Dienstag, 28. Januar 2014

Gräfin Koks




Das Bestattungshaus Müllerklaus ruft an und die Mitarbeiterin lässt fragen, ob ich am kommenden Samstag  noch einen Termin frei habe. Ich sehe nach und tatsächlich, es passt.
Nähere Infos soll ich im Laufe des Tages per Email erhalten, man wollte nur zunächst mal den Termin absichern.
Kurze Zeit später ruft „Bestattungen Müllerklaus“ wieder an und fragt, ob es möglich wäre, den Termin um dreißig Minuten nach hinten zu verlegen, mir ist auch das genehm und so verbleiben wir.
Am Abend erhalte ich dann die Daten der verstorbenen Frau und ihrer Tochter. Ich telefoniere also mit besagter Tochter und wir verabreden uns für den nächsten Nachmittag.
Pünktlich treffe ich am folgenden Tag vor besagter Adresse ein, es handelt sich bei dem Haus um eine Bausünde aus den späten 70er Jahren, hübsch hässlich und wenig einladend, bietet es Platz für ca. 15 Eigentumswohnungen.
Ich schelle also und durch die Gegensprechanlage werde ich gebeten, durch die erste Tür rechts zu gehen, dort erwartet mich bereits Frau K. nebst ihrer Tochter.
Wir begrüßen einander und ich habe das Gefühl, Frau K. schon einmal gesehen zu haben und richtig, man kennt sie aus verschiedenen Käseblättern, denn sie ist die Schreibkraft des örtlichen Fußballvereines Holzbein-Mörderstedt e.V.
Der Verein tut sich nicht unbedingt durch Spielfreude oder besondere Erfolge hervor, mehr jedoch mit dem rüpelhaften Verhalten einiger Spieler oder dem unglaublich doofen Benehmen einiger „Spielerfrauen“.
Im hiesigen Käseblatt liest man immer mal wieder etwas über diese Ereignisse, mich persönlich hat das nie berührt, bin ich doch vom Fußball im allgemeinen nicht begeistert und von diesem Vorstadtverein schon gar nicht.
Frau K. jedenfalls lebt in der festen Überzeugung, der Verein wäre der Nabel der Welt und alle und jeder müssten genau wissen, welchen Platz in der Tabelle der Verein zur Stunde bekleidet. Da ich selber eher dem Wassersport zugetan bin, weiß ich das tatsächlich nicht.
Frau K. bietet mir einen Kaffee an und setzt sich zu mir an den Tisch, auch ihre Tochter nimmt Platz. Ich frage wie gewohnt nach den persönlichen Wünschen zur Gestaltung der Feier und Frau K. schießt los: „Also, zunächst mal die Musik, Mutter mochte bayerische Schlager, davon habe ich bereits zwei ausgesucht, dann will ich noch ein Stück von Unheilig“
Die Enkelin kramt nach dem Text des Stückes, ich winke höflich ab, denn ich habe den Text im Büro vorliegen, schließlich meint neuerdings jeder, Songs von "Unheilig" wären auf einer Trauerfeier wahnsinnig progressiv…
Ich frage also nach den Vorlieben der Mutter, nach ihrem Wesen, ihrem Beruf und erfahre, dass auch sie sich dem Verein Holzbein-Mörderstedt sehr verbunden fühlte und als Wirtin die Vereinskneipe führte.
Die Tochter erzählt mir nun einige Begebenheiten aus dem Leben ihrer Mutter, welches sich offenbar zumeist in der Kneipe abgespielt hat.
Sie schildert ihre Mutter als ein rauhbeiniges Fischweib mit großer Klappe und viel Herz für den Verein.
Insgesamt kommt Frau K. immer wieder auf den Verein zu sprechen und ist sichtbar empört darüber, dass ich nicht alle Namen der Spieler kenne, bzw. deren Position auf dem Spielfeld.
Frau K. und ihre Tochter betonen immer wieder, wie sehr sie mit der verstorbenen Frau das Vereinsleben geteilt haben, bzw. wie eng das Zusammenleben war.
Mutter bewohnte eine Wohnung drei Bausünden weiter, war aber wohl sehr häufig in der Wohnung ihrer Tochter zu Gast.
Über ihren Mann spricht Frau K. nicht und ich frage nicht, da ich nicht weiß, ob ihr das genehm ist.
Insgesamt ist Frau K. eine imposante Erscheinung, dazu laut und direkt. Nach zwei Stunden beende ich das Gespräch, ich habe genügend Infos erhalten und verabschiede mich zügig.
Auf dem Rückweg stelle ich fest, dass mir diese Familie so gar nicht liegt und innerlich hoffe ich sogar darauf, dass Frau K. diese Erkenntnis ebenfalls hat und sich für einen anderen Redner entscheidet.
Diesen Gefallen tut sie mir aber nicht, sodass ich mich am übernächsten Tag daran mache, die Rede zu schreiben.
Ich verwerte die Informationen aus dem Gespräch und baue einige Begriffe aus dem Fußball mit ein, in der Hoffnung, damit den Puls dieser Familie zu treffen.
Am Tag der Beisetzung treffe ich wie immer zeitig ein, die Mitarbeiter von „Bestattungen Müllerklaus“ sind dabei die Halle herzurichten, der Sarg wird hereingetragen, die Blumengestecke werden positioniert, über den Sarg kommt eine Bahn dunkler Samt, diese liegt schräg auf dem Sargdeckel und endet wie eine Schleppe auf den Stufen der Friedhofskapelle. Dann stellt der Bestatter eine schöne Staffelei auf, ein Porträt der verstorbenen Dame wurde auf einen Keilrahmen gezogen und ziert nun mit Trauerflor die Staffelei.
Weiterhin platziert der Bestatter ein Körbchen unter der Staffelei, darin befinden sich Wollknäule und Stricknadeln. Ich frage ihn, was es damit auf sich hat und erfahre, dass die verstorbene Frau eine begeisterte Strickerin war, ob ich das denn nicht wüsste?
„Nein“, entfährt es mir, „woher auch, es hat mir niemand was davon gesagt“. „Auch gut, sagt der Bestatter, die haben sich bei uns aufgeführt wie letzten Menschen, unfreundlich und nur im Befehlston, ich bin froh, wenn wir das gleich hinter uns haben“.
Im stillen bin ich erleichtert darüber, dass diese Familie nicht nur mir doof gekommen ist, aber die gesamte Situation ist natürlich nicht schön,  offenbar hat Frau K. es geschafft, es sich mit dem Bestatter und mir zu verderben, ich bin gespannt, wie das nun wird.
Endlich ist alles fertig dekoriert und ein Mitarbeiter des Bestatters macht Bilder vom geschmückten Sarg und der Deko, diese bekommen die Angehörigen später zur Erinnerung.
Draußen treffen die ersten Gäste ein und der Bestatter öffnet die Flügeltür der Kapelle. Aber noch stehen alle draußen zusammen, einige rauchen  sich noch eine, andere unterhalten sich.
Die Mitarbeiter des Bestatters und ich stehen an der Tür um die ersten Gäste zu begrüßen, schließlich erscheint auch Frau K. nebst Tochter und ihrem Gatten. Ein schlaksiger Typ, schlank und äußerlich so gar nicht passend zu seiner Gattin mit Format.
Frau K. gibt dem Bestatter die Hand und begrüßt ihn, an mir schreitet sie wort- und grußlos vorbei. Ich muss wohl etwas belämmert geguckt haben, aber der Bestatter winkt ab. „ Machen Sie sich nichts draus, bei uns haben die sich nur daneben benommen“
Immerhin hält der Gatte es für nötig m ich zu begrüßen, er hält mir die Hand hin und stellt sich mir vor:“ Walter“ sagt er, schüttelt mir die Hand und geht zur vordersten Reihe, dort nimmt er Platz neben seiner Tochter, die Gattin sitzt am Rand der ersten Reihe.
Nach und nach trudeln die Gäste nun ein und nehmen Platz, es erscheint sogar der ehemalige Präsident des Vereins Holzbein-Mörderstedt, mit dem hat nun wirklich keiner gerechnet, er ist schon lange nicht mehr aktiv und auch gesundheitlich sichtlich nicht auf der Höhe, aber man hielt es wohl für angeraten ihn herbei zu schaffen. Gemeinsam mit seiner Betreuerin bugsiert man ihn in die zweite Reihe und damit wäre allem Genüge getan.
Der Bestatter schließt nun die Tür der Kapelle und der Mitarbeiter startet die CD, es erklingt der erste bayerische Schlager, mit den letzten Takten gehe ich nach vorne, verbeuge mich vor dem Sarg und trete an das Rednerpult.
Ich halte meine Rede, nehme wie gewünscht Bezug auf den Text des Liedes und leite über auf den Text von „Unheilig“, das Stück erklingt nun und ich fahre fort.
Ich erwähne alles, was Frau K. mit im Gespräch dargeboten hat und schließlich erklingt das letzte Stück, wieder ein Schlager, dann verbeuge ich mich abermals und der Bestatter öffnet die Türen, die sechs Träger kommen herein und alles ist wie immer: Verbeugen, Kränze abtragen, dann wird der Sarg herausgetragen und ich folge. Die Familie reiht sich hinter mir ein und gemeinsam gehen wir mit den anderen Gästen zum Grab.
Auf dem Weg dorthin reiht sich plötzlich Frau K. neben mir ein und mault mich an:“ Sie haben in Ihrer Rede meinen Mann nicht erwähnt, der hat alles für meine Mutter getan“
Ich bin wie vom Donner gerührt, lasse mir aber nichts anmerken und höre mich freundlich sagen:“ Liebe Frau K. wenn ich gesagt habe, Liebe Familie K., dann habe ich Ihren Mann selbstverständlich auch gemeint“
Frau K. reiht sich wieder hinter mir ein und teilt ihrem Mann hörbar mit, dass er auch gemeint war, als ich von „Familie K.“ gesprochen habe.
Mittlerweile sind wir am Grab angekommen, ich lese wie besprochen den von Frau K. ausgesuchten Text, dann gebe ich den Trägern ein Zeichen und sie lassen den Sarg ab.
Ich verbeuge mich nochmal, trete dann gemeinsam mit den Trägern zur Seite und lasse der Trauergemeinde ihren Platz.
Ich gehe zurück zu meinem Wagen, und bin froh, diese Trauerfeier bewältigt zu haben. Zwei Tage später erkundige ich mich beim Bestatter und erfahre, dass sich Frau K. auch hier darüber beschwert hat, dass ich ihren Gatten nicht erwähnt habe. Aber der Bestatter bleibt locker und schmunzelt, auch er ist froh, dass er diese Menschen aus dem Haus hat!

2 Kommentare:

  1. Manche Menschen hinterlassen einfach immer und überall einen schlechten Eindruck. Verstehe nicht, warum man das auch bei so einer Gelegenheit tun muss. Aber mit dieser Art ist es wie mit dem Sterben: Man selbst merkt es nicht und es ist schwierig für die anderen.

    Liebe Grüße!

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  2. Kommen da keine Posts mehr? Schade, mir haben die Geschichten gut gefallen.
    Beste Grüße!

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