Montag, 17. Juni 2013

Genauso war er, der Gerd!

Ich werde zu einem Sterbefall bestellt, der Bruder des Verstorbenen wünscht keinen Pfarrer für die Trauerfeier, sondern einen Redner, weil der Bruder nicht mehr in der Kirche war.

Der Bestatter welcher mich beauftragt hat, ist ein kleines Männlein, um die 50 jahre alt und seine Geschäftsräume erinnern mich immer an gepflegtes Chaos.
Der Tisch an dem trauernde Angehörige Platz finden und nehmen sollen, ist ein gewöhnlicher Esstisch mit 6 Stühlen und auf der hässlichen Tischdecke tummelt sich allerlei Zeug, alte Zeitungen, Trauerbriefe und noch viel mehr.
Die Vorstellung hier Menschen in akuter Trauer empfangen und beraten zu wollen befremdet mich, ebenso der Geruch von Kartoffeln und Gemüse, welcher stets seicht durch  den Raum wabbert.
Dieser Bestatter hat meistens Trauerfeiern mit Pfarrer oder Priester, sodass ich nicht allzu oft hier bin.
Jener Bestatter, bzw. seine üppige Lebensgefährtin gibt mir am Telefon die Daten des Bruders durch und ich rufe diesen an und verabrede mich zum Gespräch am folgenden Abend.

Pünktlich schelle ich an der Haustür des Mehrfamilienhauses, der Drücker summt und ich trete in den Hausflur ein.
In der ersten Etage öffnet sich eine Tür und der Bruder des Verblichenen begrüßt mich. Ich stelle mich höflich vor und folge ihm ins Wohnzimmer, die Wohnung ist recht klein und das Mobiliar hat den Charme eines Sperrmüllhaufens.
Ich eröffne das Gespräch mit der Frage, was er sich denn wünscht, für seinen Bruder und dessen Trauerfeier, ob er spezielle Musikwünsche habe?
Herr S. schaut verdutzt und kratzt sich am Kopf, diese Frage hat er nicht erwartet und überfordert ihn offensichtlich. "Was hat er denn gerne gehört", frage ich und Herr S. sagt:" Ja, der mochte immer den Musikantenstadl" Ich erkläre, dass es wohl besser wäre auf etwas anderes auszuweichen und mache einen Vorschlag. "Also, wie wäre es denn mit der Morgenstimmung, in der Mitte das Largo und am Ende das Air"?
Diese drei Stücke empfehle ich immer dann, wenn die Angehörigen keine Wünsche haben oder nur unpassende Musik kennen und Herr S. stimmt freudig zu.Ich kann seine Erleichterung förmlich spüren, er ist froh, diese Klippe bereits umschifft zu haben. Also taste ich mich an die nächste Herausforderung heran und frage Herrn S.:" Was möchten Sie mir denn über Ihren Bruder erzählen, was ist Ihnen besonders wichtig"?
Herr S. fühlt sich ein zweites Mal wie kalt geduscht und guckt ratlos drein. "Ja, der Gerd, der war ein feiner Kerl", sagt er und denkt nach. Er denkt sehr lange und schweigt dazu, sodass ich nocheinmal nachfrage:"Herr S. hatte ihr Bruder Frau und Kinder?"
Hatte er nicht, wie ich erfahre, er war Junggeselle und nach seiner Pensionierung viel mit seinem Bruder unterwegs oder schaute sich Fußballspiele im TV an.
"Wir waren viel an der See und sind dort Fahrrad gefahren" sagt Herr S. und schweigt wieder.
Auch mehrfaches Nachfragen führt nicht zum gewünschten Erfolg, sodass ich beschliesse, mich zurückzuziehen. Es hat keinen Sinn hier tiefschürfende Fragen zu stellen, ich höre immer das selbe: Er war ein feiner Kerl, der Krebs hat ihn zerfressen und wir sind viel an der See Fahrrad gefahren.
Plötzlich schaut Herr S. mich an und fragt:" Was machen Sie eigentlich beruflich?" Diesmal fühle ich mich wie kalt geduscht, ich fasse mich und sage:" Ich bin Trauerredner, ich werde beauftragt, wenn kein Pfarrer oder Priester gewünscht wird"
"Ach so", sagt Herr S. "ich dachte, Sie machen was im Büro"
Ich verabschiede mich höflich und blicke auf die Uhr, dieses Trauergespräch hat keine 20 Minuten gedauert, das ist mein absoluter Rekord, nicht, dass ich mir das so gewünscht hätte, aber 20 Minuten, das hatte ich noch nie, kürzer geht kaum noch.
Am nächsten Tag rufe ich den Bestatter an und informiere ihn über das wenig ergiebige Gespräch, er verspricht mir Abhilfe durch einen weiteren Bruder, welchen er befragen will, tatsächlich erhalte ich von diesem Bruder am nächsten Tag einige schriftliche Aufzeichnungen über das Leben des Verstorbenen. Leider beginnen diese mit der Flucht und Vertreibung aus dem Sudetenland und enden mit dem Hinweis, der Bruder sei gerne Rad gefahren...
Um dem ganzen noch die Krone aufzusetzen, ruft mich Herr S. noch an um mir zu sagen, ihm wäre nochwas eingefallen: Man wäre nicht nur an der See gerne Rad gefahren, sondern auch in H.
Ich nehme also alle Infos zur Hand und formuliere daraus eine Rede, ich erwähne die Pünktlichkeit und Gewissenhaftigkeit des Verstorbenen als Arbeitnehmer und seine Naturverbundenheit zur See und seine Liebe zum Radfahren, weiterhin seine Aufgabe als Patenonkel und sein Interesse am Fußball. Ich flechte einige Standartformulierungen ein und fühle mich dabei schrecklich, ich hasse sowas und vermeide das soweit es geht, aber hier hilft alles nichts, ich muss die Rede "aufblasen".
So stehe ich also am Rednerpult, die Kapelle ist halbvoll, die Urne steht vorne und ist mit Blumen geschmückt, darunter der Kranz der Brüder und der des Patenkindes.
Der Organist spielt die besprochenen Stücke, ich halte die Rede und der Organist setzt den Schlußpunkt.
Die Türen der Kapelle öffnen sich, der  kleine Bestatter und seine üppige Lebensgefährtin treten ein, gehen nach vorne, verbeugen sich und verstauen die Urne in einem hölzernen Tragegestell, sie wenden sich um, gehen durch den Mittelgang hinaus, ich folge ihnen, hinter mir geht die Trauergemeinde.
Als wir am Grab ankommen, lese ich das "Vater Unser", das hatte sich Herr S. so gewünscht für seinen Bruder, denn schließlich war der ja nur wegen des Geldes ausgetreten aus der Kirche...
Nach dem "Vater Unser" lässt der Bestatter die Urne in das kleine Grab sinken und jeder Gast tritt noch an das Grab heran um ein Blümchen auf die Urne zu werfen.
Eine ältere Dame kommt zu mir, fasst mich am Arm und sagt:" Genauso wie Sie gesprochen haben, so war unser Gerd, das haben Sie sehr schön gemacht"
Ich sage ihr, dass es mich sehr freut, dass es ihr gefallen hat und verabschiede mich.

Ja, es freut mich, dass es den Menschen gefallen hat, aber innerlich bin ich nicht zufrieden, ich fühle mich nicht gut dabei und hoffe, dass so eine Situation so schnell nicht wieder vorkommt.



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