Montag, 23. Februar 2015

Orgel statt Schlager




Mein Lieblingsbestatter ruft an und fragt, ob ich Zeit habe. Der gewünschte Termin ist bei mir noch zu haben, also sage ich zu.
Ich erhalte die Daten der verstorbenen Dame sowie die Rufnummer der Tochter. Dort melde ich mich und erfahre, dass wir uns zum Gespräch in der Wohnung des Vaters bzw. des Ehemannes  treffen werden.
Ich bin am besagten Tag pünktlich zur Stelle, ich suche die Klingelschilder des Mietshauses ab und entdecke schliesslich den Namen Petersen und schelle an. Wenig später ertönt der Drücker und ich kann die Tür öffnen, Familie Petersen wohnt in der ersten Etage, in der Tür erwartet mich bereits der Witwer und bittet mich herein.
Die Wohnung ist freundlich eingerichtet, man sieht deutlich die Ordnung einer Frau, es steht viel Nippes herum, typisch friesische Dekoration und die übliche Schrankwand mit Vitrine, Barfach und Fernseher.
Herr Petersen bietet mir ein Glas Wasser an und gemeinsam warten wir nun auf die Tochter, welche sich um wenige Minuten verspätet hat. Schliesslich erscheint sie in Begleitung ihres erwachsenen Sohnes und nachdem wir alle wieder am Tisch sitzen, klappe ich meine Mappe auf, reiche meine Rednerkarte herüber und frage wie immer, was den gewünscht werde.
Die Tochter wirkt etwas unsicher und sagt schliesslich:“ Unsere Mutter war ja eine einfache Frau, sie hatte wenig Wünsche, sie hat aber immer was für andere getan.“
Schon während dieser wenigen Worte der Tochter fällt mir auf, dass sie eine knarzige Stimme hat, es klingt, als habe sie einen Frosch im Hals. Auch im weiteren Verlauf des Gespräches fällt mir diese Stimme auf, mittlerweile verspüre ich den starken Drang mich räuspern zu müssen, obwohl mit meiner Stimme alles in Ordnung ist.
Die Tochter wird nun etwas gesprächiger, sie klingt wie ein heiserer Papagei, ich habe echte Mühe ihr zuzuhören, diese Stimme ist mir unangenehm.
Sie erzählt, dass ihre Mutter immer stark engagiert war beim Roten Kreuz und der Tafel für Bedürftige. Unermüdlich habe sie auch für die Kleiderkammer ehrenamtlich gearbeitet, jedes Sommerfest habe sie mitgestaltet, habe Kuchen gebacken und Fischbrötchen verkauft.
Nun bringt sich auch der Ehemann in das Gespräch ein, er ist leicht dement, kann aber dem Gespräch noch halbwegs folgen. Er berichtet, dass er der zweite Ehemann seiner Frau war und seine Hilde damals mit ihren drei Mädchen geheiratet habe, nachdem der erste Ehemann über Bord eines Fischkutters gegangen sei und man ihn nie wieder gesehen habe.
Er selber habe keine Kinder und sei nun froh, drei Töchter und einige Enkel zu haben.
Ich stelle noch einige Fragen und erhalte bereitwillig Auskunft, auch der Enkel spricht nur nett über seine Oma.
Als ich genügend Informationen zusammen habe, frage ich nach Musikwünschen und der Enkel erklärt mir, dass Oma immer sehr gerne Roger Whittaker gehört habe und man habe drei Stücke von ihm ausgewählt, ganz besonders wichtig sei dabei der Song „Abschied ist ein scharfes Schwert“.
Ich notiere mir die gewünschten Stücke und vereinbare mit dem Enkel, dass er am Tag vor der Trauerfeier die CD zusammen mit dem Bild seiner Oma im Bestattungshaus Dünkel vorbeibringt.
Ich bin soweit zufrieden und verabschiede mich zügig, die Papageienstimme der Tochter ist mir auf die Nerven gegangen.
Am Tag der Beisetzung treffe ich im Büro des Bestatters Dünkel ein, wir tauschen wie immer meine Rechnung gegen Bargeld und tauschen ein wenig privates aus.
Als es für mich Zeit wird, in die Trauerhalle herüber zu gehen, bitte ich den Mitarbeiter um die CD, welche ja eigentlich vorliegen sollte.
„Nee“, sagt der Bestatter, „welche CD“? „Ja wie, welche CD“? frage ich. „Die hat doch der Enkel gestern mitgebracht“. „Ach so, meint Herr Dünkel, „dann ist die schon drüben in der Halle“. „Ja denn“, sage ich „denn ist ja gut“ und nehme meine Mappe vom Tisch und gehe den kurzen Weg herüber zur Halle. Dort wartet bereits ein weiterer Mitarbeiter auf mich, ich begrüße ihn und will mit ihm absprechen an welcher Stelle er die CD abspielen soll. Hinnerk Lüders guckt als ob ein Schaf übern Deich rollt und fragt entgeistert „Wieso CD“? „Die Organistin ist doch da“ Nun gucke ich belämmert und versichere ihm, dass die Angehörigen keine Orgel bestellt haben und der Enkel die CD mitgebracht habe.
Ich ahne böses, als wir gemeinsam den Stapel der vorhandenen Cd`s durchsehen, alles ist da, Herman Prey, Adoro, Andrea Berg, aber kein Roger Whittaker. Ich blicke auf die Uhr, es ist 10:40 Uhr und um 11:00 Uhr soll die Trauerfeier beginnen, das kann ja heiter werden, denn einige Gäste sind bereits eingetroffen und stehen in der großen Vordiele der Halle, während Hinnerk und mir der Schweiß ausbricht.
Just in diesem Moment betritt der Enkel die Halle und ich winke ihn unauffällig herbei. Auf Nachfrage erklärt er dann, er habe die CD im Schrank der Oma nicht gefunden und deshalb nicht mitgebracht, er habe aber „Abschied ist ein scharfes Schwert“ als Klingelton auf dem Handy, ob das auch ginge?
Innerlich koche ich vor Wut, es war schliesslich vereinbart, dass er die Musik mitbringt und nun das. Währenddessen nehmen die ersten Gäste Platz und betrachten den geschmückten Sarg, ich flitze zurück ins Büro und Herr Dünkel fragt, ob der weiße Hai persönlich hinter mir her sei. „Nein“ rufe ich atemlos, „nein, aber wir haben keine Musik, der Enkel hat die CD nicht mit, was nun?“
Dünkel holt tief Luft und grinst, er dreht sich um und fischt aus einem Stapel eine Doppel-CD, „Best of Roger Whittaker“. Ich hätte es ahnen müssen, Dünkel ist Schlagerfan durch und durch, Schade nur, dass ihm das jetzt erst einfällt.
Ich reiße ihm die CD aus der Hand, mittlerweile ist es 10:50 Uhr und ich will zurück in die Halle hasten, als der kleine Mitarbeiter leise fragt:“ Ist in der Hülle auch was drin“?
Ich bleibe auf der Stelle stehen und öffne die Hülle, tatsächlich, es fehlt eine CD, ausgerechnet die auf welche es ankommt.
„Sch…“ entfährt es mir, „was nun?“
Dünkel wird nervös, öffnet das Laufwerk am PC, leider ist es leer, nun gibt es viele Möglichkeiten, aber wir haben keine Zeit um in seiner Wohnung oder seinem Auto oder im Leichenwagen nach besagter CD zu suchen.
Also flitze ich mit leeren Händen zurück in die Halle, dort wartet bereits die Tochter mit dem Enkel auf mich. Ich erkläre den beiden, dass wir nun keine Musik haben, als sich ein Trauergast ins Gespräch einmischt:“ Kein Problem, ich fahre schnell zu Sky, die haben eine Musikabteilung, da kaufe ich die CD“
Ich traue meinen Ohren nicht und auch Hinnerk Lüders ist mittlerweile am Rande seiner Nerven, denn es ist 10:57 Uhr und wir müssen beginnen, denn um 12:00 Uhr steht die nächste Trauerfeier an und er muss noch umdekorieren wenn wir raus sind.
Die Tochter zückt ihr Handy, pfeift den mittlerweile verschwundenen Trauergast zurück und entscheidet:“ Dann eben ohne Musik“. Ich erkläre ihr, dass die Organistin noch da sei, da sie vorher schon eine Feier begleitet habe und wir sicherlich auf die Orgel hoffen dürfen, die Tochter nickt und meint:“ Ja denn, sagen sie ihr, sie soll was von Roger Whittaker spielen“ Dann dreht sie sich um und geht in die Halle und nimmt Platz. Der Trauergast und der Enkel folgen ihr.
Ich schnappe mir die Organistin, welche mir schmunzelnd erklärt, dass sie Schlager nicht im Programm habe, aber etwas passendes orgeln würde, ich zücke meinen Kugelschreiber und schreibe zwei Sätze um in denen ich Bezug genommen habe auf den Text von „Abschied ist ein scharfes Schwert“, mehr kann ich nicht mehr tun, wir müssen anfangen sonst kommt Hinnerk mit der nächsten Trauerfeier in Verzug.
Die Organistin spielt also das „Largo von Händel“, ich beginne mit der Rede, die Tochter sitzt regungslos in der ersten Reihe, der Witwer guckt traurig und der Enkel weint.
Die Orgel erklingt ein weiteres Mal, ich setzte meine Rede fort und schliesslich sind wir am Ende der Feier und die Organistin spielt ein drittes Stück, Hinnerk öffnet die Türen der Halle und die Gäste erheben sich, verabschieden sich am Sarg und gehen hinaus, wir sind gut in der Zeit geblieben und draußen stehen schon die ersten Trauergäste der nächsten Feier.
Ich verabschiede mich von Hinnerk und fahre zurück in unser kleines Dörfchen.

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