Dienstag, 24. Februar 2015

Leiche im Bett



Ich erhalte eine Anfrage für eine Trauerfeier, ich habe Zeit und sage zu. Die verstorbene Frau war 58 Jahre alt, sie verstarb innerhalb von sechs Monaten an einer Krebsdiagnose und ich sitze nun mit dem Ehemann im Wohnzimmer um seine Wünsche für die Trauerfeier zu besprechen.
Ich stelle also die üblichen Fragen, erhalte aber nur wenig Auskunft, der Ehemann ist wortkarg und karg ist auch die Einrichtung der kleinen Wohnung. Es gibt im Wohnzimmer nur ein Sofa, eine weiße Schrankwand und einen Glastisch, an einer Wand hängen zwei Schwerter, darunter steht das leere Pflegebett. Keine Bilder, keine Bücher oder Zeitschriften, nichts was darauf hindeutet, dass der Raum bewohnt und belebt wird.
Der Ehemann erzählt schließlich von achtzehn Jahren Ehe, davon dass beide glücklich miteinander waren und keine Kinder haben. Man habe sehr zurückgezogen gelebt, beide waren nach der Arbeit froh ihre Ruhe zu haben. Einen Freundeskreis gäbe es nicht, man habe die Gesellschaft anderer Menschen nicht gesucht und sei viel lieber zu zweit alleine gewesen.
Ich frage nach Hobbys und Vorlieben der verstorbenen Frau, erfahre aber, dass sie nicht gelesen habe, es gab keine Sendungen im TV welche sie gerne geschaut habe und über den Musikgeschmack seiner Frau wisse er nichts.
Einzig der kleine Garten sei ihr lieb gewesen, aber dort sei man auch immer zu zweit gewesen, man habe keinen Gefallen daran gefunden mit anderen Menschen eine Wurst zu grillen oder sich zu unterhalten.
Ich bin innerlich erstaunt, ich hatte doch etwas mehr erwartet, aber leider zieht sich das Gespräch wie Gummi.
Ich frage noch vorsichtig nach dem Krankheitsverlauf und der Ehemann berichtet mir, dass alles sehr schnell gegangen sei, innerhalb von sechs Monaten sei seine Frau verstorben und zuletzt habe sie das Pflegebett hier im Wohnzimmer gehabt. Darin sei sie auch vorgestern verstorben. Er habe dann sofort Bestatter Knud Knudsen angerufen und der habe doch tatsächlich fast zwei Stunden gebraucht um die tote Frau abzuholen. Er habe also mit seiner toten Frau im Bett hier gesessen und nichts sei passiert, zwei Stunden habe er gewartet, er sagt, er findet das unerhört, es sei unzumutbar für ihn gewesen und er findet das unerhört.
Ich bin sehr erstaunt über diese heftige Reaktion und frage ihn, ob er diese zwei Stunden nicht als Abschied empfunden habe, er verneint das vehement und betont noch einmal wie unerhört er das findet, dass Bestatter Knudsen ihm zwei Stunden mit seiner toten Frau zugemutet habe.
Ich stelle dazu keine weiteren Fragen mehr, aber Herr B. poltert wieder los:“ Und dieses Bett, was soll ich damit, ich habe als der Knudsen mit meiner Frau raus war sofort das Sanitätshaus angerufen, aber dort sagte man mir, es kann eine Woche dauern bis jemand das Bett abholt.“
Wütend zündet er sich eine weitere Zigarette an und perzt mich voll. Ich frage nun noch einmal nach seinen Musikwünschen, er bleibt dabei das seine Frau keine bestimmte Musik gehört habe und ich schlage also vor die Orgel zu bestellen und etwas ruhiges spielen zu lassen. Herr B. stimmt zu und ich klappe meine Mappe zu, alles weitere hat hier keinen Sinn, ich muss also zusehen wie ich aus den wenigen Informationen eine Rede schreibe.
Ich stehe auf und verabschiede mich, durch den Laubengang verlasse ich das Haus und gehe zurück zu meinem Wagen.
Am Tag der Beisetzung steht die Urne schön dekoriert in der kleinen Trauerhalle des Friedhofes, ich bin pünktlich und spreche noch mit dem Organisten, er hat eine Mappe voller Noten dabei und wir besprechen die Musikauswahl. Er spielt „So nimm denn meine Hände“ und zwei weitere Stücke aus der typischen Beerdigungsmusik und mir ist es irgendwie auch egal, denn Herr B. konnte oder wollte dazu keine sachdienlichen Hinweise geben.
Herr B. erscheint nun im dunklen Anzug, außer ihm gibt es noch sechs weitere Trauergäste, die Eltern seiner Frau sind schon verstorben, aus der Firma seiner Frau ist niemand erschienen.
Der alte Knudsen schließt die Tür der Halle und der Organist beginnt zu spielen, dann spreche ich über achtzehn Jahre Ehe und gelebter Zweisamkeit welche offenbar keine Impulse von außen brauchte und darüber wie gerne die Verstorbene in ihrem Garten gesessen hat.
Herr B. sitzt regungslos auf seinem Stuhl, er wirkt, als ob ihn das alles nicht interessiert, die kurze Trauerfeier ist kühl und unpersönlich, meine Rede ist kurz und ich betone wie sehr Herr B. seine Frau in der Phase der Krankheit begleitet hat und wie fürsorglich er sich um sie bemüht hat.
Das alles mag auch der Wahrheit entsprechen, gesagt hat Herr B. das alles zwar nicht, aber ich unterstelle es ihm freundlicherweise.
Am Ende meiner Rede spielt die Orgel und der alte Knudsen öffnet die Tür der Halle. Zwei Träger kommen herein, verbeugen sich vor der Urne und nehmen das Gestell mitsamt der Urne und wenden sich dem Ausgang zu. Ich folge den beiden in gemessenem Schritt und wir erreichen bald das kleine Urnenfeld.
Als alle angekommen sind lese ich noch einen kurzen Text, dann versenkt Knudsen die Urne im Erdreich. Wir verbeugen uns noch einmal und gehen zum Ausgang des Friedhofes. Wenn die wenigen Trauergäste weg sind, wird der Mitarbeiter des Friedhofes das Urnengrab schließen und die wenigen Blumen schön darüberlegen.
Als ich an meinem Wagen ankomme, stelle ich fest, dass meine Fensterscheibe an der  Beifahrerseite eingeschlagen ist, das Handschuhfach steht offen und ist leer, leider hatte ich meine Brieftasche für die Dauer der Beisetzung darin deponiert.
Den Rest des Tages verbringe ich damit, den Vorfall der Polizei zu melden, meine Kreditkarte sperren zu lassen und mich um eine Notverglasung zu kümmern…

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