Freitag, 24. Januar 2014

Doppelt gemoppelt




Per Email erreicht mich eine Anfrage, diese ist sehr eilig, die Urnenbeisetzung soll schon zwei Tage später stattfinden.
Ich wähle die hinterlassene Nummer und spreche mit der Tochter der verstorbenen Frau, sie erklärt mir sie habe am Vorabend einen Redner zum Hausbesuch bei sich gehabt, der wäre ihr vom Bestattungshaus empfohlen worden, sei aber leider nicht nach ihrem Geschmack gewesen.
Ich schlucke erstmal und stelle dann weitere Fragen, daraufhin erfahre ich, dass „mein Kollege“ wohl sehr am Geschmack der Familie vorbei geredet hat und man sich eine Trauerfeier unter seiner Leitung nicht vorstellen kann.
Obwohl mit etwas mulmig dabei ist, verabrede ich mich mit der Dame für den späten Nachmittag und lege auf.
Auf dem Weg zu der Familie überlege ich, was wohl schief gegangen sein könnte, den der andere Redner ist mir bekannt und schon viele Jahre im Beruf.
Schließlich sitze ich mit Frau H. am Esstisch und bei einer Tasse Kaffee erfahre ich die näheren Umstände. „Mein Kollege“ hat vorab per Email einige Informationen über die verstorbene Mutter von Frau H. erhalten und daraus schon mal das Gerüst der Rede gestrickt, die Feinabstimmung sollte dann eben mit Frau H. erfolgen. Während der Lektüre des Manuskriptes merkte Frau H. dann sehr fix, dass es so gar nicht nach ihrem Geschmack war, es war die Rede von Schutzengeln und am Ende der Rede sollte das „Vater Unser“ gebetet werden.
Außerdem störten sie Formulierungen wie:  „wir trauern“, „wir vermissen“ oder „wir sind traurig“, auf Nachfrage habe der Kollege empört gefragt, ob man ihn ausschließen wolle.
Auf diese Frage erhielt er von Frau H. ein klares JA, vielmehr erklärte sie ihm dann, dass es sich schließlich nicht um seine Mutter handeln würde, er nicht in Trauer sei und er nicht zur Familie gehöre. Zack, das hat gesessen!
Im Laufe der Nacht sei ihr dann klar geworden, erklärte mir Frau H. dass dieser Redner nicht in Frage komme und sie daraufhin im Internet nach Rednern gesucht habe, dabei sei sie auf mich gestoßen.
Sosehr mich das auch freut, bin ich dennoch vorsichtig und frage Frau H. was denn ihr Wunsch ist für die Trauerfeier ihrer Mutter. Ich erfahre, dass man mit Bedacht keinen Pfarrer wollte, weil die ganze Familie eher kirchenfern sei und man den frommen Schmus nicht hören will. Deshalb sei das entsetzen auch groß gewesen, als der andere Redner von Schutzengeln sprach und auch beten wollte.
Ich stelle noch einige Fragen und erfahre dabei, dass Frau H. von Beruf Psychiaterin mit eigener Praxis ist, daraufhin frage ich noch gezielter und bemühe mich jeglichen „Fettnapf“ großräumig zu umfahren.
Vor meinem inneren Auge sehe ich förmlich den Kollegen auf ihrer Patientencouch liegen…
Schließlich habe ich genügend Material zusammen und glaube auch die Geisteshaltung von Frau H. erkannt zu haben, sodass ich mich verabschiede.
An der Tür erklärt mir Frau H. sie habe meinem Kollegen bereits abgesagt, dieser habe daraufhin per Mail seine volle Rechnung zugestellt, sie sei aber gerne bereit, nun zwei Redner zu bezahlen, Hauptsache es wird nicht gebetet oder von Schutzengeln erzählt!
Ich versichere ihr, dass ich das nicht beabsichtige und gehe durch den Vorgarten zurück zu meinem Wagen.
Insgesamt ist mir die Situation trotzdem unangenehm, der Kollege wird zwangsläufig erfahren, dass ich den Auftrag nun habe, da sich Frau H. auch beim Bestatter mittlerweile Gehör verschafft hat und dort berichtet hat, dass der empfohlene Kollege nicht passend war und nun Herr Hein von ihr beauftragt wurde.
Andererseits bin ich nicht verantwortlich für die Arbeitsweise des Kollegen, er hätte sich schon beim Bestatter nach Familie H. erkundigen können und hätte erfahren, dass es sich um eine Psychiaterin handelt und dass die Familie keinerlei christliche Elemente während der Feier wünscht.
Am Tag der Beisetzung bin ich pünktlich vor Ort, fast alles sind da, nur der Bruder von Frau H. fehlt noch, er hat eine längere Anfahrt und hat sich in der Zeit verschätzt. Ich stehe etwas abseits von den Trauergästen und habe damit die Gelegenheit die Menschen zu beobachten, alle sind sehr sorgsam und gepflegt gekleidet, eine Dame trägt ein sehr schönes, extravagantes und buntes Tuch zum dunklen Mantel, insgesamt machen alle einen sehr gediegenen Eindruck.
Endlich kommt auch der verschollene Bruder von Frau H. mit seiner Familie an der kleinen Kapelle an und wir gehen gemeinsam zum Urnengrab. Dort wartet bereits ein Mitarbeiter des Bestattungshauses mit der Urne und starrt mich an, als habe er eine Erscheinung, klar, denn er hatte ja den anderen Redner erwartet. Die Familie versammelt sich um das kleine offene Urnengrab, das Gestell mit der Urne steht direkt daneben und der Mitarbeiter platziert sich neben das Gestell, damit steht er vor mir, ich müsste also quasi über seinen Kopf hinweg sprechen, das wäre eigentlich kein Problem, weil er nur einen Kopf größer als ein Gartenzwerg ist, aber ungünstig ist es trotzdem.
Ich räuspere mich, der Zwerg guckt mich an und ich deute ihm mit einer Kopfbewegung an, er möge zur Seite gehen, er versteht den Wink und trollt sich auf den schmalen Weg entlang der Gräber.
Ich beginne zu sprechen und bemerke schon während der Rede an den Gesichtern der Anwesenden, dass ich richtig liege mit dem was ich sage. Erleichterung macht sich in mir breit, ich beende meine Rede, verbeuge mich vor der Urne und trete auf den schmalen Weg, der Zwerg lässt die Urne nun ins Grab, dann schnappt er sich das Gestell und verschwindet wie immer grußlos.
Die Familie tritt nun an das Grab, jeder wirft Blütenblätter oder etwas Erde auf die Urne und tritt dann zur Seite.
Zwei kleinere Jungs verlassen die Gruppe und machen sich an schön geschmückten Urnengräbern zu schaffen, sie verschieben die Blumenschalen und Laternen auf den Granitplatten und ordnen sie nach ihrem Geschmack neu an, ich beobachte das eine Weile und endlich kommt ein erwachsener dazu und untersagt den Kindern dieses kreative Tun.
Langsam entferne ich mich, die Familie steht noch eine Weile am Grab, ich will nicht stören und gehe deshalb.
Wenige Tage später bedankt sich Frau H. per Email bei mir für die Gestaltung der Trauerfeier, darüber freue ich mich sehr und sende ihr per Post das Manuskript der Rede zu.

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