Unser kleiner Dorfbestatter ruft an und fragt, ob ich Zeit
habe, ich sehe schnell nach und bestätige ihm, dass ich am fraglichen Samstag
Zeit habe.
Er nennt mir die Daten des Verstorbenen und dessen Familie,
alles wie immer, nichts besonderes.
Am nächsten Tag rufe ich also die Witwe an, sie klingt
schwermütig am Telefon und spricht langsam. Ich frage sie nach einem Termin für
den Hausbesuch, sie will keinen Termin festlegen, weil sie erst noch mit ihren
Kindern sprechen will, das ist in Ordnung für mich, ich warte also auf den
Rückruf der Familie. Dieser kommt am selben Tag und wir verabreden uns für den
nächsten Tag um 15:00. Am nächsten Vormittag erhalte ich einen Anruf des Sohnes,
dieser teilt mir mit, seine Mutter haben einen Arzttermin, diesen habe man
völlig vergessen, ob es auch ein anderes mal ginge?
Wir verabreden uns schliesslich für den
Donnerstagnachmittag, dieses ist der späteste Termin für mich, schliesslich
muss ich die Rede auch noch schreiben.
Ich erscheine also pünktlich zum verabredeten Termin und vor
der Tür steigt auch grade der Sohn aus dem Auto und begrüßt mich. Gemeinsam
betreten wir das Haus, man führt mich sogleich in ein kleines enges Wohnzimmer,
welches von einer dunklen Schrankwand dominiert wird.
Die Witwe sitzt wie eine dunkle schwarze Eule auf einem
Ohrensessel mit Fußteil, auf dem Sofa sitzt die Tochter mit Ehemann, der Sohn
nimmt sich den Sessel, der Enkel bleibt ungemütlich im Türrahmen stehen. Ich
nehme in einem anderen Sessel Platz, Kaffee oder Wasser wird mir nicht
angeboten, also beginne ich das Gespräch. Ich frage zunächst nach den Wünschen
der Familie für die Trauerfeier, alle blicken mich betreten an, schliesslich
eröffnet die Tochter das Gespräch:“ Was wollen Sie denn wissen?“ Sie spricht
mit einem starken amerikanischen Akzent und erklärt, dass sie bereits einige
Jahre in Amerika lebe, ihr Mann spreche kein Deutsch und ihr erwachsener Sohn
nur das nötigste an Deutsch.
Ich frage also nochmal, welchen Ablauf man sich wünsche,
welche Musik gewünscht werde und wie der Verstorbene in der Rede erwähnt werden
solle.
Wieder antwortet die Tochter in ihrem
Deutsch-Englisch-Kauderwelsch, man habe sich zur Musik noch keine Gedanken
gemacht, was man den da so spiele?
Ich erkläre höflich, dass die Musikauswahl gerne sehr
persönlich sein dürfe und wir die Wahl haben, zwischen der Orgel oder Musik von
der CD. Allerdings wäre Eile geboten, da der Organist noch bestellt werden
müsse.
Die Familie ist sich nicht einig und schliesslich ergreift
der Sohn das Wort:“ Es sind doch genügend CD`s da, wir suchen einfach was Schönes
aus:“
Er dreht sich zur Seite und will den dunklen Schrank mit den
CD´s öffenen, da ruft seine Mutter aufgebracht:“ Nein, die Musik gehört dem
Vater, da können wir nicht drangehen“
Ich wage einen neuen Vorstoß und frage nocheinmal was denn
nun gesagt werden sollte, schliesslich erzählt die Tochter, ihr Vater sei der
beste Vater und Ehemann gewesen, stets besorgt um Frau und Kinder, er haben das
Haus in Ordnung gehalten und den Garten gepflegt und sei insgesamt ein
fürsorglicher Mensch gewesen.
Ich schreibe fleißig mit und frage nach Interessen und
Hobbys des Verstorbenen, plötzlich fängt die Witwe an zu weinen und die Tochter
erhebt sich vom Sofa und kniet sich neben den Sessel der Mutter.
Sie dreht sich dann zu mir und herrscht mich an:“ Was wollen
Sie denn noch alles wissen, es reicht doch nun, oder?“
Ich finde nicht, dass fünf Fragen reichen um eine gute Rede
zu schreiben, und erkläre ihr daher höflich, dass ich schon noch so einiges
wissen müsste.
Der Sohn erhebt sich nun und bittet mich in die kleine
Küche, dort erzählt er mir noch einiges und auch der Enkel bringt sich nun ein
so gut er es kann.
Ich schreibe mit und der Sohn fragt nun nach dem Ablauf der
Trauerfeier, ich erkläre ihm wie es vor sich geht und dass er
selbstverständlich die Möglichkeit habe, die Urne seines Vaters selber zum Grab
zu tragen, er verspricht, darüber nachzudenken und dem Bestatter Bescheid zu
geben.
Die Musikauswahl sei insgesamt etwas schwierig, er bittet
mich, den Organisten zu bestellen und Musik zu spielen, welche „üblich“ sei.
Ich verabschiede mich höflich, draußen blicke ich auf die
Uhr, dieses Gespräch hat insgesamt knapp dreißig Minuten gedauert…
Wie versprochen rufe ich den Bestatter an und bestelle den
Organisten mit dem Hinweis, das keine besonderen Musikwünsche berücksichtigt
werden müssen.
Am nächsten Tag begebe ich mich an meinen Schreibtisch, bei
einer guten Tasse Tee schreibe ich die Rede und betone den Familiensinn des
Verstorbenen und seine Freude am heimischen Garten. Ich vergleiche das Leben
als solches mit einem Garten, indem das Sein, Werden und Vergehen besonders
deutlich wird und betone, wie treusorgend er als Ehemann war.
Ich blase die Rede ein wenig auf mit Gedanken zu Leben und
Tod im besonderen und hebe hervor, dass die Familie sehr groß ist und viele
Enkel und Urenkel den 85-jährigen nun betrauern.
Mehr geht beim besten Willen nicht, schliesslich kann ich
nicht mehr als fragen, wenn man mir nichts erzählt, dann wird es eben eine
kurze Rede, basta!
Am Tag der Beisetzung treffe ich wie immer etwas früher ein,
ich habe es nicht gerne auf dem letzten Drücker, auf dem Weg zur
Friedhofskapelle kommt mir schon der Friedhofsmeister entgegen, wir grüßen uns
freundlich und sehen uns später noch auf dem Weg zum Grab.
Ich gehe weiter und erreiche die kleine Kapelle, erst Gäste
warten schon vor der Tür und rauchen noch eine Zigarette, ich grüße höflich und
betrete die Kapelle, dort werde ich von einem Mitarbeiter der Verwaltung
empfangen, ein freundlicher junger Mann im akkuraten schwarzen Anzug.
Gemeinsam warten wir nun auf den Bestatter und bereits
wenige Minuten später kommt er schnellen Schrittes herein. Wir begrüßen
einander und er beginnt sofort mit den Vorbereitungen für die Trauerfeier.
Er klappt einen kleinen weißen Campingtisch auf und wirft
gekonnt eine große Stoffbahn aus Samt darüber, sofort wirkt der Tisch ganz
anders.
Der Mitarbeiter der Verwaltung fragt schmunzelnd ob es sich
um einen Gartentisch handelt und der Bestatter erklärt:“ Ja, das ist unser
Gartentisch, den nehmen wir gerne zum grillen, aber er leistet mir hier auch
gute Dienste“
Wir schmunzeln alle etwas und ich sage etwas flapsig:“ Grade
noch unter der Grillwurst, jetzt schon unter der Urne“.
Währenddessen holt der Bestatter die Urne hervor und stellt
sie auf den Tisch, er stellt einige Gläser mit Teelichtern dazu und dekoriert
eine künstliche Ranke dazu und fertig ist die Herrlichkeit.
Kein Mensch würde ahnen, dass sich unter der Samtdecke ein
billiger Klapptisch verbirgt, welcher platzsparend in jeden Kofferraum passt
und bereits vermutlich mehr Urnen als Salatschüsseln getragen hat.
Die Seitentür öffnet sich und der Organist tritt ein, auch
wir begrüßen uns freundlich und ich erkläre ihm, dass die Familie keine
Musikwünsche habe.
Er grinst mich an und meint:“ Kein Problem, da fällt uns
schon was ein, oder?“ Ich grinse zurück und erkläre ihm, dass die Rede eher
kurz wird aufgrund fehlender Mitarbeit der Familie und er sich deshalb an
seiner Orgel austoben darf.
Gemeinsam gucken wir in seine Noten und ich wünsche mir
wieder mal meine Lieblingslieder: „Von guten Mächten“ und das „Largo von Händel“
für den Auszug wählen wir „So nimm denn meine Hände“.
So sind wir insgesamt zufrieden und vor der Kapelle stehen
mittlerweile immer mehr Trauergäste, durch die große Glasscheibe können wir das
gut beobachten, einige rauchen, kleine Kinder laufen wild umher, andere
schlafen in ihrem Kinderwagen, insgesamt scheint es eine sehr fruchtbare
Familie zu sein…
Plötzlich glaube ich meinen Augen nicht zu trauen, über
einigen Grabsteinen auf dem Weg zur Kapelle schwebt eine Traube roter
Herzballons, gefüllt offenbar mit Helium.
Eine Frau wird sichtbar, sie hält die Traube an mehreren
Fäden in der Hand und stellt sich zu den anderen Gästen, der Organist und ich
blicken uns an und er sagt seufzend“: Ja, wo der Glaube fehlt, da passiert dann
sowas“
Spontan muss ich an unsere alljährliche Dorfkirmes denken,
die Stimmung da draußen ist wenig beschaulich, alle reden und rauchen und
einige Gäste haben sich offenbar noch nie mit der Kleiderordnung einer
Trauerfeier befasst.
Ich bin immer wieder erstaunt, wie viele Menschen zu einer
Trauerfeier erscheinen, als ob sie grade eine Herde Schafe über den Deich
getrieben haben und auch der Sohn des Verstorbenen erscheint in einer beuligen
Jeanshose und einer Wetterjacke.
Schliesslich öffnet der Mitarbeiter die Tür und die Gäste
strömen herein, man nimmt Platz, einige haben ihre Kinder auf dem Schoß, andere
parken den Kinderwagen am Rand der Stuhlreihen.
Die Dame mit den Luftballons sitzt in der Mitte einer Reihe,
die Heliumballons schweben über ihrem Kopf mitten in der Halle.
Die Witwe kommt als letzte herein, sie geht am Rollator und
steuert auf den Tisch mit der Urne zu, sie bleibt kurz davor stehen und ruft:“
Ach Otto, warum hast du mich verlassen?“
Dann wendet sie sich ab und nimmt in der ersten Reihe Platz,
der Organist beginnt zu orgeln, ich spreche nach dem ersten Musikstück und an
der verabredeten Stelle spielt er das „Largo“ und ich spreche weiter, am Ende
der Rede bringe ich einen schönen Text zum Thema „Leben und Tod“, dann verbeuge
ich mich vor der Urne und der Organist spielt wieder.
Wie mit dem Bestatter verabredet tritt der Sohn nun vor und
nimmt die Urne vom Tisch, er hat sich also entschieden die Urne seines Vaters
selber zum Grab zu tragen.
Die Türen öffnen sich und der Bestatter und ich gehen voran,
draußen wartet bereits der Friedhofsmeister auf uns, zu dritt gehen wir nun
voran, hinter uns geht der Sohn mit der Urne, alle anderen folgen uns.
Auf dem Weg zum Grab raunt der Bestatter mir zu:“ Hat der
Sohn eigentlich keine schwarze Hose im Schrank?“
Ich grinse zurück, dann gehen wir gemessenen Schrittes
weiter und erreichen schließlich das Urnengrab. Eine Schale mit Blütenblättern
steht schon bereit und der Sohn übergibt die Urne an den Bestatter, wie
gewünscht lese ich noch einen kurzen Text, dann senkt der Bestatter die Urne ab
und verbeugt sich.
Gemeinsam mit mir tritt er zur Seite, wir bleiben etwas
abseits stehen nun gehen alle anderen nacheinander ans Grab und werfen noch
eine einzelne Blume in das kleine Erdloch.
Die Frau mit den Luftballons tritt hervor und geht gemeinsam
mit den Kindern ans Grab, dann drückt sie jedem Kind einen Ballon in die Hand
und dann lassen alle gleichzeitig los und die roten Herzen schweben gen Himmel…
Der Bestatter und ich gehen zurück zur Kapelle, wir sind uns
einig, dass rote Herzballons nicht auf einen Friedhof gehören.
Wir verabschieden uns und ich fahre nach Hause, mein
Wochenende beginnt.
Wenige Tage später ruft mich die Frau des Bestatters an, sie
ist fix und fertig, diese Familie habe sich böse beschwert, die Rechnung sei
viel zu hoch, warum man das Einsargen berechnet habe, schliesslich habe der
Sohn die Urne ja selber getragen und warum man den Rest der
Sterbegeldversicherung als Scheck beigelegt habe, man hätte bares gewollt und
der Herr Redner und der Herr Bestatter hätten sich auf dem Weg zum Grab „angeregt
unterhalten“, insgesamt sei man sehr unzufrieden und würde es bereuen, keinen
anderen Bestatter gewählt zu haben, man würde aber innerhalb des Dorfes gerne
erzählen, wie schlecht der Service bei „Bestattungen Jens Jensen“ sei und dafür
sorgen, dass in Zukunft die Kundschaft ausbleibt.
Ich tröste die Bestatterin so gut es geht und rate ihr, sich
nichts aus dem Geschwätz zu machen, aber insgeheim tut sie mir leid, ihr Beruf
ist stressig genug und ausgerechnet die Familie in beuligen Jeanshosen und
Kirmesballons beschwert sich nun.
Man kann es leider nicht jedem Recht machen…
Schön, dass Sie wieder schreiben!
AntwortenLöschenDie Sache mit den Luftballons projiziert gerade seltsame Bilder in meinen Kopf, muss ich zugeben.
Ich freue mich auch sehr, dass Sie wieder schreiben. Herzballons auf einer Beerdigung... das kommt vielleicht darauf an. Bei einem Kind, einem Jugendlichen, einem geliebten Partner in den besten Jahren mag das passen. Trotzdem assoziiere ich auch eher etwas anderes mit Herzballons und empfinde sie eher fehl am Platz auf einer Beerdigung muss ich zugeben, aber jeder wie er mag.
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