Mittwoch, 11. September 2013

Mc Funeral



Von meinem Lieblingsbestatter bekomme ich einen Auftrag für eine Trauerfeier zur Einäscherung, das heißt:  Der Sarg wird zur Trauerfeier in der hauseigenen Halle aufgebahrt, schön mit Blumen dekoriert und mit Kerzen und Tüchern wird eine schöne Atmosphäre hergestellt.
Bei der verstorbenen Frau handelt es sich um eine 45-jährige Frau, sie war seit vielen Jahren schwer depressiv und hat sich nun das Leben genommen.
Ich atme durch und nehme den Auftrag an, rufe die Mutter der Frau an und vereinbare einen Termin zum Hausbesuch, es ist bullenheiß draußen, ich könnte mir schöneres vorstellen als diesen Besuch zu unternehmen aber es hilft nichts, ich muss hinfahren.
Die Mutter und ihr Lebensgefährte erwarten mich in ihrer kleinen Wohnung, die Handtasche der Tochter liegt auf dem Sofa, der Inhalt ist über den Tisch verstreut.
Wir gehen nach nebenan in das Esszimmer, man bietet mir ein Glas Wasser an, ich klappe meine Schreibmappe auf und beginne vorsichtig das Gespräch.
Tinas Mutter weint und ihr Lebensgefährte beginnt zu erzählen, ich erfahre, dass Tina seit vielen Jahren schwer depressiv war, dass sie deshalb berentet war und starker Betreuung bedurfte. Jeden Tag habe man sie mehrfach angerufen, habe sie in den Alltag eingebunden, sie abgeholt, eingeladen, mitgenommen, alles haben man unternommen um ihr Lebensfreude zu spenden.
Auch Tinas Lebenspartner habe sich alle Mühe gegeben, aber nichts habe geholfen. Schließlich habe Tina sich am Vortag  von ihrem Freund verabschiedet und ihm gesagt, sie wolle mit dem Bus zu ihrer Mutter fahren. Dort kam sie nie an. Am frühen Abend rief der Lebenspartner bei der Mutter an um nach Tina zu fragen, erst jetzt bemerkte man, dass sie weder bei der Mutter war noch zuhause. Eine Suchaktion startete und der Lebenspartner der Mutter fand Tina am Abend auf dem Dachboden über ihrer Wohnung, sie hatte sich erhängt und bereits einige Stunden bei brütender Hitze auf dem Dachboden gehangen…
Man zeigt mir Bilder von Tina, ich bin erschüttert, auf den Bildern sieht man eine junge, sehr schöne Frau, lange blonde Haare, eine Traumfigur und schöne Augen, es ist kaum zu glauben, dass diese Schönheit so schwer depressiv war.
Ich erfahre, dass auch Tinas Vater unter Depressionen gelitten hat und sich ebenfalls auf dem Dachboden erhängt hat, Tinas Mutter tut mir leid, sie weint und ist fassungslos, kann kaum sprechen und wirkt krank und müde.
Ich notiere mir einiges, frage nach Musikwünschen und versichere, dass jeder Musikwunsch völlig in Ordnung ist, die Feier wird in der Halle des Bestatters stattfinden, wir sind dort völlig frei in unserem Handeln und können die Feier so gestalten, wie es für die Angehörigen gut und richtig ist.
Ich verabschiede mich schließlich und fahre nachdenklich nach Hause, dieser Trauerfall ist auch für mich nicht einfach, Tina war so jung und die Mutter muss nun den zweiten Selbstmord verkraften, sie hat erst den Ehemann und nun auch ihr einziges Kind verloren.
Am Abend telefoniere ich mit Tinas Lebenspartner, auch er möchte mich sprechen, wir verabreden und in einem Cafe für den nächsten Vormittag.
Mit meiner Familie sitze ich noch am Frühstückstisch als mich der Anruf des Mannes erreicht, das Cafe sei übervoll, er sitze bei MC Donald und erwarte mich dort. Ich bestätige den Termin, trinke meinen Kaffee aus und mache mich fertig, meine Familie wird derzeit den Einkauf erledigen.
Pünktlich fahre ich auf den Parkplatz des Klopsbraters, nehme meine schwarze Ledermappe und betrete das Außengelände, als mir ein einzelner Mann schon zuwinkt. Ich trete an den Tisch heran und wir stellen uns einander vor, er möchte diesen Tisch behalten und ich setze mich.
Um uns herum toben Kinder über die Spielgeräte, aus den Lautsprechern dringt sehr zeitgenössische Musik und am Nachbartisch unterhalten sich lautstark Menschen in fremder Sprache.
Ich füge mich in mein Schicksal, klappe meine Mappe auf und beginne das Gespräch. Zunächst erfahre ich wenig neues, er erzählt von Tinas Depressionen und davon, dass er 9 Jahre versucht hat ihr zu helfen.
Er sei aber schon länger am Ende seiner Kraft und habe die Trennung gewollt, Tina wusste das und sei darüber traurig gewesen.
Nun fühle er sich schuldig an ihrem Selbstmord, er mache sich Vorwürfe und wolle unbedingt sofort wieder arbeiten gehen, sein Chef habe ihm Urlaub angeboten, aber den habe er abgelehnt, er wolle keine Auszeit sondern „normal“ weitermachen.
Ich höre zu und denke mir meinen Teil, die Klopsbratbude ist der denkbar schlechteste Ort für ein tiefschürfendes Gespräch außerdem ist es furchtbar heiß und die Sonne brennt mir auf den Rücken.
Auf meine Nachfragen wünscht er sich ein Musikstück aus dem Musical „Der König der Löwen“, dort sei er mit Tina gewesen und beiden habe es sehr gut gefallen, es sei ein glückliches Wochenende in Hamburg gewesen.
Wir verabschieden uns und ich bin froh, dieser Situation entkommen zu können, mir ist warm und ich freue mich auf ein Glas Wasser und darauf meine dunkle „Gesprächskleidung“ ausziehen zu können.
Am nächsten Tag teilt man mir weitere Musikwünsche mit und ich beginne mit der Arbeit an meiner Rede, ich finde passend zu der Musik aus dem Musical ein passendes afrikanisches Sprichwort und freue mich, dass mir dennoch eine Rede gelungen ist, welche trotz aller Schwermut auch die Hoffnung von Tinas Mutter auf ein „helles Licht“ für Tina ausdrückt.
Pünktlich treffe ich am Tag der Trauerfeier bei meinem Lieblingsbestatter ein, wir erledigen im Büro meine Rechnung und ich gehe rüber in die Halle. Der helle Verbrennersarg ist schön mit Blumen und Tüchern dekoriert, Kerzen brennen und die bunten Glasfenster werfen ein schönes Licht in die Halle.
Die ersten Gäste treffen ein und nehmen Platz, ich stehe im Eingangsbereich und begrüße zusammen mit dem Mitarbeiter von „Bestattungen Dünkel“ die  Gäste.
Auch Tinas Mutter erscheint zusammen mit ihrem Lebenspartner, sie betritt die Diele und geht langsam auf den Eingang der Halle zu, dann erblickt sie den geschmückten Sarg, bleibt stehen und beginnt zu weinen, sie dreht sich um und will zurück in Richtung Ausgang, der Lebenspartner hält sie fest, redet leise auf sie ein und drängt sie sanft in die Halle.
Ich reiche ihr meinen Arm und gemeinsam führen wir sie auf ihren Sitzplatz in der ersten Reihe, sie nimmt Platz und starrt auf den Sarg ihrer Tochter.
Tinas Lebenspartner trifft ebenfalls ein und nimmt am Ende der ersten Reihe Platz, er ist in Begleitung einer jungen Frau gekommen.
Nach und nach treffen die Trauergäste ein und nehmen Platz, viele weinen und wirken fassungslos, obwohl alle wussten, wie schwer depressiv Tina war ist ihr Tod nun doch etwas unfassbares.
Das erste Musikstück ist verklungen und ich beginne zu sprechen, einige nicken während ich rede, andere weinen vernehmlich.
In der Mitte der Rede spielen wir das Stück aus dem Musical, Tinas Freund sitzt mit geschlossenen Augen wie erstarrt da.
Ich spreche weiter und am Ende meiner Rede hören wir eine Popballade gesungen von fünf Tenören.
Ich verbeuge mich vor dem Sarg und verlasse das Rednerpult, der Mitarbeiter legt eine CD mit ruhiger Musik ein, leise dudelt sie vor sich hin.
Tinas Mutter erhebt sich langsam und geht zusammen mit ihrem Partner und Tinas Freund zum Sarg. Zu dritt stehen sie da, weinen und verharren. Schließlich legt Tinas Mutter ihre Hand auf den Sarg ihrer Tochter, verabschiedet sich von ihrem Kind und lässt sich aus der Halle führen.
Nacheinander treten nun die anderen Gäste an den Sarg, legen Blumen ab, sprechen einige Worte und gehen zum Ausgang.
Dort allerdings staut sich alles, denn Tinas Mutter steht direkt am Ausgang und nimmt die Worte der Gäste entgegen, es dauert lange bis alle bei ihr waren du ihr kondoliert haben.
Danach kommt sie noch einmal mit ihrem Partner in die Halle, geht nochmal zu Sarg und spricht mit ihrem Kind. Dann wendet sie sich ab und verlässt die Halle.
Auch Tinas Freund kommt noch einmal zurück, er setzt sich in die erste Reihe und spricht halblaut vor sich hin, er gestikuliert, weint und erzählt, den Blick fest auf Tinas Sarg gerichtet. Dann steht er auf, kommt zu mir und bedankt sich für die Rede auch bei der Organistin bedankt er sich und geht.
Die Halle ist nun leer, einsam steht der Sarg mit der toten schönen Frau noch da, die Mitarbeiter von „Bestattungen Dünkel“ löschen die Kerzen, die Organistin verabschiedet sich und geht.
Tinas Sarg wird noch am Nachmittag zum Krematorium gebracht werden, sie wird verbrannt und anonym beigesetzt, so habe sie es sich immer gewünscht.
Die Mutter hat diesen Wunsch umgesetzt.



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