Montag, 24. Juni 2013

Sehr kurzfristig!



„Können Sie morgen früh“? Ich blicke verdutzt in den Hörer und frage:“ Was kann ich morgen früh“?
Die Mitarbeiterin eines großen Bestatters hat offenbar Not und fragt nochmal:“ Können Sie morgen früh, der Pfarrer ist krank und die Witwe ist fix und fertig“
Auf näheres Nachfragen erfahre ich, dass der Pfarrer die Trauerfeier schlichtweg vergessen hat und nun nicht zur Verfügung steht. Da die Trauerfeier aber morgen früh ansteht, ist nun Handlungsbedarf gegeben.
Ich habe zufällig am nächsten Vormittag Zeit und sage zu. Also lasse ich mir die Adresse der Witwe geben und erfahre, dass sie zurzeit in einem Hotel lebt, weil ihr Mann an seinem Geburtstag in der gemeinsamen Wohnung verstarb.
Ich fahre also am Abend nach D. und stelle fest, dass es sich bei dem Hotel um einen Gasthof mit Zimmervermietung handelt. Im Schankraum erwartet mich die Witwe und fragt sogleich was ich trinken möchte, ich nehme einen Pfefferminztee und frage, wo wir uns unterhalten können. „Ja hier“ sagt die rüstige Dame und deutet auf den freien Stuhl an ihrem Tisch.
Ich nehme Platz und füge mich meinem Schicksal, im Schankraum riecht es nach Bier und verbrannten Schnitzeln, am Tresen stehen Männer und unterhalten sich lautstark, es dröhnt Schlagermusik aus den Boxen, aber bitte, wenn sie mir hier über ihren Mann erzählen will, dann soll es so sein.
Sie berichtet mir also aus dem Leben ihres Mannes, aus ihrer Ehe und verschiedenen Streitigkeiten innerhalb der Familie. Zwischendurch fragt sie, ob ich etwas essen möchte, ich bleibe aber beim Tee und schreibe die wichtigsten Infos mit.
Schließlich verabschieden wir uns und ich fahre durch die bitterkalte Nacht zurück nach H. Zuhause angekommen setze ich mir eine Kanne Tee auf und formuliere die Rede.
Einen derartigen Zeitdruck hatte ich noch nie, normalerweise liegen einige Tage zwischen Trauergespräch und Trauerfeier, aber trotzdem gelingt es mir, eine schöne Rede zu formulieren, ich drucke sie dann aus, hefte sie in meine Mappe und gehe zu Bett.
Am nächsten Morgen fahre ich wieder nach D. Es ist immer noch bitterkalt, ich friere trotz des dicken Mantels und begebe mich schnell in die Trauerhalle. Dort empfängt mich bereits ein Mitarbeiter des Bestattungshauses.
Die Trauerhalle schockiert mich, sie ist ungepflegt und hat den Charme einer Bahnhofshalle, kalt und uralt.
Der Fußboden ist gammelig, die Stühle schäbig und insgesamt möchte man nicht vermuten, dass es hier gleich eine Trauerfeier geben wird.
Der Mitarbeiter deutet auf einen Vorhang, zieht diesen vor und ich kann kaum glauben, was ich sehe: Eine steinalte Orgel inmitten von Regalen, welche vollgestopft sind allerlei Kram.
Klopapier, Putzmittel, Besen und Überurnen stehen in den Regalen und das offenbar nicht erst seit gestern.
Ich stehe also in diesem Verschlag und warte auf den Organisten, dieser erscheint schließlich und wir stimmen die Musik ab, die Witwe hatte sich das „Ave Maria“ gewünscht, der Organist hat die Noten dabei, zu Beginn und Ende spielt er nach seiner Wahl.
Die Orgel hat offenbar auch unter der Kälte gelitten, sie ist hörbar verstimmt, aber der Organist trägt es mit Fassung und spielt eine flotte Note.
Die ersten Trauergäste treffen ein und auch die Witwe nimmt Platz, die Urne steht auf einem klapperigen Holztisch, welcher mit einer schmuddeligen Decke abgedeckt wurde.
Der Kranz mit den roten Rosen wirkt irgendwie grotesk.
Der Organist spielt, ich rede und die Witwe weint, schließlich sind wir am Ende der Feier und geleiten nun die Urne zum Grab.
Der Mitarbeiter geht mit der Urne in der Hand vor und ich gehe hinterher, die Gäste folgen uns. Am Grab lese ich noch einen kurzen Text und dann versinkt die Urne durch die Hand des Mitarbeiters ins Erdreich.
Ich trete zurück und die Witwe nimmt Abschied, ebenso die Trauergäste.
Frierend gehe ich zurück zu meinem Auto, selten war ich so erschüttert über eine Trauerfeier, der schlechte Zustand der Trauerhalle, die verstimmte Orgel und der ungepflegte Mitarbeiter des Discount-Bestatters haben ein schlechtes Bild in mir hinterlassen.
Kein Mensch hat es verdient in so einer Umgebung beigesetzt zu werden!

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