.
Die Trauergäste versammeln sich um die Grabstelle, ich stehe neben dem Grab, halte meine Ledermappe in beiden Händen und als das Musikstück verklungen ist beginne ich zu sprechen.
Ich bin ungefähr auf der Hälfte meines Textes, da passiert das unsägliche: Ich blicke während des Sprechens die Tochter der verstorbenen Frau an und schaue dann zurück in mein Manuskript und…meine Augen finden die passende Textzeile nicht wieder!!!
Weil ich wusste, dass es kein Rednerpult geben würde, habe ich die Schriftgröße des Manuskriptes kleiner gesetzt um zu verhindern, dass ich zu oft umblättern muss, ich blicke suchend über das Blatt, merke wie mir heiß und kalt wird, meine Augen fliegen über den Text und endlich bin ich in der richtigen Reihe, ich atme durch und spreche weiter.
Das ganze kann nur wenige Sekunden gedauert haben, für mich waren es gefühlte Stunden, auch den Trauergästen ist die kurze „Pause“ aufgefallen.
Ich spreche ruhig weiter und nachdem ich geendet habe spielt noch einmal die Geigerin.
Danach tritt der Sohn der verstorbenen Frau vor und senkt die Urne ins Grab. Nacheinander gehen nun alle an das Grab, verharren still und werfen einige Blütenblätter nach.
Die Tochter kommt nun zu mir und bedankt sich für die Rede, aber ich würde am liebsten im Boden versinken, ich entschuldige mich bei ihr für meinen Texthänger, der Sohn kommt ebenfalls hinzu und bedankt sich bei mir, ich entschuldige mich noch einmal.
Beide versichern mir, dass die Rede inhaltlich sehr passend war und dass ein Versprecher nur menschlich ist, trotzdem würde ich mich am liebsten sofort in Luft auflösen.
Wir verabschieden uns und ich gehe zurück zu meinem Wagen, ich bin verärgert über meinen Patzer und unzufrieden mit mir selber.
Ich starte den Wagen und fahre los, erst nach einigen Metern bemerke ich, dass ich falschherum durch eine Einbahnstraße fahre, entgegenkommende Autofahrer machen mich durch eindeutige Handzeichen darauf aufmerksam, ich wende also und höre der Stimme im Navi besser zu.
Ich bin so wütend über mich, dass ich platzen könnte, aber es hilft alles nichts, passiert ist passiert.
Ich bin bereits auf halber Strecke, stehe an einer roten Ampel, da höre ich hinter mir einen Krankenwagen und sehe das Blaulicht im Rückspiegel.
Der Wagen vor mir bewegt sich nicht, der neben mir auch nicht und ich fasse es nicht, niemand bildet eine Gasse!
Ich setze den Blinker nach rechts und drängle mich in die Rechtsabbiegerspur, man macht mir Platz und endlich bewegen sich auch andere Fahrzeuge, der Notarztwagen muss zwar merklich abbremsen, kommt aber nun über die Kreuzung.
Es wird grün, ich biege nun rechts ab und das Navi stellt fest, dass seine Route eine Änderung erfahren hat, es lotst mich nun auf die Autobahn und irgendwann komme ich in H. wieder an.
Zuhause schäle ich mich aus meinem Rednerdress und versuche meinen Ärger loszuwerden, es gelingt mir aber nicht so richtig.
Auf meinem Schreibtisch liegt der Auftrag von „Bestattungen Dünkel“, ich rufe die Mutter der verstorbenen jungen Frau an und vereinbare eine Termin für 16:00 Uhr, die Zeit drängt etwas, die Trauerfeier soll schon in zwei Tagen stattfinden.
Das Gespräch mit der Mutter ist schwierig, sie ist völlig aufgelöst und fassungslos, kann keinen klaren Gedanken fassen, der Lebensgefährte der Mutter spricht hauptsächlich mit mir, es ist tragisch und am Ende des Gespräches bin auch ich erschöpft.
Am Ende dieses Tages bin ich einfach nur froh, dass es etwas kühler geworden ist, ich gehe früh zu Bett und falle in einen traumlosen Schlaf.

1 Kommentar:

  1. Ohje ohje. Aber passieren kann das mal. Sicher kein Tag, den man wiederholen möchte. Aber du hast es überstanden.

    Danke fürs Teilen.

    Gruß

    AntwortenLöschen