Freitag, 6. Dezember 2013

Fremdgeschämt





Ich fahre zu einer Trauerfeier nach B. Die verstorbene Frau war erst 59 Jahre alt, sie war schwer krank und lebte bereits seit 10 Jahren in einem Pflegeheim.
Das Trauergespräch mit der Tochter war freundlich aber kurz, die Verstorbene selbst hat sich als musikalische Untermalung „Niemals geht man so ganz“ von Trude Herr gewünscht.
Zum Ende der Feier soll das „Peer Gynt“ erklingen, ich sage der Tochter zu die CD mitzubringen.
Als ich am Friedhof ankomme, finde ich sofort einen Parkplatz, der Friedhof ist sehr klein und hat viele alte Gräber, die verstorbene Frau wird mit in die Gruft ihrer Eltern kommen.
In der kleinen Kapelle ist die Bestatterin bereits dabei die Kerzen anzuzünden, es sind viele Gestecke und Blumen angeliefert worden, Frau S. war offenbar sehr beliebt.
Die Urne steht in einem Gestell, welches mit einem Blütenkranz geschmückt ist, alles sieht sehr ansprechend aus.
Ich tausche mit der Bestatterin meine Rechnung gegen Bargeld, dann wende ich mich an die Organistin. Ich wundere mich, dass sie überhaupt da ist, schließlich sind zwei Musikstücke von der CD bestellt.
Von der Bestatterin erfahre ich, dass sie nur von einem Stück wusste und deshalb die Organistin mitsamt ihres Keyboards bestellt habe.
Die Organistin teilt mir mit, dass sie das „Peer Gynt“ nicht spielen könne, sie habe ja nicht gewusst, dass das gewünscht werde und einen CD Player habe sie natürlich nicht dabei.
Mir geht diese kleine dicke Frau augenblicklich auf die Nerven, ebenso ihre Begleiterin, welche aussieht, als habe sie sich aus zwanzig Jahre alten Caritas-Kleiderbeutelspenden eingedeckt.
„Mir sagt ja keiner was“ kräht sie durch die bereits halb gefüllte Kapelle, „ woher soll ich denn ahnen, was gespielt werden soll?“
Ich raune ihr zu, dass sie dann bitte etwas anderes spielen möge, gerne das „Largo“ oder das „Air“, doch leider reagiert sie nicht auf mich.
Stattdessen schnappt sie sich einen Aktenordner und platziert sich damit in der ersten Reihe, sie blättert in dem Ordner, bzw. wühlt darin herum, denn die eselohrigen Noten sind nicht abgeheftet und fliegen munter durch den Ordner, ich hasse sowas!
Während sie also blättert, motzt sie munter weiter:“ Mir sagt man ja nix, ich kann jetzt hier die Noten suchen und mir überlegen, was ich spielen soll, das hätte man mir ja alles mal vorher sagen können“
Mittlerweile füllt sich die Kapelle immer mehr und die Kinder und Schwiegerkinder von Frau S. haben in der ersten Reihe Platz genommen, ich sitze ganz außen und neben mir blättert die schreckliche Orgeltante lauthals in ihrem Blätterchaos.
Sie motzt und meckert in einer völlig unangemessenen Lautstärke und unwillkürlich entfährt mir ein „Psssst“. Leider entgeht das der Dame völlig, endlich aber hört sie auf zu suchen und findet das gewünschte Notenblatt.
Gerne hätte ich sie darauf hingewiesen, dass es Locher gibt und Trennblätter mit denen man seine Notenblätter fein säuberlich im Ordner abheften kann, aber ich schweige höflich.
Mit Getöse klettert die Dame also wieder auf das Holzpodest und pflanzt sich hinter ihr Keyboard, mit einem Bein rappelt sie den Fußschalter um, alle gucken.
Obwohl ich die Frau nicht kenne, ist mir das alles grottenpeinlich, am Ende denkt noch einer der Gäste, ich kenne diese Unperson.
Endlich ist Ruhe, da rappelt sie sich wieder hoch und kommt zu mir und fragt“ Was soll ich denn nun spielen, das „Air“ von Bach oder was anderes von Bach, was auch schön klingt?“
Ich flüstere ihr zu, dass ich ihr diese Entscheidung überlasse, sie zuckt zurück und sagt:“ Oh Gott, oh Gott“ und guckt mich fragend an.
„Ok“, sage ich, „dann das Air“
Sie nickt und watschelt zum Ausgang der Kapelle und ich höre, wie sie die Bestatterin fragt, wer ich wohl wäre.
„Das ist der Trauerredner“ sagt die Bestatterin, „der hält gleich die Rede“
Diese Auskunft scheint der Orgelfrau zu genügen, sie zwängt sich wieder hinter ihr Instrument und stellt das Keyboard auf „Orgel“ um, dann übt sie das Stück indem sie die Finger auf die Tasten legt und so tut als spiele sie.
Ich gucke unauffällig auf die Tasten, es hätte mich nicht gewundert, wenn dort farbige Punkte aufgeklebt wären…
Die Kapelle ist nun rappelvoll, einige Gäste müssen stehen, es ist an der Zeit, wir fangen an. Die Bestatterin startet ihren I Pod, Trude Herr singt, dann spreche ich. Danach orgelt die Orgelfrau, währenddessen öffnen sich die Türen und zwei Träger erscheinen. Sie verbeugen sich vor der Urne, heben diese mitsamt Gestell vom Tisch und gehen zur Tür, die Bestatterin und ich folgen den beiden.
Hinter uns geht die Trauergemeinde, wir erreichen die Familiengruft, ich lese noch einen kurzen Text, dann versenken die Träger die Urne.
Es ist bitterkalt, am Grab stehen ca. 45 Menschen, alle treten nun nacheinander an das Grab und werfen etwas Erde auf die Urne.
Ich stehe etwas abseits, einzelne Gäste kommen zu mir und bedanken sich für meine Worte, auch die Tochter bedankt sich bei mir.
Ich verabschiede mich und gehe zu meinem Wagen, dann düse ich durch die ländliche Gegend zurück nach H.

Dienstag, 3. Dezember 2013

Etwas Senf zur Urne?



Im hiesigen Tagblatt steht geschrieben, dass am äußersten Rande unseres Städtchens das Bestattungshaus „Knigge-Nicht“ eröffnet hat und am kommenden Samstag einen „Tag der offenen Tür“ veranstaltet.
Ich sehe wacker in meinem Kalender nach und stelle fest, dass ich nachmittags Zeit habe und merke mir diesen Termin also vor.
Schließlich betrete ich an besagtem Nachmittag gegen 14:30 Uhr das Bestattungshaus, es riecht nach Waffeln und Kuchen und ca. 20 Personen sind anwesend, drei Damen sitzen um einen kleinen runden Tisch herum, etwas weiter in der offenen Küchenzeile werden frische Waffeln gebacken.
„Kommen Sie herein“, ruft eine der Waffelbäckerinnen, ich folge ihrem Ruf und hänge meinen dunklen Mantel an der Garderobe ab, ich werde augenblicklich mit Waffel und Kaffee bedacht und nehme an einem Tisch mit 6 Stühlen Platz. Während ich an meiner Waffel schmause, kommt ein älterer Herr zu mir an den Tisch, er trägt einen dunklen Anzug und die hässlichste Krawatte der Welt. Er hält mir über dem Tisch die Hand hin und stellt sich vor:“ Friedhelm Knigge-Nicht“, ich stehe auf, nehme seine Hand und stelle mich vor:“ Heiner Hein, ich bin Trauerredner“
„Och, entfährt es Herrn Knigge-Nicht, die brauchen wir hier ja auch hin und wieder, haben Sie denn schon meinen Kartoffelsalat probiert, den habe ich persönlich mit Gurkenwasser abgeschmeckt“?
Ich gucke wie ein Hirsch wenn es donnert und verneine, Herr Knigge-Nicht wendet sich mittlerweile anderen Gästen zu, ich bin etwas verwirrt, immerhin konnte ich ihm während der kurzen Vorstellung meine Rednerkarte in die Hand drücken.
Ich nehme wieder Platz, ein älteres Paar setzt sich zu mir und auch Herr Knigge-Nicht kommt mit einem Teller zu uns zurück an den Tisch, er hat sich von seinem Kartoffelsalat aufgelegt und eine Wurst zum Dialog gebeten, diese bedenkt er nun mit ordentlich Senf. Dann schraubt er die Senftube wieder zu und legt sie mit dem Verschluss auf meiner Rednerkarte ab!
Ich habe mittlerweile meine Waffel verzehrt und bin stinksauer, was fällt dem denn ein? Ich stehe auf und ziehe meine Karte unter der Senftube weg, sowas ist mir noch nie passiert.
Herr Knigge-Nicht plaudert derweil mit seinen Gästen und erfreut sich an seiner Wurst, im Weggehen höre ich wie er sagt:“ Noch zwei Jahre, dann bin ich Rentner“
Ich wundere mich, dass jemand zwei Jahre vor der Rente ein Bestattungshaus eröffnet, sage aber nix und stelle mich wieder bei den Damen an der Waffeltheke an.
„Darf ich Ihnen meine Karte hierlassen“ frage ich, die fleißige Bäckerin guckt erschrocken und fragt, ob ich schon gehen möchte.
„Bleiben Sie doch noch, Frau Knigge-Nicht ist bestimmt gleich fertig, sie hat grad ein Trauergespräch“ Die Bäckerin deutet auf den kleinen runden Tisch an dem die drei Damen sitzen, eine davon ist also Frau Knigge-Nicht, welche es offenbar völlig normal findet, ein Trauergespräch zwischen Waffeleisen und IKEA Regal abzuhalten…
Ich bin also bereit noch einen Moment zu warten und schaue mich um, das große Ladenlokal wurde einfach mit weißen IKEA Möbeln optisch unterteilt, in einem Regal, welches an ein Kolumbarium erinnert stehen verschiedene Urnen, in den Regalen liegt die typische Trauerliteratur.
Die Wände sind entweder weiß oder hellgrün gestrichen, die Bilder an den Wänden zeigen grüne Gräser mit Steintürmen.
Eine offene Küchenzeile ist zu sehen, es gehen mehrere Türen in den hinteren Bereich ab. Insgesamt wirkt alles hell und freundlich, auch die Schaufenster sind hellgrün/weiß dekoriert, nicht deutet von außen auf ein Bestattungshaus hin.
Dann kommt Frau Knigge-Nicht zu mir, begrüßt mich und öffnet meine Klappkarte, sie liest meinen Namen und sagt“: Ihren Namen habe ich schon mal gehört, ich war vorher abhängig beschäftigt, bei Pietät Müllerklaus“
„Aha, sage ich, ja dann mag das sein, dass Sie schon von mir gehört haben“  „Aber nun, sagt Frau Knigge-Nicht, bin ich ja selbstständig“ Sie betont das sehr und ich beglückwünsche sie zu diesem Schritt. Eigentlich hatte ich erwartet, dass sie mich fragt, ob sie mir das Institut zeigen dürfe, aber sie fragt nicht.
Da ich aber neugierig bin, frage ich:“ Haben Sie hier auch eine eigene Trauerhalle und Aufbahrungsräume“?
„Nein, sagt Frau Knigge-Nicht, nein, das braucht nicht sein, die Verstorbenen können auf den Friedhof in die Zelle“
„Was soll denn das hin- und herfahren, das nützt keinem was, erst sind die Toten hier, dann auf dem Friedhof, nein, das muss nicht sein, die Angehörigen können sich auch auf dem Friedhof in der Zelle verabschieden.
„Außerdem sind wir hier in einem Wohngebiet und im Haus über mir wohnen Familien mit Kindern, da will ich die Toten nicht hier haben und teuer ist es ja auch, ich hätte mindestens 40 000Euro für eine Kühlung ausgeben müssen, nein, das muss alles nicht sein“
Ich schenke Frau Knigge-Nicht ein höfliches Lächeln und denke mir meinen Teil, ich finde das was sie sagt ganz furchtbar. Sie möchte also Ihren Auftraggebern zumuten, sich in einer eiskalten Friedhofszelle vom Verstorbenen zu verabschieden, obwohl es doch viel schöner gehen würde?
Mein Lieblingsbestatter z.B. hat Verabschiedungsräume welche schön gestaltet sind und der Familie in wohliger Atmosphäre Gelegenheit geben zu trauern und Abschied zu nehmen.
Bei Bestattungen Knigge-Nicht wird das also nicht möglich sein, hier ist es offenbar auch nicht möglich, einen Raum für ein Trauergespräch bereitzustellen, alles findet im großen Ladenlokal statt, in Nischen, welche durch Möbel vom Schweden entstanden sind.
Frau Knigge-Nicht grinst schlee aus ihrer Polyester-Billig-Bluse und sagt“ Ich spreche ja oft auch selber, wenn kein Pfarrer kommen soll, was kosten Sie denn“?
In Sekundenschnelle höre ich mich meinen Höchstpreis sagen, von dem ich weiß, dass er viel zu hoch ist für dieses „Sparbrötchen-Unternehmen“
„Ok, sagt sie dann, ich rufe Sie an, wenn ich was für Sie habe“ Ich nicke freundlich und verabschiede mich, ich bin fast sicher, dass Frau Knigge-Nicht mich niemals anrufen wird…

Montag, 25. November 2013

Lehrgeld





Mein Telefon bimmelt, ich hebe ab und am anderen Ende stellt sich eine junge Frau vor, sie habe mich im Internet gefunden und wolle fragen, ob ich bereit sei die Trauerfeier für ihren Vater zu übernehmen. Sie erkundigt sich nach meinem Aktionsradius, man lebe in W. das wäre für mich ca. 25km pro Strecke.
Ich versichere ihr, dass es daran nicht scheitern soll. Weiterhin fragt sie nun, ob ich schon mal jemanden beerdigt hätte, der an Krebs verstorben sei? Ich versichere ihr, dass das schon mehrfach der Fall war.
Dann kommt sie auf den Preis zu sprechen, sie erklärt mir, man sei „finanziell beengt“ und die Feier für ihren Vater müsse „preisbewusst“ gestaltet werden.
Ich fasse mir ein Herz und frage, ob es sich um eine Sozialbestattung handelt, dass verneint die Tochter, wiederholt aber, dass man „beengt“ sei.
Ich denke kurz nach und nenne meinen allerkleinsten Bauchschmerzpreis, dieser liegt knapp über dem einer Sozialbestattung, die Tochter notiert sich den Preis und sagt mir, sie wolle sich das überlegen und wieder anrufen.
Tatsächlich, zwei Tage später ruft sie wieder an und möchte nun den Auftrag an mich vergeben, wir verabreden einen Termin für das Trauergespräch und ich notiere den Termin für die Trauerfeier, welche erst in vier Wochen sein wird, da es eine Feuerbestattung werden wird.
Am besagten Tag fahre ich also zum Gespräch nach W. Ich bereite mich also innerlich auf eine Familie in bescheidenen Verhältnissen vor und nehme mir vor, gemeinsam mit den Angehörigen eine würdevolle Feier zu planen, schließlich ist das auch preiswert möglich.
Mein Weg führt mich in eine schnuckelige kleine Straße, schöne Altbauten in Form von Ein-und Zweifamilienhäusern säumen den Weg, als mein Navi mich darauf aufmerksam macht, dass ich mein Ziel erreicht habe.
Ich gucke auf die Hausnummer und tatsächlich, das gelbe Zweifamilienhaus ist meine Zieladresse.
Gegenüber ist eine Parklücke frei, ich setze meinen Minivan hinein und steige aus. Schnittig kommt ein dunkler BMW vorgefahren und biegt in die Einfahrt ein, in der schon ein VW Cabrio steht.
Der Herr welcher dem BMW entsteigt erweist sich als der Sohn des Verstorbenen, gemeinsam treten wir also ein.
Die Witwe öffnet im Erdgeschoß die Wohnungstür, wir begrüßen einander und ich werde durch eine geschmackvolle Wohnung in ein großes Wohnzimmer geführt.
Wir nehmen alle am Esstisch Platz, die Tochter, welche oben im Haus wohnt, kommt dazu.
Ich bin baff, das hätte ich nicht erwartet, unter „finanziell beengt“ hatte ich mir was anderes vorgestellt!
Auf dem Tisch liegen zahlreiche Briefe und Unterlagen, der Sohn greift danach und öffnet die Briefe und studiert diese, während ich mich mit der Tochter und der Witwe unterhalte. Er bringt sich kaum in das Gespräch ein, er sortiert die Unterlagen, unter einem Blatt blitzt eine goldene Karte eines Geldinstitutes vor…
Die Tochter erzählt viel über den Vater, die Witwe antwortet nur auf meine direkte Ansprache, der Sohn ist fertig mit sortieren und verabschiedet sich. Ich unterhalte mich noch eine Weile mit den beiden Frauen und erfahre, dass die Urnenbeisetzung im allerkleinsten Kreis stattfinden wird, die Feier sei gedacht für die Verwandtschaft, diese habe über 600km Anreise und komme extra für die Feier in der Schlosskapelle.
Schlosskapelle?? Die Tochter berichtet mir, man habe die Schlosskapelle angemietet, das Schloss sei ganz in der Nähe und nach der Feier wolle man mit ca. 30 Gästen im Schloss noch Kaffee und Kuchen einnehmen. Außerdem habe man eine Sängerin engagiert, welche zur Feier zwei Stücke vortragen werde.
Ich fühle einen leichten Groll in mir aufsteigen, sage aber nichts. Unter „finanziell beengt“ fällt alles das meiner Ansicht nach nicht mehr, ich fühle mich verschaukelt.
Also verabschiede ich mich höflich und fahre durch die Dunkelheit zurück nach Hause, ich bin um 17:30 Uhr in H. aufgebrochen und um 20:30 Uhr wieder daheim.
Ich bin so verärgert über diese Familie, dass ich bereits am nächsten Tag meine Rechnung in die Post gebe, normalerweise hätte ich damit gewartet, bis zum Tag nach der Feier aber in diesem Fall bin ich einfach nur sauer!
Natürlich gönne ich dem verstorbenen Mann eine würdige Feier, aber ich hätte auch mir mein angemessenes Honorar gegönnt.
Trotzdem bereite ich mich sorgfältig vor, schreibe die Rede und versuche meinen Ärger zu verdrängen.
Zwei Tage vor der Feier kontaktiert mich die Tochter abermals und teilt mir mit, dass der Weg zum Schloss durch eine Umleitung führe, wegen einer Baustelle. Ich plane das mit ein und fahre zeitig los, die Feier ist geplant für 14:00 Uhr, ich möchte natürlich pünktlich sein.
Die Autobahn ist schön frei am Samstagmittag, ich kann also zügig fahren und die Umleitung entpuppt sich als Umweg durch drei kleine Straßen und über einen kurvigen Feldweg, ich fahre durch Felder und Wiesen und stehe schließlich vor dem Parkplatz des Schlosses.
Hier gibt es einen Hofladen, eine Kunstausstellung und die kleine Kapelle, der Biergarten im Schlosshof ist ob der Kälte geschlossen.
Ich öffne die Tür der Kapelle, die Tochter und die Witwe sind schon da, ich nun auch, aber leider fast eine Stunde zu früh, denn ich hatte mich ja auf eine Baustelle eingestellt.
Auf dem Altar der Kapelle steht ein großes Photo des verstorbenen Mannes, direkt daneben eine prachtvolles und üppiges Gesteck aus weißen Lilien und anderen weißen Blumen. Ich würde den Preis für dieses Gesteck locker auf 150 Euro beziffern.
Mein verdrängter Ärger meldet sich wieder, ich bleibe aber höflich und unterhalt mich mit der Tochter, sie fragt mich, seit wann ich meinen Beruf ausübe und sagt“: Das ist doch bestimmt ein tolles Geschäft, was sie damit machen, es werden ja immer mehr Redner für Beerdigungen genommen“
Ich versichere ihr, dass es auch noch genügend Pfarrer gibt und genügend Familien, welche ihre Angehörigen durch die Kirche verabschieden lassen.
Innerlich könnte ich platzen, diese Familie ist an Dreistheit kaum zu überbieten, man leiert mir einen kleinen Preis aus dem Kreuz, fährt hier Furz und Feuerschein auf und ist noch der Ansicht, ich mache hier ein Bombengeschäft!!
Da öffnet sich die abermals die Tür der Kapelle und die Sängerin kommt herein, wir begrüßen einander, dann möchte sie die Akustik testen und sich einsingen.
In der Kapelle ist es bitterkalt, während sie ihre Töne schmettert, stößt sie dicke weiße Atemwolken hervor.
Mir ist anders zumute, ich würde am liebsten Feuer speien, so wütend bin ich!
Mittlerweile treffen die ersten Gäste ein und ich nehme in der ersten Reihe ganz außen Platz und lese mich noch mal durch mein Manuskript. Da es kein Rednerpult für mich gibt, habe ich meine Blätter in der Hand und knicke die linke untere Ecke nach oben, damit ich die Blätter beim umblättern besser fassen kann.
Nach und nach füllt sich Kapelle, alle nehmen Platz und frieren bitterlich, ich auch. Hinter mir höre ich wie eine Frauenstimme sagt:“ Naja, mit Trauer ist ja wohl nix mehr, es ist ja schon sieben Wochen her“
Ich bin erschüttert über diese Aussage und frage mich, warum diese Frau gekommen ist, wenn sie sowieso mit ihrer Trauer um Herrn B. fertig ist.
Während ich meinen Gedanken nachhänge, öffnet sie die Tür der Kapelle schwungvoll und ein junger Mann betritt voller Elan den Raum, er hat eine gelbe Plastikkiste in den Händen und ruft ein lautes und fröhliches „Hallo“ in die Runde. „ Hallooo“ tönt es mehrstimmig zurück…in der Kiste hat er klappernde Tassen und Kannen mit heißem Tee, er bietet fröhlich an, aber keiner möchte.
Endlich nimmt er Platz und gibt Ruhe, ich blicke zur Tochter hinüber, diese nickt und ich gehe nach vorne und beginne mit meiner Rede. An der verabredeten Stelle nicke ich der Sängerin zu, sie erhebt sich und schmettert los, danach fahre ich fort und bemühe mich gegen den Geräuschpegel in der Kapelle anzureden.
Alle vier Enkel des Herrn B. sind anwesend, alle im Alter zwischen drei und fünf Jahren und alle sind nicht willens still auf dem Schoß der Eltern zu sitzen, sie flitzen durch die Kapelle, knöttern und jammern, rutschen doch wieder auf den Schoß der Eltern, dann wieder zurück und ein Kind reißt krachend Muttis Tasche auf den Boden.
Ungerührt fahre ich fort, ich friere erbärmlich und offen gesagt, ist es mir egal, was diese Leute hier veranstalten, ich habe kein Verständnis dafür, dass man es offenbar versäumt hat eine Kinderfrau zu engagieren, welche mal für eine Stunde die Kinder im Nebenraum bespaßt hätte.
Ich komme zu Ende meiner Rede, die Sängerin ist noch mal dran und singt tapfer gegen die vier Kinder an, dann erklingt Musik von der CD, alle erheben sich und strömen dem Schloss zu, dort ist es warm und es warten Kaffee und Kuchen.
Die Witwe bedankt sich bei mir für meine Rede und bittet mich zum Kaffee, aber ich lehne freundlich ab, denn ich habe noch einen privaten Termin, es ist schließlich Samstag.
Ich steige in meinen Wagen und drehe die Heizung auf, dann fahre ich zurück nach H. Ich versuche meinen Ärger loszuwerden und beschließe zukünftig keine Sonderpreise mehr anzubieten.
Das mag zum Nachteil derer sein, welche tatsächlich beengt sind, aber so geht das nicht. Diese Familie hat meine Gutherzigkeit schamlos ausgenutzt, alles war vom allerfeinsten, nur an meinem Honorar hat man gespart.
OK, ich habe hier Lehrgeld bezahlt, sowas ist mir zum ersten Mal passiert und auch zum letzten Mal, zukünftig gilt entweder der Preis einer Sozialbestattung, sofern es eine ist, oder mein Honorar, welches sich nach den zu fahrenden Kilometern leicht verändert.
Sonderpreise räume ich nur noch ein, wenn ich z.B. vom Bestattungshaus ausdrücklich gebeten und sorgfältig informiert werde!

Montag, 21. Oktober 2013

Lug und Trug!




Ich bin auf dem Weg zu einem Trauergespräch und kreise durch D. als mein Handy bimmelt, an der Melodie erkenne ich, dass es ein Bestattungshaus sein muss und richtig, es ruft der „Bestattungsdiscounter Stiefelknecht“ an, für den ich sowieso grade im Einsatz bin.
Ich melde mich und die Mitarbeiterin fragt in höchster Not ob ich übermorgen eine Trauerfeier zur Einäscherung halten könnte, sie würde den Termin auf 10:00 Uhr legen, weil ich ja um 13:00 Uhr den Termin in D. habe.
Ich stimme zu und werfe sie aus der Leitung, denn dank irgendeines mysteriosen Umstandes nimmt mein tolles Autoradio die Gespräche nicht mehr an und ich muss während der Fahrt das Handy ans Ohr halten…
So kommt es also, dass ich um 18:00 Uhr bei Familie S. im Wohnzimmer sitze und erfahre, dass Tim sich umgebracht hat.
24 Jahre war er alt und keiner könne sich erklären, was ihn dazu getrieben habe.
Mit mir am Tisch sitzen sein Vater mit seiner Ehefrau, seine Mutter mit Ehemann und der Sohn von Vaters Ehefrau aus erster Ehe.
Alle sind fix und fertig und noch dazu hat Tims Selbstmord seinen Vater und dessen Ehefrau aus den Flitterwochen geholt, die beiden haben vor 14 Tagen geheiratet!
An der Wand lehnt ein großes Bild von Tim, es zeigt ihn in voller Größe, er trägt einen schönen Anzug, welchen er sich zur Hochzeit seines Vaters extra gekauft hatte.
Ich schaue mir das Bild an und sehe einen offensichtlich homosexuellen, jungen hübschen Mann.
Im weiteren Verlauf des Gespräches frage ich nach den Umständen des Selbstmordes und erfahre dass Tim Krankenpfleger war und sich mit Hilfe starker Medikamente das Leben genommen hat.
Die Mutter betont immer wieder, dass man wohl glaube, er habe sich umgebracht, weil er mit seiner Leserechtschreibschwäche nicht zurecht gekommen sei, außerdem habe er  an einem „späten ADHS“ gelitten und sich oftmals unruhig gefühlt.
Ich bin überrascht und stelle weitere Fragen, aber die Mutter ist eher abweisend und schroff, trotzdem sehr eloquent.
Sie beschreibt ihren Sohn als immer sehr gepflegt, gefühlvoll und sehr beliebt, seine Kleidung sei immer etwas „ausgefallen“ gewesen.Tim sei sehr speziell und außergewöhnlich.
Er habe die Kirche abgelehnt, sei aber spirituell gewesen, ich frage daher, ob er einen Art „Bohème“ gewesen wäre, worauf die Mutter empört abwehrt und mir erklärt, diesen Begriff kenne sie nicht und habe ihn noch niemals gehört!!
Nach dieser Klatsche frage ich vorsichtiger weiter und erfahre, dass auf der Trauerfeier auch drei seiner Freunde sprechen wollen, ich begrüße das außerordentlich, grundsätzlich immer und in diesem Fall ganz besonders.
Die Familie ist eher verschlossen und offensichtlich um jeden Preis dazu bereit, mich für doof zu verkaufen.
Ich frage weiter und wir einigen uns auf einen Ablauf für die Feier, allerdings wisse man noch nicht, welche Musik man wolle, aber auf keinen Fall die Orgel, es solle von der CD gespielt werden.
Wir vereinbaren, dass man mir am nächsten Tag die Musikwünsche zukommen lässt, immerhin steht schon fest, dass es Stücke von „Unheilig“ werden sollen.
Ich verabschiede mich und wundere mich insgeheim über diese Familie, die auch so gar nicht in den Kundenkreis des Discounters Stiefelknecht passt.
Wahrscheinlich hatte Stiefelknecht Dienst als man Tim in seiner Wohnung fand und die Kripo hat der Familie nicht erzählt, dass sie trotzdem einen anderen Bestatter beauftragen dürfen…
Am nächsten Tag habe ich keine Mail mit den Musikwünschen vorliegen, ich rufe also an und frage nach. Die Ehefrau des Vaters nennt mir die Stücke von Unheilig und sagt:“ Wir wollen am Ende der Feier ein Stück von Queen, „Bohemian Rhapsody“.
Fast wäre mir das Headset vom Ohr gefallen, ausgerechnet diesen Song, wo doch die Mutter mit dem Begriff „Behème“ angeblich so gar nichts anfangen kann? Man meint offenbar ich setze mir den Hut mit dem Hammer auf und komme aus Dummsdorf!
Da ich nun die Musikwünsche habe, koche ich mir eine Kanne Tee und verziehe mich an meinen Schreibtisch, die Feier findet am nächsten Morgen statt. Die Familie hat Eile, denn Tim war einige Tage bei der Kripo und nun möchte man endlich Abschied nehmen.
Am nächsten Morgen treffe ich pünktlich an der Kapelle ein, die Mitarbeiter von Stiefelknecht sind bereits vor Ort und Tims Sarg steht bereits vorne. Man hat den Sarg einfach mit den hinteren Füßen auf zwei Stufen gestellt, das Deckelgesteck draufgelegt und fertig.
Es gibt keine Tücher, keine Kerzen, keine Deko, der Sarg ist ein billiger Verbrenner, selbst eine Wäschetruhe von Ikea hätte hier besser ausgesehen.
Auf dem Stuhl in der ersten Reihe steht ein Bild von Tim, leider ist es zu groß für die Staffelei von Stiefelknecht, welche vor Hässlichkeit besticht.
Also stelle ich das Bild vor den Sarg und drapiere eine Rose aus dem Gesteck über dem Rand, das sieht eigentlich sehr nett aus, leider sagt es der Mutter nicht zu, diese ist grade eingetroffen und verlangt nun zu wissen, warum das Bild auf dem Boden stehe.
Man erklärt ihr, dass es zu groß für die Staffelei wäre und es so doch auch schön wäre.
Ich finde die Situation total bekloppt, warum kann Stiefelknecht sowas nicht vorher testen? Warum merkt man jetzt erst, dass es nicht passt, warum müssen die Angehörigen dabei sein, wenn noch Vorbereitungen laufen?
Die Mutter besteht schließlich darauf, dass links neben dem Sarg ein Stuhl aufgestellt wird auf dem das Bild nun abgestellt wird, das ist zwar nicht schöner, aber die Mutter gibt Ruhe.
Danach kommt sie zu mir und blökt mich an, sie wolle mit Tims Vater etwas unter vier Augen besprechen, wir sollten alle rausgehen.
Höflich weise ich sie daraufhin, dass es ein kleines Zimmerchen an der Seite der Kapelle gibt, dorthin könne sie sich zum Gespräch zurückziehen.
Mittlerweile treffen die ersten Gäste ein, die kleine Kapelle füllt sich und der Mitarbeiter von Stiefelknecht zündet die letzten Kerzen auf den Fensterbänken an, auch das hätte schon vorher erledigt werden können…
Pünktlich um 10:00 Uhr beginnen wir mit der Feier, Musik von „Unheilig“ erklingt, ich begrüße die Trauergemeinde und beginne mit der Rede.
Danach hören wir noch einmal „Unheilig“ und wie verabredet trete ich an die Seite und erwarte die erste Rednerin aus dem Freundeskreis. Diese hat sich leider in der Mitte einer Reihe platziert und muss erst umständlich aufstehen und nach vorne kommen, auch hier wäre etwas mehr Organisation ratsam gewesen.
Nacheinander sprechen nun die drei jungen Menschen, dann hören wir „Die besten sterben jung“ von den Onkelz.
Nachdem Tims Stiefbruder gesprochen hat, geht er zum Sarg und geht in die Hocke, er schaut auf den Sarg und leider auch auf das Pappschild des Discounters Stiefelknecht, welches am Sarg befestigt ist, auch hier wundere ich mich über diese Geschmacklosigkeit, man hätte das doofe Ding auch abnehmen können für die Dauer der Feier.
Der junge Mann verharrt vor dem Sarg, schließlich steht seine Mutter aus der ersten Reihe auf und nimmt ihren Sohn am Arm und führt ihn weg, sicherlich hat sie es gut gemeint, aber warum stört sie diesen Moment und lässt ihren Sohn nicht selber entscheiden, wie lange er verharren möchte?
Ich trete noch einmal ans Pult, sage noch ein paar Worte, weise auf das Kondolenzbuch am Ausgang der Kapelle hin und dann erklingt die „Bohemian Rhapsody“
Danach verlasse ich das Rednerpult und verbeuge mich vor dem Sarg, dann gehe ich zur Seite.
Als nächstes geht Tims Vater mit seiner Frau nach vorne, der Vater fällt auf den Stufen auf die Knie, lehnt sich über den Sarg und weint, auch er wird von seiner Frau am Arm weggezogen, offenbar ist die Frau der Meinung, man müsse Trauernden diesen kostbaren Moment streitig machen.
Dann tritt Tims Mutter mit ihrem Mann an den Sarg, auch sie geht in die Knie, liegt mit dem Oberkörper auf dem Sarg und weint, ihr Mann lässt sie in Ruhe, sie steht von selber wieder auf und geht nach vorne.
Die Familie hat ausdrücklich darum gebeten, nicht mit ansehen zu müssen, wie Tims Sarg von den Mitarbeitern weggetragen wird, also sammelt sich die Trauergemeinde im Eingangsbereich, viele wollen sich in das Kondolenzbuch eintragen, also müssen die Mitarbeiter von Stiefelknecht den Sarg durch die schmale Hintertreppe heraustragen, sie haben Zeitdruck und müssen los.

Tim wird verbrannt werden und seine Asche soll in Holland verstreut werden, man brauche kein Grab und keinen Ort zum trauern.
Ob das eine kluge Entscheidung ist, wage ich zu bezweifeln, aber ich bin froh, diese Familie los zu sein, die garstige Art der Mutter war mir zuviel.