Freitag, 6. Dezember 2013

Fremdgeschämt





Ich fahre zu einer Trauerfeier nach B. Die verstorbene Frau war erst 59 Jahre alt, sie war schwer krank und lebte bereits seit 10 Jahren in einem Pflegeheim.
Das Trauergespräch mit der Tochter war freundlich aber kurz, die Verstorbene selbst hat sich als musikalische Untermalung „Niemals geht man so ganz“ von Trude Herr gewünscht.
Zum Ende der Feier soll das „Peer Gynt“ erklingen, ich sage der Tochter zu die CD mitzubringen.
Als ich am Friedhof ankomme, finde ich sofort einen Parkplatz, der Friedhof ist sehr klein und hat viele alte Gräber, die verstorbene Frau wird mit in die Gruft ihrer Eltern kommen.
In der kleinen Kapelle ist die Bestatterin bereits dabei die Kerzen anzuzünden, es sind viele Gestecke und Blumen angeliefert worden, Frau S. war offenbar sehr beliebt.
Die Urne steht in einem Gestell, welches mit einem Blütenkranz geschmückt ist, alles sieht sehr ansprechend aus.
Ich tausche mit der Bestatterin meine Rechnung gegen Bargeld, dann wende ich mich an die Organistin. Ich wundere mich, dass sie überhaupt da ist, schließlich sind zwei Musikstücke von der CD bestellt.
Von der Bestatterin erfahre ich, dass sie nur von einem Stück wusste und deshalb die Organistin mitsamt ihres Keyboards bestellt habe.
Die Organistin teilt mir mit, dass sie das „Peer Gynt“ nicht spielen könne, sie habe ja nicht gewusst, dass das gewünscht werde und einen CD Player habe sie natürlich nicht dabei.
Mir geht diese kleine dicke Frau augenblicklich auf die Nerven, ebenso ihre Begleiterin, welche aussieht, als habe sie sich aus zwanzig Jahre alten Caritas-Kleiderbeutelspenden eingedeckt.
„Mir sagt ja keiner was“ kräht sie durch die bereits halb gefüllte Kapelle, „ woher soll ich denn ahnen, was gespielt werden soll?“
Ich raune ihr zu, dass sie dann bitte etwas anderes spielen möge, gerne das „Largo“ oder das „Air“, doch leider reagiert sie nicht auf mich.
Stattdessen schnappt sie sich einen Aktenordner und platziert sich damit in der ersten Reihe, sie blättert in dem Ordner, bzw. wühlt darin herum, denn die eselohrigen Noten sind nicht abgeheftet und fliegen munter durch den Ordner, ich hasse sowas!
Während sie also blättert, motzt sie munter weiter:“ Mir sagt man ja nix, ich kann jetzt hier die Noten suchen und mir überlegen, was ich spielen soll, das hätte man mir ja alles mal vorher sagen können“
Mittlerweile füllt sich die Kapelle immer mehr und die Kinder und Schwiegerkinder von Frau S. haben in der ersten Reihe Platz genommen, ich sitze ganz außen und neben mir blättert die schreckliche Orgeltante lauthals in ihrem Blätterchaos.
Sie motzt und meckert in einer völlig unangemessenen Lautstärke und unwillkürlich entfährt mir ein „Psssst“. Leider entgeht das der Dame völlig, endlich aber hört sie auf zu suchen und findet das gewünschte Notenblatt.
Gerne hätte ich sie darauf hingewiesen, dass es Locher gibt und Trennblätter mit denen man seine Notenblätter fein säuberlich im Ordner abheften kann, aber ich schweige höflich.
Mit Getöse klettert die Dame also wieder auf das Holzpodest und pflanzt sich hinter ihr Keyboard, mit einem Bein rappelt sie den Fußschalter um, alle gucken.
Obwohl ich die Frau nicht kenne, ist mir das alles grottenpeinlich, am Ende denkt noch einer der Gäste, ich kenne diese Unperson.
Endlich ist Ruhe, da rappelt sie sich wieder hoch und kommt zu mir und fragt“ Was soll ich denn nun spielen, das „Air“ von Bach oder was anderes von Bach, was auch schön klingt?“
Ich flüstere ihr zu, dass ich ihr diese Entscheidung überlasse, sie zuckt zurück und sagt:“ Oh Gott, oh Gott“ und guckt mich fragend an.
„Ok“, sage ich, „dann das Air“
Sie nickt und watschelt zum Ausgang der Kapelle und ich höre, wie sie die Bestatterin fragt, wer ich wohl wäre.
„Das ist der Trauerredner“ sagt die Bestatterin, „der hält gleich die Rede“
Diese Auskunft scheint der Orgelfrau zu genügen, sie zwängt sich wieder hinter ihr Instrument und stellt das Keyboard auf „Orgel“ um, dann übt sie das Stück indem sie die Finger auf die Tasten legt und so tut als spiele sie.
Ich gucke unauffällig auf die Tasten, es hätte mich nicht gewundert, wenn dort farbige Punkte aufgeklebt wären…
Die Kapelle ist nun rappelvoll, einige Gäste müssen stehen, es ist an der Zeit, wir fangen an. Die Bestatterin startet ihren I Pod, Trude Herr singt, dann spreche ich. Danach orgelt die Orgelfrau, währenddessen öffnen sich die Türen und zwei Träger erscheinen. Sie verbeugen sich vor der Urne, heben diese mitsamt Gestell vom Tisch und gehen zur Tür, die Bestatterin und ich folgen den beiden.
Hinter uns geht die Trauergemeinde, wir erreichen die Familiengruft, ich lese noch einen kurzen Text, dann versenken die Träger die Urne.
Es ist bitterkalt, am Grab stehen ca. 45 Menschen, alle treten nun nacheinander an das Grab und werfen etwas Erde auf die Urne.
Ich stehe etwas abseits, einzelne Gäste kommen zu mir und bedanken sich für meine Worte, auch die Tochter bedankt sich bei mir.
Ich verabschiede mich und gehe zu meinem Wagen, dann düse ich durch die ländliche Gegend zurück nach H.

1 Kommentar:

  1. Das kann ich mir gut vorstellen, dass es bei solchen Anlässen schmerzhaft ist, wenn man als Profi dabei zusehen muss, wie andere sogenannte "Profis" ihren Job mehr oder weniger zusammenstümpern. Zumal viele Trauergäste das ja wahrscheinlich gar nicht recht auseinander zu halten wissen, dass da eigentlich mehrere Unternehmer tätig sind. Für die war dann hinterher die Beerdigung einfach nur doof und mies organisiert.

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