Dienstag, 3. Dezember 2013

Etwas Senf zur Urne?



Im hiesigen Tagblatt steht geschrieben, dass am äußersten Rande unseres Städtchens das Bestattungshaus „Knigge-Nicht“ eröffnet hat und am kommenden Samstag einen „Tag der offenen Tür“ veranstaltet.
Ich sehe wacker in meinem Kalender nach und stelle fest, dass ich nachmittags Zeit habe und merke mir diesen Termin also vor.
Schließlich betrete ich an besagtem Nachmittag gegen 14:30 Uhr das Bestattungshaus, es riecht nach Waffeln und Kuchen und ca. 20 Personen sind anwesend, drei Damen sitzen um einen kleinen runden Tisch herum, etwas weiter in der offenen Küchenzeile werden frische Waffeln gebacken.
„Kommen Sie herein“, ruft eine der Waffelbäckerinnen, ich folge ihrem Ruf und hänge meinen dunklen Mantel an der Garderobe ab, ich werde augenblicklich mit Waffel und Kaffee bedacht und nehme an einem Tisch mit 6 Stühlen Platz. Während ich an meiner Waffel schmause, kommt ein älterer Herr zu mir an den Tisch, er trägt einen dunklen Anzug und die hässlichste Krawatte der Welt. Er hält mir über dem Tisch die Hand hin und stellt sich vor:“ Friedhelm Knigge-Nicht“, ich stehe auf, nehme seine Hand und stelle mich vor:“ Heiner Hein, ich bin Trauerredner“
„Och, entfährt es Herrn Knigge-Nicht, die brauchen wir hier ja auch hin und wieder, haben Sie denn schon meinen Kartoffelsalat probiert, den habe ich persönlich mit Gurkenwasser abgeschmeckt“?
Ich gucke wie ein Hirsch wenn es donnert und verneine, Herr Knigge-Nicht wendet sich mittlerweile anderen Gästen zu, ich bin etwas verwirrt, immerhin konnte ich ihm während der kurzen Vorstellung meine Rednerkarte in die Hand drücken.
Ich nehme wieder Platz, ein älteres Paar setzt sich zu mir und auch Herr Knigge-Nicht kommt mit einem Teller zu uns zurück an den Tisch, er hat sich von seinem Kartoffelsalat aufgelegt und eine Wurst zum Dialog gebeten, diese bedenkt er nun mit ordentlich Senf. Dann schraubt er die Senftube wieder zu und legt sie mit dem Verschluss auf meiner Rednerkarte ab!
Ich habe mittlerweile meine Waffel verzehrt und bin stinksauer, was fällt dem denn ein? Ich stehe auf und ziehe meine Karte unter der Senftube weg, sowas ist mir noch nie passiert.
Herr Knigge-Nicht plaudert derweil mit seinen Gästen und erfreut sich an seiner Wurst, im Weggehen höre ich wie er sagt:“ Noch zwei Jahre, dann bin ich Rentner“
Ich wundere mich, dass jemand zwei Jahre vor der Rente ein Bestattungshaus eröffnet, sage aber nix und stelle mich wieder bei den Damen an der Waffeltheke an.
„Darf ich Ihnen meine Karte hierlassen“ frage ich, die fleißige Bäckerin guckt erschrocken und fragt, ob ich schon gehen möchte.
„Bleiben Sie doch noch, Frau Knigge-Nicht ist bestimmt gleich fertig, sie hat grad ein Trauergespräch“ Die Bäckerin deutet auf den kleinen runden Tisch an dem die drei Damen sitzen, eine davon ist also Frau Knigge-Nicht, welche es offenbar völlig normal findet, ein Trauergespräch zwischen Waffeleisen und IKEA Regal abzuhalten…
Ich bin also bereit noch einen Moment zu warten und schaue mich um, das große Ladenlokal wurde einfach mit weißen IKEA Möbeln optisch unterteilt, in einem Regal, welches an ein Kolumbarium erinnert stehen verschiedene Urnen, in den Regalen liegt die typische Trauerliteratur.
Die Wände sind entweder weiß oder hellgrün gestrichen, die Bilder an den Wänden zeigen grüne Gräser mit Steintürmen.
Eine offene Küchenzeile ist zu sehen, es gehen mehrere Türen in den hinteren Bereich ab. Insgesamt wirkt alles hell und freundlich, auch die Schaufenster sind hellgrün/weiß dekoriert, nicht deutet von außen auf ein Bestattungshaus hin.
Dann kommt Frau Knigge-Nicht zu mir, begrüßt mich und öffnet meine Klappkarte, sie liest meinen Namen und sagt“: Ihren Namen habe ich schon mal gehört, ich war vorher abhängig beschäftigt, bei Pietät Müllerklaus“
„Aha, sage ich, ja dann mag das sein, dass Sie schon von mir gehört haben“  „Aber nun, sagt Frau Knigge-Nicht, bin ich ja selbstständig“ Sie betont das sehr und ich beglückwünsche sie zu diesem Schritt. Eigentlich hatte ich erwartet, dass sie mich fragt, ob sie mir das Institut zeigen dürfe, aber sie fragt nicht.
Da ich aber neugierig bin, frage ich:“ Haben Sie hier auch eine eigene Trauerhalle und Aufbahrungsräume“?
„Nein, sagt Frau Knigge-Nicht, nein, das braucht nicht sein, die Verstorbenen können auf den Friedhof in die Zelle“
„Was soll denn das hin- und herfahren, das nützt keinem was, erst sind die Toten hier, dann auf dem Friedhof, nein, das muss nicht sein, die Angehörigen können sich auch auf dem Friedhof in der Zelle verabschieden.
„Außerdem sind wir hier in einem Wohngebiet und im Haus über mir wohnen Familien mit Kindern, da will ich die Toten nicht hier haben und teuer ist es ja auch, ich hätte mindestens 40 000Euro für eine Kühlung ausgeben müssen, nein, das muss alles nicht sein“
Ich schenke Frau Knigge-Nicht ein höfliches Lächeln und denke mir meinen Teil, ich finde das was sie sagt ganz furchtbar. Sie möchte also Ihren Auftraggebern zumuten, sich in einer eiskalten Friedhofszelle vom Verstorbenen zu verabschieden, obwohl es doch viel schöner gehen würde?
Mein Lieblingsbestatter z.B. hat Verabschiedungsräume welche schön gestaltet sind und der Familie in wohliger Atmosphäre Gelegenheit geben zu trauern und Abschied zu nehmen.
Bei Bestattungen Knigge-Nicht wird das also nicht möglich sein, hier ist es offenbar auch nicht möglich, einen Raum für ein Trauergespräch bereitzustellen, alles findet im großen Ladenlokal statt, in Nischen, welche durch Möbel vom Schweden entstanden sind.
Frau Knigge-Nicht grinst schlee aus ihrer Polyester-Billig-Bluse und sagt“ Ich spreche ja oft auch selber, wenn kein Pfarrer kommen soll, was kosten Sie denn“?
In Sekundenschnelle höre ich mich meinen Höchstpreis sagen, von dem ich weiß, dass er viel zu hoch ist für dieses „Sparbrötchen-Unternehmen“
„Ok, sagt sie dann, ich rufe Sie an, wenn ich was für Sie habe“ Ich nicke freundlich und verabschiede mich, ich bin fast sicher, dass Frau Knigge-Nicht mich niemals anrufen wird…

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